Das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne zeigt mit »Taiwan acts!« städtebauliche Projekte, die im engen Dialog mit den beteiligten Nutzern entstanden sind.
Taiwan Acts! Architektur im Dialog mit der Gesellschaft
Gebautes Miteinander
Warum nur müssen es häufig Naturkatastrophen sein, die Planer – und vielleicht sogar die Gesellschaft, für die sie tätig sind – zum Umdenken bringen? Oder ist das Zwang? Erst wenn es (fast) zu spät ist, wird gehandelt. Wie schade. Wenn man doch schon vorher weiß, dass es auch besser geht. In Taiwan war es im September 1999 das verheerende Jiji-Erdbeben, in dessen Folge sich Architekten fragten, ob die bisherigen Methoden der (leider immer noch) vorherrschenden marktorientierten Top-Down-Planung noch zeitgemäß seien. Seither entstanden in Taiwan zahlreiche Architekturinitiativen, die die Lebensbedingungen für alle Bewohner des Landes sozialer und nachhaltiger gestalten wollten. Sie betonen die gesellschaftliche Verantwortung von Architektur. Diese Baumeister wollen nicht für die Gewinne der Immobilienwirtschaft bauen (wozu sie freilich auch selber zählen), sondern für die Menschen, die ihre Kreationen ja benutzen.
Das Architekturmuseum der TU München widmet diesen Initiativen unter dem Titel »Taiwan acts! – Architektur im Dialog mit der Gesellschaft« eine sehenswerte, üppige Ausstellung mit mehr als 100 Projekten, 60 anschaulichen Modellen, vielen Videos und zahllosen, riesigen Fotografien. Eine überaus eindrucksvolle, anschauliche, informative Materialschlacht in fünf Kapiteln.
Der Anfang widmet sich dem in Yilan an der Nordostküste der Insel tätigen Sheng-Yuan Huang und seinen »Fieldoffice Architects«, sozusagen dem Doyen der taiwanesischen Partizipations- und Beteiligungs-Architektur. Er begann schon 1994 mit der Revitalisierung des historischen Stadtkerns von Yilan. Dabei arbeitete das Team nicht nur architektonischplanerisch. Sie initiierten, sie vermittelten und sie benutzten auch die verschiedenen öffentlichen Projekte, die sie betreuten.
Es begann mit einer Fußgängerbrücke, die gar nicht vorgesehen war – aber der sinnvollen Verbindung zweier Teile der Stadt diente. Die Planer kamen auf die Idee, eine hässliche Autobahnbrücke dafür zu nutzen: mit vielen positiven Folgen. Den Steg hängten sie als begrünten Käfig unter die Betonbrücke, die damit nicht mehr ganz so hässlich war. Selbst die Räume unter den Betonpfeilern konnten nun genutzt werden: Schaukeln, die noch darunter angebracht sind, machten aus dem einst unwirtlichen Ort einen Treffpunkt für Kinder und Jugendliche. Die Uferpromenade erhielt durch weitere neue Gestaltungen nicht gekannte Aufenthaltsqualitäten. Im Austausch mit Anwohnern, Passanten, Behörden trieben die Architekten auch grüne fußgängerfreundliche Korridore durch die Stadt – ein Plan zeigt, wie sie verlaufen.
Ein großes Ziel dieses pro-aktiven Partners in der Stadtgestaltung war, eine inspirierende städtische Atmosphäre durch neue Begegnungsräume und Wege zu schaffen und die Sicherheit für Fußgänger zu erhöhen. Viele faszinierende Beispiele zeigen, mit welch unkonventionellen Mitteln dabei gearbeitet wurde. Zum einen gelangen die Interventionen mit teils sehr niedrigen Budgets. Zu anderen riefen viele davon die fast vergessene Geschichte der Stadt in Erinnerung. So fanden etwa recycelte Materialien und Fragmente aus der ursprünglichen Funktion Verwendung.
Es entstand ein urbanes Patchwork aus Alt und Neu. Manche vergleichen das mit der Restaurierung eines alten Teppichs, in welchen neue Fäden in das beschädigte Textil eingewebt wurden. Solche Projekte sind freilich nur zu realisieren, wenn viele Kräfte an einem Strang ziehen. Und vor allem die Stadtverwaltungen mit dabei sind.
Im 500 000-Seelen-Ort Hsinchu an der Nordwestküste war Bürgermeister Lin die treibende Kraft. Innerstädtische Flächen wurden vitalisiert, Straßen, Plätze, Verkehrsknotenpunkte mit Wegen und Grünflächen fußgängerfreundlicher gestaltet. In Parks wurde die Aufenthaltsqualität durch Bänke, Toiletten und etwas romantischere Wegeführungen verbessert. So konnte mit vielen kleinen Maßnahmen, die jedoch einer klaren Strategie und vielen Richtlinien folgten, in relativ kurzer Zeit – seit 2014 – viel erreicht werden. Lin setzte auf ein Beraterteam von Architekten, Städte- und Landschaftsplanern. Zuerst wurden die für die Stadterneuerung relevanten Orte bestimmt.
Orte, an denen öffentliches Leben toben kann und die Potential für die Entlastung der vorhandenen Fußgängerzonen bieten. Der Stadtpark und der während der japanischen Herrschaft errichtete, sehr europäisch-amerikanisch wirkende neoklassizistisch-historistische Hauptbahnhof wurden als Brennpunkte für das neu entwickelte komplexe Fußgängerleitsystem bestimmt. Ringwege entstanden und zusätzliche Verbindungen. Grundlegende Kriterien waren: hohe Aufenthaltsqualität, kurze Wege, Machbarkeit – wobei freilich die Nachbarschaft miteinbezogen wurde und viele Workshops angehalten wurden. Ein auch für europäische Verhältnisse hochinteressantes Projekt.
Weiters werden zehn Entwicklungsprojekte präsentiert, bei denen die Partizipation im Vordergrund stand. Im Gegensatz zu den üblichen geschlossenen Planungsprozessen haben hier Aktivisten und engagierte Bürger unter Beteiligung von Fachleuten und Verwaltung disziplinübergreifend kreativ gewirkt. Die Projekte, die häufig »von unten« (Bottom-up) betrieben wurden, suchten oft nach lokalen Lösungen für durch bekannte Probleme entstandene Missstände: etwa Armut, Zersiedelung, Umweltverschmutzung, Exklusion ethnischer Gruppen. So wurde zum Beispiel ein beeindruckender Ort für einen Stamm von Ureinwohnern geschaffen, die heute etwa zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen und ursprünglich aus dem polynesisch-australischen Raum stammen. Auch alte Bautraditionen wurden wiederbelebt: mit den ButterflyBambus-Pavillons in Nantou. Bambusbauten, die teils auch noch auf hohe Stämme gesetzt wurden, schätzte man deshalb in der Südsee, weil sie Wind und Wetter trotzen und auch wilde Tiere und viele Insekten abhalten können. Die Bauten schwingen sanft im Wind, biegen sich elegant im Sturm und lassen zerstörerische Fluten unter sich einfach durchrauschen. Eine Lösung für hochwasserbedrohte bayerische Landstriche? Wahrscheinlich eher nicht. Aber viele andere Projekte aus Taiwan besitzen, so wie es aussieht, wirklich Vorbildcharakter. ||
TAIWAN ACTS! – ARCHITEKTUR IM DIALOG MIT DER GESELLSCHAFT
Pinakothek der Moderne, Architekturmuseum der TU München | Barer Str. 40 | bis 3. Oktober | Di–So 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr
Online-Ticket-Buchung mit Zeitfenstern | Führung mit Pia Nürnberger: 5., 16., 25., 30. Sept.
Der Katalog (Verlag: ArchiTangle; 320 Seiten, 350 Abb.) ist im August erschienen
Weitere aktuelle Ausstellungen in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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