Elsa-Sophie Jach bringt Herbert Achternbuschs Drehbuch »Herz aus Glas« auf die Bühne.
»Herz aus Glas« am Residenztheater
Vorwärts in die Vergangenheit
»Die Zukunft war früher auch besser« – Karl Valentins Hintersinn trifft derzeit mal wieder voll ins Schwarze. Dabei gab es immer schon dunkelsehende Propheten. Einer, der mitten im 18. Jahrhundert Katastrophen und Krankheiten vorhersagte, die aus heutiger Sicht an Klimawandel und Corona denken lassen, war der Mühlhiasl aus dem Bayerischen Wald. Ob er wirklich gelebt hat, ist nicht ganz gesichert, umso aktueller wirken jedoch manche der unter seinem Namen überlieferten Prognosen: »Der Wald wird licht wie dem Bettelmann sein Rock. … Das Wetter wird sich ändern. Wein wird bei uns angebaut und Obst gibt’s, das ich nicht kenn.« Oder: »Die Leut werden krank und niemand kann ihnen helfen.« Und immerhin noch ein halb tröstlicher Ausblick: »Die wenigen, die’s überleben, werden sich zusammentun und sich mit Bruder und Schwester grüßen.«
Mitte der 1970er Jahre hat Herbert Achternbusch den bodenständigen Visionär in sein frühes Drehbuch »Herz aus Glas« hineingeschrieben und mit einer Geschichte über die Suche nach dem verlorenen Geheimnis der Herstellung eines kostbaren Rubinglases verknüpft. Werner Herzog machte daraus 1976 einen bizarren Film mit Naturaufnahmen wie aus prähistorischer Vergangenheit, kerzenbeleuchteten Interieurs, einer Schar angeblich durchweg hypnotisierter Laiendarsteller und dem sehr jungen Josef Bierbichler als Hias, der mit undurchdringlicher Miene vor sich hin spricht und mit einem unsichtbaren Bären kämpft. Ein Werk, das in Erinnerung bleibt wie ein unbegreifliches Tranceerlebnis und das auf die Bühne zu bringen sicher nicht auf der Hand liegt.
Im Marstall versucht die junge Regisseurin Elsa-Sophie Jach denn auch gar nicht, auf ästhetische Weise an den Film anzuknüpfen, sondern sucht im Text nach Umschreibungen für das Befremdliche der Gegenwart. Und Berührungspunkte gibt es durchaus, lässt sich doch der Schreckensruf der Glasbläser »Die Hüttn brennt!« geradezu wortwörtlich in Greta Thunbergs Mahnung »Our House is on fire!« auf dem Weltwirtschaftsforum übertragen.
Bühnenbildnerin Marlene Lockemann definiert den Assoziationsraum dennoch eher historisch durch ein putzig-verwunschenes hölzernes Fabrikhäuschen mit rauchenden Schloten und mal vor-, mal rückwärts laufender Wanduhr, deren Fassade im entscheidenden Moment nach außen aufbricht und nur noch geisterhaft leuchtende Umrisse im leeren Raum stehen lässt. Aus den Fenstern lugen fahl geschminkte Gestalten unter turmhohen Barockperücken, die sich in pastellfarbenem gewetzten Casual-Look (Kostüme: Johanna Stenzel) zu einem Chor schrill-ängstlicher Bedenkenträger formieren. Warum sie fast die gesamte verwirrende Handlung des Drehbuchs in stockendem Sprechgesang vortragen müssen, erschließt sich dabei nicht recht. Wer den Film kennt, wird die Bilder vermissen, und wer nicht, steht hier ohnehin ziemlich im Wald.
Für treibende Unruhe sorgt der Elektrosound, den Samuel Wootton live in Schlagzeug und Synthesizer hämmert, und vor allem Pia Händler als unbeirrbare Seherin, die aus dem brütend in sich versunkenen Sonderling bei Herzog eine zunächst noch nach innen konzentrierte, dann aber glutredend, wutspuckende Greta-Kassandra macht. Anfangs versteckt unter einem seltsam gewundenen Objekt – verkohltes Gehirn oder Scheißhäuflein der Geschichte – fordert sie die bräsigen Perückenmenschen zur Umkehr auf, denn »in einer verkehrten Welt muss man rückwärts laufen, um vorwärtszukommen«. Eine Perspektive, die angesichts der zitierten Vergangenheit nur wenig Beruhigendes hat. ||
HERZ AUS GLAS
Marstall | 28. Sept., 3. Okt. | 20 Uhr | 9. Okt. | 19 Uhr
Tickets: 089 21851940
Weitere Theaterkritiken gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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