Die Theater in München sind mitten in der Herbst-Spielzeit. Neben Shakespeare, Heiner Müller und Karl Kraus gibt es da auch Funk und ein Festival, das sich neu erfindet. Die kompletten Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Theater in München: Oktober 2021
Spielart Festival
Ausschließlich analog will Gastkuratorin Eva Neklyaeva zwei Wochen lang das Köşk in der Schrenkstraße 8 als olfaktorisches Festivalzentrum »Nose« mit Düften und Gerüchen aus aller Welt bespielen und daran nach dem Motto »Make sense of scents« auch politisch-soziologische Betrachtungen anknüpfen, vor allem aber (be-)sinnliches Schwelgen zu Tänzen und Klängen mit open access für alle. (Silvia Stammen)
SPIELART
Verschiedene Spielorte | 22. Okt. bis 6. Nov. | Tickets: 089 45818181
Unsere Zeit
Die Warenförmigkeit unseres Lebens und der Tauschhandel sind zentrale Motive des Abends. Gier rules, das Milieu ist nicht abzustreifen. So schaute Horváth auf die Jahre zwischen den Weltkriegen, und so schaut Stone auf die Zeit zwischen 2015 und heute und versucht über fast sechs Stunden eine Spur zu ziehen von Merkels »Wir schaffen das!« bis zum moralischen Bankrott des Westens. Dabei orientiert er sich allerdings eher an Stammtischparolen und aktuellen #MeToo-, Gender-, Rassismus- und Klassismus-Debatten als an realen Menschen. (Sabine Leucht)
Residenztheater | 2.–6., 27., 28. Okt. | 17 Uhr | Tickets:
089 21851940
Die Wahrheiten
Lutz Hübner und Sarah Nemitz haben ein Händchen dafür, gesellschaftliche Probleme in dichte Konversationsstücke zu überführen. In »Die Wahrheiten«, das Jochen Schölch nun am Metropoltheater inszeniert hat, nehmen sie sich gleich mehrerer Themenkomplexe an: der MeToo-Debatte auf der einen Seite, der Frage nach der Objektivität von Erinnerungen auf der anderen. (…) Das Stück ist voll von pointierten Dialogen, die dem Muster französischer Komödien wie »Der Vorname« oder »Der Gott des Gemetzels« folgen: Alles sieht harmonisch aus, dann genügt ein Moment, um eine Lawine ins Rollen zu bringen, die keiner mehr aufhalten kann. (Anne Fritsch)
DIE WAHRHEITEN
Metropoltheater | Floriansmühlstr. 5 | 23.–26., 29., 30. Nov., 2.–6. Dez. | 19 Uhr | Tickets 089 32 19 55 33
Richard III.
Die Textfassung ist ziemlich salopp: »Na endlich« nach einer Enthauptung. Große Monologe gerinnen zu Rocksongsoder Balladen nach Shakespeare-Sonetten, begleitet von Götz Otto auf der E-Gitarre. Der Eingangssatz vom »Winter unseres Missvergnügens« wird erst später kurz anzitiert, und der Schrei »Mein Königreich für ein Pferd« fällt aus – vor der Endschlacht rafft Richard seine Paranoia dahin. (Gabriella Lorenz)
RICHARD III.
Hofspielhaus | Falkenturmstr. 8 | 20., 21., 29., 30. Okt. | 20 Uhr
Tickets 089 24209333
Wildnis
Petra Wintersteller spiegelt in ihrem dezidiert bayerischen Drama »Wildnis« im theater … und so fort das neue Volksstück der 60er- und 70er-Jahre, das dem Komödienstadel die ungeschönte Darstellung von Land- und Dorfleben, von Enge und Intoleranz entgegensetzte. Ihre Protagonisten sind entwurzelte Dörfler, die in den Sechzigern in Trudering leben, am Stadtrand von München, hinter dem Acker und Wald begannen, bevor Neuperlach gebaut wurde. (Christiane Wechselberger)
WILDNIS
theater … und so fort | Hinterbärenbadstr. 2 | 24.–27. Nov., 1.–4. Dez. | 20 Uhr | Tickets: 089 23219877
Die letzten Tage der Menschheit
Kaum jemand hat den Wahnsinn eines Krieges drastischer in Bühnenszenen gepackt als der große Wiener Satiriker Karl Kraus, der 37 Jahre lang bis zu seinem Tod 1936 die Zeitschrift »Die Fackel« publizierte. Daneben sammelte er ab 1915 Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg für seine Tragödie »Die letzten Tage der Menschheit«. Größtenteils wörtlich fasste er Zitate aus Verordnungen, Briefen, Erlässen, Gerichtsurteilen, Tagebüchern in 220 Szenen, satirisch durchmischt mit der Volksmeinung, die nach 100 Jahren wieder fatal aktuell klingt. 16.000 Seiten hatte die erste Buchausgabe 1922. »Unspielbar«, fand Kraus selbst. Aber immer wieder brachten Kabarettisten und Theatermacher Auszüge auf die Bühne. Im Teamtheater inszenierte jetzt Georg Büttel seine Textauswahl als schnelle Revue in zwei pausenlosen Stunden. Und weil niemand 16.000 Seiten liest, lohnt sich das Anschauen. (Gabriella Lorenz)
Funky Town
Die Illusion der Tollpatschigkeit ist ein beliebtes und immer wieder zündendes Mittel im Varieté, das auch Monsieur Chapeau glänzend beherrscht. Aus Koffern, Rollen und einem Brett baut er sich die windschiefsten Konstruktionen, auf denen er balanciert. Sein anfängliches Scheitern an ihnen nährt die Angst des Publikums vor jedem weiteren Versuch. Wider besseres Wissen fiebert man ernsthaft mit diesem
wahnsinnigen Schwindlergenie mit. Gegen gleich drei von ihnen haben es Artisten, die in den klassischeren Disziplinen einfach nur richtig gut sind, manchmal schwer. Dass der Abend dennoch rundum gelingt, liegt neben der unbedingten Hingabe und Energie jedes Einzelnen auch an der Musik, die ihn von der ersten Minute an trägt. Keine Geschichten diesmal, kein anderer roter Faden als funky Jazz-Soul-Swing-Pop. Der fährt einem selbst im Sitzen in den Körper und bleibt da erst mal. Gute Laune garantiert! (Sabine Leucht)
FUNKY TOWN
GOP Varieté-Theater | Maximilianstr. 47 | bis 7. Nov.
Di bis Do, 20 Uhr, , Fr, Sa 17.30 und 21 Uhr, So 14 und 18 Uhr
Tickets: 089 210288444
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT
Teamtheater | Am Einlass 2a | bis 16. Okt. | Mi –Sa 20 Uhr
Tickets 089 2604333
Aufgestaut
Kemmler inszeniert konventionelles Typenkabarett mit schnellen Rollenwechseln, ohne formale Experimente. Die Szenen werden passgerecht getriggert von life gesungenen umgetexteten Popsong-Zitaten (die Musik haben Veronika Bittenbinder, seit Kurzem verheiratet mit Sebastian Fritz, und ihr Vater Heinz Braun produziert). Das Ende steuert leicht ins Absurde: Beiläufig passiert ein Mord und bei Wassermangel könnte man Kannibalismus in Erwägung ziehen. Ungelöst bleibt die über allem schwebende Frage: Wie soll’s weitergehen? (Gabriella Lorenz)
AUFGESTAUT
Lach- und Schießgesellschaft | Ursulastr. 9 | 20.–23. Okt., 9.–13., 16.–20. Nov., 4., 7.–9., 14.–18., 21.–23., 27.–30. Dez.
20 Uhr | Tickets: 089 396129
Ankündigung einer Voralberger Theatergruppe in Zeiten der Pandemie
Stefan Kastner meint in der Coronazeit ein wachsendes Interesse für das Banale ausgemacht zu haben, spricht leise kulturpessimistisch vom »Geist, der zurück in dieFlasche geht« und wischt dann wieder jeden romantischen Anflug weg. Das Konzept für seine neue Produktion mit dem Titel »Ankündigung einer Vorarlberger Theatergruppe in Zeiten der Pandemie« klingt dafür ungewohnt pragmatisch: Angesichts der Unwägbarkeiten der Corona-Krise wollte er alleine damit auf Tour gehen können. (…) Acht Leute und vier Drehtage sind für rund 30 Minuten Film vorgesehen; und auch einige Kastner-Inszenierungen zuvor hätte man schon als »Abend zwischen Bühne und Leinwand« untertiteln können, als der »Ankündigung …« firmiert. (Sabine Leucht)
ANKÜNDIGUNG EINER VORARLBERGER THEATERGRUPPE IN ZEITEN DER PANDEMIE
Schwere Reiter | Dachauer Str. 114 | 25.–27. Okt.
Tickets
Die Schlacht – Leben in der Barbarei oder: jeder gegen jeden
Heiner Müllers Stücke stehen in München eher selten auf dem Spielplan. Jetzt bringen Regisseurin Eos Schopohl und Dramaturg Boris Heczko Müllers Miniaturen »Die Schlacht« ins Mucca31. In fünf Szenen schildert der Dramatiker, wie die gebetsmühlenartig beschworene Volksgemeinschaft der Nazis sich in nichts auflöst. Sogenannte einfache Menschen töten sich gegenseitig um eines Vorteils willen. Opportunismus, Brutalität und Entsolidarisierung reichen bis tief in private Beziehungen und Familien hinein. (Christiane Wechselberger)
DIE SCHLACHT – LEBEN IN DER BARBAREI ODER: JEDER GEGEN JEDEN
dasvinzenz im Mucca31 | Dachauerstr. 114
11., 15., 16., 22., 23. Okt. | 20 Uhr | 17., 24. Okt. | 18 Uhr
Tickets: info@dasvinzenz.de
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