Nora Abdel-Maksoud lädt zur großen Kapitalismuskritiksause »Jeeps« in die Münchner Kammerspiele.
Jeeps
»Dalli Dalli« auf Speed
Ein Jeep ist ein Geländewagen, jetzt ist es endlich klar. Diese Erkenntnis verdanken wir Gabor (Vincent Redetzki), denn der hat lange auf so einen Straßenpanzer gespart. Doch nun steht der ganze Parkplatz der Jobagentur voll mit den Dingern, und das alles nur, weil es eine Erbrechtsreform gab. Ein Los im Jobcenter entscheidet jetzt, wer erbt. Nicht die Familienbande. Auch nicht das Testament. Gibt’s nicht mehr. Und Gabor, der Unbestechliche, seines Zeichens Jobcentermitarbeiter, der Fugen-S-Fehler im Antrag gar nicht mag, hat die Losbox und den Schlüssel dazu. Und eine gewisse Abneigung gegen diejenigen, die familiär-finanziell vom Glück begünstigt sind und jahrelang nichts Zielführendes studieren konnten, um dann mit dem Geld der Eltern ein Start-up wie Laptops in Lederhosen aufmachen zu können, also Silke Eggert. Die muss sich jetzt hinten anstellen. Na und, denkt man. Aber Nora Abdel-Maksoud hat in ihrer formidablen Kapitalismusschelte »Jeeps« einige Grausamkeiten parat für die nunmehr Enterbten: Haus oder Wohnung der Eltern darf nicht mehr betreten werden, Möbel, Hausrat, Erinnerungen, Fotoalben, nichts bekommt Silke. Das Amt verweigert ihr jede Erinnerung und nimmt ihr die Schlüssel ab, als sie die Trauerrede hält.
Also stürmt Gro Swantje Kohlhofs Silke das Jobcenter, in dem die Sachbearbeiter Gabor und Armin (Stefan Merki) die Abgehängten und Enterbten in Opferwürste und Yuppielarven aufteilen. Arbeitssuchende Kinder gibt es auch, die suchen nicht für sich, sondern für ihre Eltern, weil sie im Amt weniger Platz wegnehmen. Was die enterbten Konschtis in Wartehalle zwei, wo sie eine Boulderwand errichtet und einen Foodtruck aufgestellt haben, gleich mal dazu animiert, die Kinderwürste auszubeuten. Gelernt ist halt gelernt. Silke jedenfalls will unbedingt an der »Eierstocklotterie reloaded« teilnehmen und verbündet sich dazu mit Maud (Eva Bay), ehemalige Groschenromanautorin, die fließend Amt spricht und tourettemäßig Kleiner-Penis-Witze auf Lager hat, was Gabor und Armin verrückt macht. Ihr hat Gabor die Stütze um das gesammelte Flaschenpfand gekürzt, denn Flaschensammeln gilt als selbstständige Tätigkeit. Während Silke ein Erblos erpressen will, geht es Maud um den Antrag auf Mehraufwand für Ernährung. Dafür greifen sie zur Waffe, was Merkis Armin Louis-de-Funès-mäßig die Wand hochgehen lässt.
Schnipp, Trommelwirbel (den Rhythmus der Sause gibt Musiker Enik vor), Spot an und aus, stakkatoartig steht das fantastische Ensemble im Scheinwerferlicht und haut dem Publikum Fakten der Kapitalismusgesellschaft um die Ohren. Auto- und Keksfabrikerben kriegen Kindergeld, Hartz-IV-Kinder nicht. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm. Jährlich werden 400 Milliarden Euro vererbt. Gleichzeitig entwirft Regisseurin und Autorin Abdel-Maksoud ein hanebüchenes, absurd-zynisches Jobcenter-Setting, in dem Gabor den Kinderwürsten die besten Erblose anheftet, woraufhin die von den Yuppielarven gejagt werden. Das alles vor einer amtsgrünen Wand mit Klipp-Klapp-Komödientüren und kostümtechnisch schwer in den Siebzigern verhaftet (Bühne und Kostüm: Katharina Faltner), sodass man sich vorkommt wie bei Hans Rosenthal oder Rudi Carrell, nur auf Speed. Toll! ||
JEEPS
Kammerspiele | 24. März, 28. April | 20 Uhr
Weitere Theaterkritiken gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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