Die Krimis von Christof Weigold haben ihre Wurzeln mitten in Schwabing – wir trafen den Autor auf einen Spaziergang.
Christof Weigold
Vom Hohenzollernplatz nach Hollywood
Drehbuchautor und Schriftsteller Christof Weigold ist Wahlschwabinger. Der gebürtige Mannheimer wuchs nahe Bern auf, studierte in München und unternahm hier erste Versuche als Dramatiker. Abstecher nach Köln zur »Harald Schmidt Show« und Ausflüge ins Schauspiel sind nur vermeintliche Umwege zu seiner Krimireihe um den Privatdetektiv Hardy Engel.
Wer sich mit Christof Weigold unterhalten will, muss Zeit mitbringen. Allein das Telefonat für das Verabreden eines Termins wirft, hektisch mitnotiert, Geschichten für eine ganze Artikelserie ab – aber auch einen naheliegenden Startpunkt für einen gemeinsamen Spaziergang: Im Foyer des Münchner Studio Isabella habe er zu Unizeiten immer gepokert, so Weigold – bis sich das Kinopublikum wegen des Lärms beschwert habe. Die Wände im Filmkunsttheater seien recht dünn gewesen.
Schwabing also, ein Kinospaziergang. Zwar soll es um die drei Kriminalromane gehen, die Christof Weigold innerhalb von nicht ganz drei Jahren veröffentlicht hat, jeder für sich über 600 Seiten stark. Aber das Kino und Hollywood, sie sind nicht wegzudenken aus den Büchern. Das Filmbusiness ist nicht nur Kulisse und Inventar für eine beliebige Krimireihe, nein, das Hollywood der 1920er Jahre ist pulsierende Lebenswelt und Gedankenraum zugleich, die Romane beinahe nebenbei Filmund Zeitgeschichtsschreibung. Um das Personal steht es ähnlich. Viele der Figuren und ihre Rollen in der Traumfabrik sind historisch belegt: der Universal-Gründer Carl Laemmle, Charlie Chaplin, Roscoe Arbuckle.
Beim Treffen vor dem Studio Isabella erzählt Weigold, dass er hier kurz nach seiner Ankunft in München die Gebrüder Taviani bei einer Vorstellung gesehen hat. Damals war er 19 und gerade dabei, Filmgeschichte nachzuholen. In seinem Heimatort gab es kein Kino. Erst mit dem Führerschein habe er regelmäßig nach Freiburg fahren und dort ganze Tage im Kino verbringen können – »Ragtime«, »Achteinhalb« und »Was?« beispielsweise. In München setzte er das dann im Filmmuseum fort, auch in der Lupe 2 und eben im Isabella. Ob der Taviani-Film »Good Morning Babylon« gewesen sei, wisse er nicht mehr genau – es würde passen. Auch da ging es um das frühe Hollywood. Das habe ihn schon immer fasziniert. Deshalb scheint es auch nur folgerichtig, dass die Krimireihe um den Privatdetektiv Hardy Engel auch auf realen Fällen aus dieser Zeit basiert: In »Der Mann, der nicht mitspielt« greift Weigold einen Mord auf, der dem Komiker Roscoe Arbuckle angehängt wurde, »Der blutrote Teppich« dreht sich um den mysteriösen Tod des Regisseurs William Desmond Taylor. »Die letzte Geliebte« konzentriert sich auf den Initiator des Production Code, William Hays, und nimmt zudem die Verwicklungen zwischen Hollywood und der amerikanischen Politik in den Fokus.
Weigolds Protagonist mag fiktiv sein, ist aber trotzdem in allen Belangen ein Kind seiner Zeit. Hardy Engel ist Mannheimer, gescheiterter Schauspieler und aus Geldnot eben Privatdetektiv. Immerhin scheint er ein gewisses Talent für den Job zu haben. Mit der Trambahn fährt er zu aussichtslosen Castings, plaudert mit Bekannten, um nicht gänzlich unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren zu müssen. Engel ist aus Weigolds Liebe zu Raymond Chandlers Hardboiled-Krimis um den Privatdetektiv Philip Marlowe entstanden: Damals, als 18-Jähriger in seiner
ersten WG in der Hohenzollernstraße, mit Blick auf die Tramschienen, entwickelte er die ersten Ideen und schrieb Entwürfe – ganz nach dem Motto »write what you know.« Deshalb ließ er Hardy dann auch mit der Tram durch L.A. fahren. »Das weiß ja heute kaum noch jemand, dass es damals in Los Angeles ein Trambahnnetz gab. Die Info hatte ich aus dem Film ›Falsches Spiel mit Roger Rabbit‹ und habe dann danach recherchiert.«
Für Weigolds Schreiben, so scheint es, ist seine Wahlheimat Schwabing essenziell. Immer wieder bleibt er stehen, deutet auf einen Balkon in der Adalbertstraße – seine erste eigene Wohnung – er sei Nachmieter von Wim Wenders gewesen. Auf seinen Spaziergängen sei er immer am Haus von Helmut Dietl vorbeigekommen. »Ich hatte nie etwas mit ihm zu tun, aber ihn oben im Fenster beim Arbeiten zu sehen, das allein war schon inspirierend.« Deshalb kehrte er nach mehreren Jahren bei der Harald Schmidt Show auch aus Köln wieder hierher zurück. Die vielen Umzüge hätten ein Gefühl der Heimatlosigkeit bei ihm hinterlassen. Vielleicht sei das auch die Verbindung zu Hardy, der ja in die USA geht, um eine Heimat zu finden, überlegt er. Er selbst habe nie dort gelebt, könne aber die Sehnsucht nachvollziehen.
»Ich kenne mich in Hollywood natürlich nicht aus; aber im Filmgeschäft«, so Weigold. Da habe ihm seine Zeit als Autor und Darsteller bei der Harald Schmidt Show geholfen, auch seine langjährige Tätigkeit als Drehbuchautor. »Da weiß man nach einiger Zeit ganz gut, wie Produzenten und Stars denken und reden, was für Absurditäten und auch Profanitäten es da gibt.« Auch sein Schauspieldebüt in Alexander Adolphs »Der große Rudolph« (2018) sei sehr hilfreich gewesen. Einige Anekdoten vom Set habe er den historischen Figuren zugeschrieben, schmunzelt er. »Ich sage natürlich nicht, welche. Aber ich wusste, dass ich etwas tun muss, damit diese Figuren authentisch wirken.« So habe er Fakt und Fiktion verwoben, und man muss sagen: Das ist vortrefflich gelungen. Die Romane sind allesamt detailverliebt und voll mit Hintergrundwissen, ohne die Krimistruktur zu überdecken.
Eine Auswahl der Bücher, die er für die Hintergrundrecherche verwendete, hat Weigold auf seiner Homepage zusammengestellt – eine beeindruckende Sammlung historischer Abhandlungen zum Studiosystem, technischen Entwicklungen und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen, zudem unzählige Biografien und Memoiren, die jeder Filmgeschichtsvorlesung mehr als Leben einhauchen würden. »Manche Details sind schlichtweg Beifang. Wenn man explizit danach suchen würde, käme man sicherlich nicht drauf.« Die Geschichte des ersten Abhörskandals etwa oder eine Anekdote über die Drehbuchautorin Jeannie MacPherson, die einen Diebstahl beging, um für Recherchezwecke im Frauenknast zu landen – eine Geschichte, die zu schön gewesen wäre, um sie nicht mit in den Krimi zu nehmen. Weigold schreibt sie im dritten Roman Hardy Engels Partnerin Polly zu.
Der Entwurf zum Roman lag dann zunächst mehrere Jahrzehnte in der Schublade. »Der eigentliche Entschluss, das wiederaufzunehmen, fiel erst kurz vor meinem 50. Geburtstag. Da habe ich mich gefragt, ob ich wirklich bis zu meinem Lebensende Fernsehfilme schreiben möchte.« Das war vor etwas mehr als fünf Jahren, und Weigold schrieb einfach – ohne Verlag oder Agentur stellte er den ersten Band innerhalb von neun Monaten fertig, blieb hartnäckig und fand eine Agentin und schließlich bei Kiepenheuer und Witsch eine Lektorin. Ende 2017 lagen die ersten Probeexemplare vor.
Ja, die drei Romane habe er sehr schnell geschrieben – eigentlich wie alles, was er produziert. Momentan arbeite er an etwas anderem, um auch mal den Kopf wieder frei zu bekommen. Die Ideen für weitere HardyEngel-Fälle seien jedoch da, sagt er bei der Verabschiedung schmunzelnd. Einige Tage später kommt noch per Mail nachgereicht die Info: Er werde die Reihe ab 2023 im Zürcher Kampa-Verlag fortsetzen. ||
CHRISTOF WEIGOLD BEI KIEPENHEUER & WITSCH:
DER MANN, DER NICHT MITSPIELT. HOLLYWOOD 1921: HARDY ENGELS ERSTER FALL
2018 | 640 S. | 10 Euro
DER BLUTROTE TEPPICH. HOLLYWOOD 1922: HARDY ENGELS ZWEITER FALL
2019 | 640 S. | 16 Euro
DIE LETZTE GELIEBTE. HOLLYWOOD 1923: HARDY ENGELS DRITTER FALL
2020 | 656 S. | 16 Euro
Weiteres aus Literatur und Film gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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