Kinderbuch-Illustratorin Binette Schroeder über die Entstehung ihres Klassikers »Lupinchen«, ihr neues Bilderbuch und die schönsten Komplimente.
Binette Schroeder im Interview
Die Magie der Bilder
Schon mit ihrem ersten veröffentlichten Bilderbuch schaffte Binette Schroeder 1969 den Durchbruch: »Lupinchen« verzauberte Mädchen und Jungen auf der ganzen Welt. Schroeder wurde in Hamburg geboren, wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf, absolvierte ein Grafikstudium an einer Münchner Privatschule und studierte in Basel an der Hochschule für Design. Für ihr künstlerisches Gesamtwerk erhielt sie 1997 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises, 2004 den Großen Preis der Akademie für Kinder- und Jugendliteratur und 2012 den Bayerischen Verdienstorden. Vor Kurzem erschien Schroeders Bilderbuch »Herr Grau & Frieda Fröhlich« (NordSüd Verlag). Die Internationale Jugendbibliothek in der Blutenburg beherbergt das Binette Schroeder-Kabinett mit dem Gesamtwerk der Künstlerin und ihrer Bilderbuchsammlung. Die 81-Jährige, deren Werke in 18 Ländern veröffentlicht wurden, lebt mit ihrem Mann Peter Nickl in Gräfelfing.
Sie haben viele wunderbare Figuren erfunden und mit Ihren Illustrationen zum Leben erweckt – fühlen Sie sich einer davon besonders nah?
»Lupinchen« ist nach wie vor die wichtigste für mich, und ich fühle mich ihr noch immer sehr stark verbunden. Nicht nur, weil das Buch mein größter internationaler Erfolg war, der mir sogar eine Lesereise in Japan beschert hat.
Welchen anderen Grund gibt es für Ihre besondere Verbindung?
Wahrscheinlich liegt es an der Entstehung der Figur, dass mir Lupinchen so ans Herz gewachsen ist. Ich lebte damals in Berlin und hatte gerade eine Liebesgeschichte mit einem Mann beendet. Es war ein herrlicher Frühlingstag, die Vögel zwitscherten, alles blühte, doch ich wollte nichts mehr von der Welt wissen. In meiner Wohnung in Steglitz zog ich die Vorhänge zu und legte mich ins Bett. Nach kurzer Zeit hatte ich plötzlich ein Bild vor Augen, wie ein Diapositiv, obwohl meine Augen geschlossen waren. Lupinchen! Ich stand sofort auf und zeichnete sie. Dann legte ich mich wieder hin, und prompt war dabald ein zweites Bild, das ich auch gleich zu Papier brachte. Und danach ging es mir wieder gut!
Sind Sie später oft auf solche Weise zu Ihren Ideen gekommen?
Leider nicht. In dieser Form ist das nie wieder passiert. Meist steckt ein Prozess hinter dem Entwickeln und Zeichnen einer Figur. Mal dauert er länger, mal kürzer – das ist immer wieder eine Überraschung. Bei Buchprojekten entwerfe ich zudem ein Storyboard, bevor ich mit dem Illustrieren beginne.
Welche gestalterischen Schritte folgen danach?
Da Aquarellpapier Wellen hat und ich glatte Flächen bevorzuge, arbeite ich auf einem speziellen, unglaublich hochwertigen Papier. Es wird leider nicht mehr hergestellt, aber zum Glück habe ich davon einen Vorrat angelegt. Darauf wische ich meine Hintergründe und Untergründe, mit Pastell, Tusche, Wasserfarben und einem Tuch, zunächst ganz locker, zum Beispiel Wolken mit leichter Hand. Hinterher gehe ich ins Detail, gerne mit Buntstiften. Ich bearbeite auch das Papier – mit einer Rasierklinge schabe, reibe und kratze ich, um etwa spezielle Lichteffekte zu erzielen. Grundsätzlich arbeite ich nicht großzügig aus dem Arm heraus wie mit einer Staffelei. Ich bin eher eine Fummeltante, die sich über das Papier beugt. Denn mir geht es um ganz reine, zarte Nuancen und darum, mit den Illustrationen Gefühle zu zeigen.
Die meisten Illustrationen entstehen heute am Computer. Kam das für Sie nie in Frage?
Nein. Bilder vom Computer sind für mich tot. Bei Computergesichtern fehlen fast immer das Leben und die Seele, was unglaublich wichtig ist, damit bei den Kindern auch wirklich die Gefühle rüberkommen können. Diese Entwicklung macht mich traurig. Dennoch sehe ich natürlich auch die Möglichkeiten eines Computers und verstehe die Faszination daran, aber er ist nicht nur eine tolle Sache, sondern auch ein Fluch.
Sie haben das Illustrationshandwerk von der Pike auf gelernt. Wie wichtig war für Sie rückblickend Ihre Ausbildung zur Gebrauchsgrafikerin in Basel?
Unglaublich wichtig! Wir haben damals mit dem Würfel angefangen und gemerkt, wie schwierig sogar diese scheinbar einfache Zeichenarbeit ist. Anschließend sind wir unter strenger Anleitung ganz allmählich in weitere Bereiche reingeschlichen: Wir lernten, Teller, Tassen, Licht und Schatten zu zeichnen. Irgendwann kamen auch das Aktzeichnen und Tierzeichnungen, für die ich mir beim Bauern Gockel und Kaninchen geholt habe. Ich war damals 22 Jahre alt und wurde in der Ausbildung trotzdem oft wie ein Schulmädchen zurechtgewiesen – das tat weh, war aber unheimlich gut für meine spätere Arbeit.
Ihre Illustrationen leben allerdings nicht nur von Ihrem handwerklichen Können, sondern auch von Ihrer Fantasie.
Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass ich noch immer ein bisschen ein Kind geblieben bin, und das empfinde ich als großes Glück. Viele meiner Ideen kommen einfach aus mir heraus. Manche sind sicher inspiriert von meiner Mutter, die Kostümbildnerin am Theater war und in deren Büchern ich als Mädchen begeistert geschnuffelt habe. Das war sehr anregend. Geprägt haben mich auch die Kunstbücher, die ich früher bei meinen Großeltern fasziniert studiert habe – sie mochten Breughel und Hieronymus Bosch. Dazu kam meine Nähe zum Surrealismus, die ich erst später umgesetzt habe. Magritte und Dalí verehre ich sehr, und es besteht tatsächlich eine entfernte Verwandtschaft zu ihnen in einigen meiner Bilder.
Sie sind in Hamburg geboren, aber in Bayern aufgewachsen. Welche Spuren haben diese unterschiedlichen Landschaften in Ihrem Werk hinterlassen?
Die Weite, Leere und Tiefe Norddeutschlands haben mich durch mein ganzes Leben getragen und meine Bilder stark geprägt. Breite, lange Landschaften finden sich in vielen meiner Bücher, und ich empfinde im Norden ein tiefes Heimatgefühl. Zwar bin ich hier in Bayern glücklich, aber die Berge waren mir immer fremd, wohingegen meine Mutter eine begeisterte Bergsteigerin war. Nördlich von Hamburg ist es platt wie ein Teller, und in dieser Landschaft geht mir vor Glück das Herz auf. Das schlägt sich natürlich in meiner Arbeit nieder. Meine Mutter machte übrigens Urlaub auf Sylt, als sie schwanger mit mir war, und noch heute fahren mein Mann und ich fast jedes Jahr auf die Insel.
In Ihrem neuen Buch »Herr Grau & Frieda Fröhlich« zeigen Sie einen grauen Mann, dessen Leben durch seine Nachbarin bunter und fröhlicher wird. Wie entstand dieser Gegensatz?
Ich wollte von Beginn an einen starken Kontrast haben. Da diese schräge ernste Person Herr Grau ein Gegenüber brauchte, eines, das knallt, entwickelte ich Frieda Fröhlich. Ihr Einfluss und ihre Lebensfreude verändern Schritt für Schritt Herrn Grau, und es hat mir großen Spaß gemacht, diese Entwicklung zu illustrieren. In gewisser Weise schließt sich mit dieser Geschichte ein Kreis für mich. Denn in meiner Ausbildung in Basel fing alles mit Schwarz-Weiß an, dann kamen das Grau und die vergrauten Töne, und erst danach tasteten wir uns zu den Farben hin.
Gibt es einen Grundsatz, von dem Sie sich bei Ihrer Arbeit leiten lassen?
Mir ist es wichtig, dass Bilder Geschichten erzählen. Auch ganz eigene, auch welche, die über die Geschichte im Buch hinausgehen. Deswegen lege ich so viel Wert auf Details – damit die Kinder daraufhin weiterdenken, sich eigene Gedanken machen. Wenn Illustrationen den Text eins zu eins wiedergeben, ist das stinklangweilig. Der Witz liegt in der Ergänzung. Für mich sind Kinder ernst zu nehmende Persönlichkeiten, und mit dieser Überzeugung illustriere ich auch für sie. Das darf gerne auch mal etwas dunkler oder fantasievoller sein als üblich, denn ich glaube, dass man Kindern mehr zumuten kann, als man denkt. Ich freue mich jedenfalls immer sehr, wenn ich sehe, wie sich durch meine Bilder bei den Kindern etwas entwickelt.
Was war das schönste Lob, das Sie für Ihre Illustrationen bekommen haben?
Wenn mir Erwachsene erzählen, dass sie meine Bücher behalten haben und weiterhin mit ihnen durchs Leben gehen, dann denke ich: Etwas Schöneres kann dir nicht passieren! Aber auch der unmittelbare Effekt auf Kinder kann wunderbar sein. Einmal sprach mich eine junge Frau in einer Buchhandlung an und erzählte, wie begeistert ihre kleine Tochter von meinem »Lupinchen« sei. Auf meine Nachfrage meinte die Mutter, dass ihre Tochter erst zwei Jahre alt sei, woraufhin ich doch etwas verdutzt war. Aber die Mutter lachte nur und sagte: »Die Geschichte versteht sie natürlich noch nicht – aber die Bilder!« Das ist vielleicht das Schönste: die Magie der Bilder! ||
BINETTE SCHROEDER: HERR GRAU & FRIEDA FRÖHLICH
NordSüd Verlag, 2021 | 32 Seiten | 15 Euro
Mehr zu aktuellen Bucherscheinungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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