Paul Verhoeven nähert sich in »Benedetta« einer Liebe hinter Klostermauern und bringt damit so einiges ans Tageslicht.
»Benedetta« von Paul Verhoeven
Führe uns in Versuchung
»Dein Körper ist dein schlimmster Feind.« Mit dieser Offenbarung wird Benedetta im Kindesalter ins Kloster eingeführt. Was für das Mädchen zuerst die sehnlichst herbeigewünschte Vereinigung mit dem Herrn sein soll, ist in Wirklichkeit die totale Selbstaufgabe. Nicht einmal ihre geliebte Marienfigur darf sie behalten. Paradoxerweise ist das Kloster jedoch der Ort, an dem sie ihre körperlichen Leidenschaften erst so richtig entdeckt – und damit für einen beispiellosen Prozess sorgen wird.
Was Paul Verhoeven, ein Meister des Skandals, mit seinem neuen Geniestreich »Benedetta« auf die Leinwand bringt, wirkt vielleicht zunächst wie eine Hommage an die Nunsploitation-Streifen der Siebziger. Aber Verhoeven ist ja nicht nur ein Meister des Skandals, sondern auch der Doppelbödigkeit, bei dem sich hinter dem Habitus des Reißerischen ein treffsicheres Konzept verbirgt. So arbeitet er in seinem Film einen wahren Fall aus dem Italien des 17. Jahrhunderts auf und baut aus weiblicher Sexualität, religiöser Hingabe und dem politischen Willen zur Macht einen herrlichen Historienthriller.
Als junge Frau sieht sich Benedetta (Virginie Efira) dann wirklich als die Ehefrau Jesu – nicht nur im metaphorischen Sinne. Visionen machen ihr dabei schmerzlich bewusst, dass sie in dieser Rolle mehr begehrt als die rein geistige Verbindung. Vollends aus dem Ruder gerät ihre kleine Welt, als durch ihre Hilfe Bartolomea (Daphné Patakia) im Kloster einzieht. Das Mädchen macht ihr ganz ungeniert Avancen, gipfelnd in einem beherzten Griff an den Po während des Chorgesangs. Das körperliche und seelische Chaos kulminiert dann schließlich in einem Wunder: Eines Nachts erscheinen die Wundmale Christi auf Benedettas Körper. Ein klarer Fall für den Klerus, die Auserwählte muss neue Äbtissin werden! Ihre Vorgängerin Felicita (großartig verkörpert von Charlotte Rampling) hat allerdings ihre Zweifel an der Heiligkeit des ganzen Vorgangs.
Für die Zuschauer hingegen ist hier gar nichts eindeutig. Die großartige Stimmung der Bilder, das geschickte Spiel mit Licht und Schatten tun ihr Übriges zur mysteriösen Atmosphäre. Was Wunder und was fauler Zauber ist, lässt sich höchstens erahnen. Ganz eindeutig ist jedoch Benedettas Entwicklung von der gottesfürchtigen Ordensfrau zum Machtmenschen. In ihrer neuen Position kann sie den lesbischen Trieben nachgeben und gleichzeitig ihren politischen Griff ausbauen. Dass die Pest in Florenz grassiert, passt da ganz gut ins Programm.
Verhoevens Film ist weit mehr als das blicklüsterne Auskundschaften weiblicher Fantasien. Das Gebilde von Macht, Sex und froher Botschaft verrät vieles über die Strukturen, die die Welt bestimmen, und das nicht nur in Zeiten der Renaissance. Die Frage nach Lüge und Wahrheit der Stigmata wird dabei fast zur Nebensache. »Benedetta« ist ein rundum gelungener Beitrag zu Verhoevens Filmografie, ein gewagtes Werk, das jedoch nie unnötig provokant wird. In Russland sah man das wohl anders, dort wurde der Film aus den Lichtspielhäusern verbannt. Hierzulande wird die Inquisition wohl gnädiger sein. ||
BENEDETTA
Frankreich 2021 | Regie: Paul Verhoeven
Mit: Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patakia u.a. | 127 Minuten
Kinostart: 2. Dezember
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