Die Uraufführung von Thomas Köcks »Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)« ist eine große Anklage.

»Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)«

Gespenster der Vergangenheit

eure paläste sind leer

Leoni Schulz als ausgebrannte McDonald’s-Clownin © Armin Smailovic

Ein Wiedererkennen zum Erschrecken: Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man einen verkohlten Balkon, der dem der Kammerspiele gleicht. Selbst die Wandfarbe ist erhalten. Der Rest ist Ruine (Bühne: Julia Kurzweg). Oben verfolgen feudal ausstaffierte Herrschaften eine Aufführung, mit Protest und Applaus. Klein im Hintergrund steht ein Gespenst. Denn die Gespenster der Vergangenheit sind überall lebendig. Der bereits vielfach ausgezeichnete 35-jährige Österreicher Thomas Köck ist derzeit Hausautor an den Kammerspielen. In dieser Uraufführung lässt er die Geister der Konquistadoren los, die bis heute als Kolonisatoren den lateinamerikanischen Kontinent ausbeuten. Der Titel »Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)« ist doppeldeutig: Sind es die nie gefundenen Goldschätze des legendären El Dorado oder die Konsumtempel der westlichen Zivilisation, die ihre Lebensgrundlagen selbst zerstören? Als gespenstischer Mahner schlurft der blinde Seher Teiresias aus der griechischen Antike mit blutiger Augenbinde durch die Aufführung. Köcks Figuren fragen ihn immer wieder, warum er alles vorhersieht und doch nichts dagegen unternimmt. Dieser Teiresias sind wir alle, die sehend in die Katastrophe stolpern.

Thomas Köck schrieb eine gewaltige, musikalisch rhythmisierte Textfläche ohne Rollenzuweisungen, verklammert Antike, 16. Jahrhundert und US-Gegenwart zu einer großen Anklage. Er nennt das eine »Missa in cantu« mit liturgischen Elementen, betitelt die Kapitel nach den Höllenkreisen aus Dantes »Divina Commedia«. Manchmal sind die Erklärungen ein Hörspiel. Regisseur Jan-Christoph Gockel nutzt unterschiedlichste Stilmittel: Für die spanischen Eroberer entwarf der Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch groteske Handpuppen: Don Gairre, prächtig geharnischt, heißt nicht nur ähnlich, sondern sieht auch ähnlich aus wie Klaus Kinski in Werner Herzogs Film »Aguirre, der Zorn Gottes«. Der versoffene Priester Don Stepano ähnelt Franz Josef Strauß, der halbwegs ehrbare Ritter Don Miguel trägt spanische Halskrause (Kostüme: Janina Brinkmann). Ein Soldatenheer in blinkenden Rüstungen baumelt von einer Stange. Pikanterweise bringt sie die schwarze Schauspielerin Nancy Mensah-Offei zum Sprechen, berichtet von grausamer Folter und Hexenverbrennung. Die Puppenführer Michael Pietsch (Gairre) und Bernardo Arias Porras (Miguel) sitzen in einem (in Brasilien produzierten?) VW-Golf mit der Satansnummer M-VW 666; ihn steuert Katharina Bach mit Menjoubärtchen und Don Stepano auf dem Schoß, unentwegt qualmend. Eine Kamera zeigt sie in Großaufnahme. Ein goldenes, weich geschwungenes E verheißt den Weg nach El Dorado.

Um 90 Grad gedreht wird es zum M vom McDonald’s und zum großen Themensprung, der inhaltlich nicht überzeugen kann. In den Schlachthäusern der USA brechen Mitarbeiter tot zusammen, weil sie ihre Erschöpfung mit legalen Opioiden bekämpften. Zwei McDonald’s-Clowns in rotem Latex sausen auf Rollschuhen herum, ein süchtiger Ex-Promi wird von Reportern belagert und lässt sich als neuer Messias am M-Logo kreuzigen. Gockel brilliert mit bildmächtigen Einfällen, mischt hemmungslos Historie und Gegenwart. Anton Berman am Keyboard und Maria Moling am Schlagzeug treiben mit ihrer jazzigen Musik immer wieder an. Die Paläste sind ausgeraubt, verbrannt, leer. Teiresias weiß alles und bleibt untätig, niemand übernimmt Verantwortung: Alle taten nur ihre Pflicht als gut geschmierte Rädchen im Getriebe. Wir lernen nichts aus der Geschichte, obwohl wir die Konsequenzen unseres Verhaltens im Voraus berechnen können, handeln wir nicht danach – das ist die Quintessenz. Nur ein kleiner Puppenjunge, aus jeglicher Zeit gefallen, besieht mit staunenden Augen seine Zukunft. Am Ende deckt ein riesiges weißes Totenlaken alles zu – und die Gespenster der Vergangenheit versammeln sich. ||

EURE PALÄSTE SIND LEER (ALL WE EVER WANTED)
Kammerspiele | 22., 28. Dez, 14., 20., 21. Jan | 19 Uhr | 2., 30. Jan. | 18 Uhr | Tickets: 089 23396600

Weitere Theaterkritiken gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


Das könnte Sie auch interessieren: