Peter Dinklage brilliert in der Musicalverfilmung »Cyrano«. Seit 3. März im Kino!
Cyrano
Wohltemperiertes Chaos
Schon der erste Auftritt ist eine Frechheit: Mitten im gestelzten Eröffnungsmonolog des von Schäfchen umtanzten Schauspielers Fleury plärrt es von hinten durchs Publikum. Er solle doch bitte aufhören mit dem Gestümpere. Cyrano de Bergerac seilt sich mit dramatischer Geste von den Rängen ab und konfrontiert den konsterniert nach Luft Schnappenden auf der Bühne – spöttelnd, schlagfertig, stolz. Mit Chuzpe stellt Cyrano sich gegen den versteinerten Barock des Theaters und der darin bespiegelten Gesellschaft. Schon dieser Auftakt setzt den Ton für alles, was folgt in Joe Wrights Neuinterpretation von Edmond Rostands Versdrama »Cyrano de Bergerac«. Zugegeben, auf dem Papier sieht dieses Projekt aus, als wäre es zum Scheitern verurteilt: die Filmadaption einer Musicaladaption eines französischen Dramenklassikers, garniert mit der Musik einer amerikanischen Indieband. Die Kopie der Kopie der Kopie und am Ende bleibt im besten Falle ein ähnlich groteskes Camp-Erlebnis übrig wie zuletzt bei Tom Hoopers unfreiwillig psychedelischer »Cats«-Version. Doch, so viel sei verraten, der Musicalfilm »Cyrano« funktioniert nicht nur, sondern ist einer der liebenswertesten und klügsten Filme des noch jungen Kinojahrs.
Joe Wright ist hier das Zentrum, das die beiden vermeintlichen Pole zusammenhält: Mit »Abbitte« (2007) und »Stolz und Vorurteil« (2009) setzte er Standards für alle folgenden Literaturverfilmungen und schied zwar mit der überladenen Plüschigkeit von »Anna Karenina« (2012) die Geister, bewies jedoch den Mut zu einer hingebungsvollen Übertreibung. In »Cyrano« nun kommt ihm beides zugute, denn es gelingt ihm, die tragikomische Essenz des Versdramas mit dem Pomp des Musicals zu verknüpfen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen. »Cyrano« gibt dem ursprünglichen Drama sein Rhythmusgefühl zurück, wenn auch nicht in Originalversen, so doch in den wehmütigen Popballaden der amerikanischen Band The National, die auch schon das 2018 uraufgeführte Musical schrieb, auf dem der Film beruht.
Die Handlung vom unglücklich verliebten Dichter Cyrano bleibt dabei im Kern erhalten. Im Original traut Cyrano sich seiner entstellenden Nase wegen nicht, sich seiner Angebeteten Roxanne anzuvertrauen – und hilft deshalb ihrem Schwarm Christian mit Liebesbriefen an Roxanne. »I will make you eloquent, while you make me handsome«, verspricht er dem aufrichtig hingerissenen, aber etwas einfach gestrickten Christian. Wright nun folgt der Musicalbesetzung seiner Drehbuchautorin Erika Schmidt, die in der Off-Broadway-Produktion ihren Ehemann Peter Dinklage, bekannt geworden als Tyrion Lannister in der Fantasyserie »Game of Thrones«, als Cyrano gecastet hatte. Die Besetzung bringt eine zentrale Veränderung mit sich: Musste in allen bisherigen Inszenierungen ein sonst durchschnittlicher Schauspieler eine künstliche Nase tragen, verzichtet Dinklage bewusst darauf und nutzt seine kleine Körpergröße, um Cyranos Andersartigkeit zu markieren. Aus einem im wahrsten Sinne des Wortes aufgesetzten Makel wird damit ein Akt der Repräsentation, der Cyranos Abgeklärtheit im Umgang mit kontinuierlichem Spott untermauert. Seine Schläue und Schlagfertigkeit münden immer wieder in regelrechte Rap-Einlagen, die seine rasenden Gedanken nur so heraussprudeln lassen. »My heart’s not even angry, that’s just the way that it breaks«, kontert er zu Beginn des Films eine Anfeindung und spricht letztlich ein prophetisches Urteil.
Sprachrhythmus, Melodie, Tonalität – sie geben dem visuellen Überschwang des Films als klug orchestrierte Ausdrucksmittel der Figuren Struktur. Wo andere Filme, die sich zentral um einen Briefwechsel drehen, lange Überbrückungen aus Lese- und Schreibpassagen konstruieren müssen, kann Wright genau diesen Leerlauf in rauschhafte Sequenzen übersetzen, die barocken Pomp mit modernen Inszenierungstechniken verschmelzen.
Joe Wright zieht hier alle Register – wehende Vorhänge, Rüschenhemden und tänzelnde Überblendungen lassen kurz in Musikvideos aus den 1980er-Jahren blicken und ein in langer Formation trainierendes Regiment wird in Vogelperspektive zu einem sich dauerbewegenden Kaleidoskop aus Schwertern, das Busby Berkeley kaum schöner hätte erträumen können. Wright jedoch lässt sich nicht von der Abstraktion verleiten, sondern gibt sich vielmehr einer leichtfüßigen Exzentrik und wohltemperiertem Chaos hin – die tanzenden Schafe der Eingangsszene sind hier nur der Anfang, eine absurd-märchenhafte Brot-Choreografie in einer Bäckerei eines der vielen Highlights. Hierhin hat Roxanne Cyrano nach seinem so großspurigen Auftritt gebeten, und kurz glaubt er, dass sie seine Liebe erwidert – nur um zu erfahren, dass er Christian in seinem Regiment beschützen soll und doch allein bleiben wird.
Peter Dinklage, durch seine Bandbreite zwischen herablassender Verachtung, unterdrückter Wut und augenrollender Langeweile für sich schon eine Naturgewalt, legt hier noch mal eine Schippe drauf, jedoch indem er zurückschraubt: Mit nur einem kurzen Seitenblick unter den Augenbrauen hervor fasst er die tief sitzende Melancholie dieses Mannes in kurzen Momenten der Unachtsamkeit zusammen. Diese leisen Momente sind es, die seinen Cyrano so greifbar und anziehend machen und aus der Karikatur der Übertreibung sein Innerstes hervorbringen: einen hoffnungslosen Romantiker. ||
CYRANO
GB 2021 | Drehbuch: Erika Schmidt | Regie: Joe Wright
Mit: Peter Dinklage, Haley Bennett, Ben Mendelsohn, Kelvin Harrison Jr. | 123 Minuten | Kinostart: 3. März
Website
Weitere Filmkritiken finden Sie ab dem 5. März in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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