Der Name Freies Theater München stand stets für einen unverkennbaren Stil: Das FTM erinnert an seine 50-jährige Geschichte – mit einem Jahr Verspätung
Freies Theater München
Die Welt als Formwille und Theatervorstellung
Die fünfzigsten Geburtstage häufen sich: Im Januar vergangenen Jahres feierte das TamS sein halbes Existenz-Jahrhundert, jetzt ist das FTM an der Reihe – gefeiert wird pandemiebedingt erst diesen September mit einem Jahr Verspätung. Rechnet man 50 Jahre zurück, wird einem im Nachhinein mit Staunen und Wehmut klar, welch eine kreative Aufbruchszeit die späten 1960er und die 1970er Jahre in München waren. Gerade in der freien Szene. Das TamS hatte für seine Valentinaden in einem ehemaligen Tröpferlbad eine Heimstatt gefunden, das TiK machte sich nach zwei Produktionen in Schwabing auf den Weg ins Neubauviertel Neuperlach. Das Theaterkollektiv Rote Rübe provozierte weiß geschminkt mit linken Agitationsstücken. Alexeij Sagerer etablierte sein proT in der Isabellastraße. In der Müllerstraße tobten seit Ende der Sechziger Fassbinder und das Action-Theater (später Antiteater). Wo heute im Sommer die Tollwood-Buden stehen, veranstaltete der Impresario Thomas Petz Ende der Siebziger die ersten internationalen Theaterfestivals der freien Szene, darunter immer auch mit Münchner Truppen. Und mittendrin war das FTM (Freies Theater München), das der Tänzer, Choreograf und Regisseur George Froscher 1970 gegründet hatte und im Schwabinger Fäustlegarten »Die Soldaten« von Lenz spielte. Das Lokal in der Kaiserstraße wurde später zur legendären Kabarettkneipe Heppel & Ettlich.
George Froscher war gebürtiger Berliner – mit der dazugehörigen unverblümt herzerfrischend frechen Schnauze und später stets umwölkt von Knoblauchduft. Er studierte an der Folkwang-Schule Tanz bei Kurt Jooss, arbeitete bei Jean-Louis Barrault in Paris, Anfang der Sechziger in den USA mit dem Living Theatre und Tanz-Ikone Martha Graham. Und gründete 1970 das FTM, zusammen mit seinem Lebens- und Arbeitspartner Kurt Bildstein, der stets sein Protagonist war. Fast jährlich brachten sie ein Stück heraus, nach meist zeitgenössischen Autoren, an denen man sich heftig reiben konnte: Heiner Müller, Beckett, Handke, aber auch Dostojewski und Lenz. Nach dessen »Soldaten« folgte die Aufführung »Ein Indianer in der Bronx« im gerade entstandenen TamS, dann fand das FTM in der Münzstraße 7 eine Wohnung als Spielstätte. Zum Markenzeichen von Froschers Inszenierungen wurden streng formale Gruppenchoreografien und skandiertes Chor-Sprechen. Das FTM bereiste die ganze Welt von Neuseeland bis Brasilien, hielt in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut überall Workshops, oft mit Straßentheater-Aufführungen vor Ort. Denn das Straßen- und Stelzentheater, das es in München sonst kaum gab, gehörte seit 1976 (da spielten sie schon in der Wörthstraße) auch zu ihren Ausdrucksmitteln. Einen festen Raum wollte Froscher danach nicht mehr – zu belastend. Er suchte immer neue Proben- und Aufführungsorte. Für seine unermüdliche schöpferische Entdeckerlust erhielt er 2002 den Münchner Theaterpreis. Am 10. November 2015 starb er mit 88 Jahren.
Sein Lebensgefährte Kurt Bildstein organisiert jetzt in Kooperation mit dem Deutschen Theatermuseum zum nachgeholten 50. Jubiläum unter dem Titel »50+1« am 18. und 19. September eine Werkschau mit Fotoausstellung, Videoinstallationen, Tischgesprächen und kleinen Straßentheateraktionen. Zum Auftakt am 18. September führt die »Schwarze Prozession«, eine Stelzentheater-Prozession (mit FigurenZitaten aus den FTM-Produktionen) um 12 Uhr vom Odeonsplatz zum Veranstaltungsort Pathos-Theater. Denn dessen Raum hatten Froscher und Bildstein einst als leere Fabrikhalle entdeckt und bei der Stadt die Umnutzung zum Theater erreicht. Das umfangreiche Videoarchiv des FTM wird dann auch Bestandteil einer für Mai 2022 geplanten Ausstellung im Theatermuseum über die freie Szene Münchens.
Kurt Bildstein, heute 78, war 26 und Architekturstudent, der lieber Theater machen wollte. Als Froscher Ende der Sechziger sein »Actor’s Studio« (nach dem US-Vorbild) in München eröffnete, wurde er dort Schüler. Und war von der ersten bis zur letzten Minute dabei – bei Froscher und dem FTM. Von 1972 an wohnten die beiden in einem aufgelassenen Schulhaus in Gebrontshausen, in dessen vielen Zimmern sich Dekorationen und Requisiten lagern ließen. 2014 verkauften sie das Gebäude und zogen nach München. Die Auflösung und Entsorgung des Fundus war mühsam – es war ja alles ein Stück Vergangenheit. Danach pflegte Kurt den schon seit Längerem krebskranken George.
Nach dessen Tod hat Kurt Bildstein die Arbeit des FTM mit zwei eigenen Inszenierungen, »Jacky – Pursuit of Happiness« und »Pop Amok« weitergeführt, Stücke des Autors Markus Riexinger, der selbst beim FTM gespielt hatte. Denn das FTM hatte immer die Arbeit mit Nachwuchskünstlern gepflegt. Jetzt ist Kurt Bildstein zunächst mit dem Jubiläum und den Ausstellungsvorbereitungen voll ausgelastet, daher wird es keine neue Produktion, sondern eine Wiederaufnahme von »Pop Amok« geben. ||
DAS FTM-JUBILÄUM 50+1/POP AMOK
Pathos Theater | 18., 19. Sept./23., 24., 25. Sept. | 12–24 Uhr/21 und 22 Uhr (25.9.)
Mehr zum Theater in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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