Die Münchener Biennale für neues Musiktheater holt im März nach, was 2020 nicht stattfinden konnte – mit glanzvollen Namen und hochaktuellem Programm.
Münchener Biennale 2022
Dynamisch vorwärts!
In pandemischen Zeiten muss man besonders flexibel sein – »dynamisch« eben. So nennen es Manos Tsangaris und Daniel Ott. Schon kurz nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 stand für beide fest, dass die damals geplante Ausgabe der von ihnen geleiteten Münchener Biennale für neues Musiktheater gestreckt werden würde. Jetzt (und damit zwei Monate, bevor schon die nächste Ausgabe des Festivals im Mai regulär stattfinden wird) stehen die weiteren Nachholtermine aus 2020 an, allen voran »Once to be realised«. Dahinter verbirgt sich ein Multiteam-Großprojekt, koproduziert mit der Deutschen Oper Berlin und dem Onassis Culture Centre in Athen.
Nach der Uraufführung Ende Januar in Berlin kommt das Projekt nun nach München. Das Besondere: Sechs führende Persönlichkeiten der neuesten Musik haben jeweils eigene Beiträge komponiert, ausgehend von Skizzen des griechischen Komponisten Jani Christou. Ob Beat Furrer oder Olga Neuwirth, Younghi Pagh-Paan und Christian Wolf, Samir Odeh-Tamimi oder Barblina Meierhans: Ein veritables »Who’s who« ist das Ergebnis dieser Zusammenkunft. Im Fokus steht eine weitere hochspannende, jedoch heute außerhalb seiner Heimat Griechenland etwas vergessene Persönlichkeit: Jani Christou. Als er 1970 mit 44 Jahren bei einem Autounfall in Athen tödlich verunglückt, steht die Musikwelt unter Schock. Mit seinem Tod verklingt zugleich ein »Meta-Surrealismus«, der seit den späten 1950er Jahren junge Generationen inspiriert hat. Die Harmonik ist atonal gebrochen, die rhythmischen Strukturen ausgesprochen vielschichtig und dynamisch gehalten. Noch dazu lässt er den Ausübenden viel improvisatorische Freiheit, mit reichlich »Aleatorik«. Bei Christou steht der Zufall indessen für das Unvorhersehbare, auch Schicksalhafte. Genau darum drehen sich viele der 130 kurzen Texte, auf denen die Projektskizzen »to be realized« von Christou aus seinen letzten Lebensjahren basieren. Sie werden in »Once to be realised« reflektiert.
Die Textfragmente berühren auch die Welt der griechischen Mythen: Elektra etwa oder Kassandra, Odysseus und Orpheus. Was bleibt, ist das dezidiert Offene, Kryptische. Aus dem »Meta-Surrealismus« entwickelt Christou zugleich eine »Meta-Praxis«. Damit meint er eine Art des Komponierens, bei der andere Künste integriert werden: zumal Theater, Performance oder Installation. »Bei Meta-Praxis geht es darum, die Bedeutungsbarriere eines einzelnen Mediums zu durchbrechen, um welches Medium es sich auch handeln mag«, schreibt Christou im Dezember 1969 – kurz vor seinem Tod: »Wenn das passiert, ist das Musik. Das kann in jedem Medium sein, sofern Metapraxis stattfinden kann.« In der Ausgestaltung von Raum, Zeit und Licht eröffnen sich zugleich Reflexionen über soziale Beziehungen, Ritus oder Politik, denn: Für Christou soll Kunst als mystisches Ganzes und Weltergründung erlebbar werden. Diese »Meta-Logik« greift die Regie von Michail Marmarinos auf. Bei der Uraufführung in Berlin ging es zunächst wandernd in die Tischlerei der Deutschen Oper: vom Restaurant über diverse Innenhöfe. Von überall her erklingt Musik, auch im szenischen Geschehen ist man mittendrin. In der Tischlerei angekommen, verdichtet sich das fluide Narrativ.
Weil die »Meta-Praxis« von Christous auch vom jeweiligen Raum abhängt, bleibt die szenische Lösung im Münchner Utopia vorerst offen. Dafür aber glänzen die erstklassigen Gesangssolisten der Deutschen Oper, das Ensemble »dissonArt« aus Thessaloniki, der Bewegungschor sowie das Vokalensemble »Cantando Admont«. Auch Robyn Schulkowsky, seit den 1980er Jahren eine führende Schlagzeugerin der Gegenwartsmusik, wirbelt mit. In Neuwirths »CoronAtion IV« entfesselt sie eine perkussive Urgewalt. Sonst aber führt Dirigentin Cordula Bürgi überaus hellhörig durch die auskomponierten »Sechs Begegnungen«. Sie hat ein stupendes Gespür für die griffige Körperlichkeit von Odeh-Tamimi, die subtile Fragilität in Pagh-Paans »Silhouette – Silence«, den bisweilen geräuschhaften Lyrismus in »Akusmata I-VII« von Furrer oder die konkrete Haptik bei Wolff.
Nicht minder »meta-surreal« und »meta-praktisch« wirkt auch die Installation »Opera und ihr Double« von Thomas Köck und Ole Hübner. Die Grundlage bildet das Biennale-Projekt »Opera, Opera, Opera! revenants and revolutions«. Wegen der Pandemie konnte es nicht realisiert werden. Das Thema erscheint bestürzend aus dem Tagesgeschehen gegriffen: Nach einer Weltkatastrophe irrt ein Chor apathisch umher, bis er sich auf einer verfallenen Opernbühne wiederfindet. Wie lässt sich dieser Raum mit Sinn füllen? Haben wir Eiszeit oder Krieg? Wo waren wir am letzten Tag? Im Angesicht dieser großen Momente stellt der Chor im spektakulären Setting von Martin Miotk die Frage: Wohin mit all diesen historischen Wendepunkten und utopischen Sehnsüchten angesichts der Trümmer und des Scheiterns?
Im »LAB of NEW Return« diskutieren zwei Tage vor der Münchner »Once to be realised«-Premiere der Soziologe Heinz Bude, die künstlerische Leitung der Biennale und beteiligte Künstler ebendies: Was bleibt nach zwei Jahren Corona, was könnte sich in der Kunstlandschaft ändern, und vermutlich wird auch der Weltfrieden zur Sprache kommen. Die Opern »Transstimme« und »Große Reise in entgegengesetzter Richtung«, beides ebenfalls hochaktuelle Stoffe, gibt es als Opernfilme zum kostenlosen Stream auf der Biennale-Homepage zu sehen. ||
MÜNCHENER BIENNALE FÜR NEUES MUSIKTHEATER
5.3., 20.00, Schwere Reiter: LAB of NEW
Return mit Heinz Bude | Reservierung | 7.–10.3.: »Once to be
realised« | 16.–19.3.: »Opera und ihr Double« beides im Utopia, Heßstr. 132 | Tickets, weitere Informationen und Filmstreams zu »Transstimme« und »Große Reise in entgegengesetzter Richtung«
Weitere Artikel zum Musikgeschehen in München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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