Nana Oforiatta Ayim spricht über ihren Roman »Wir Gotteskinder« und Rassismus in Deutschland.
Nana Oforiatta Ayim
»Kultur gibt es überall«
Nana Oforiatta Ayim zählt zu den »12 wichtigsten Frauen aus Afrika, die Geschichte schreiben«, meint die digitale Medienplattform »Okay Africa«. Ayim, geboren und aufgewachsen in Deutschland, ist die Enkelin des Königs der ghanaischen Region Akyem Abuakwa. Sie studierte Afrikanische Kunstgeschichte, arbeitete für die UN in New York und ist heute weltweit als Kunstvermittlerin, Kuratorin und Filmemacherin tätig. 2019 verantwortete sie den ersten ghanaischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Für ihren vor Kurzem veröffentlichten Debütroman »Wir Gotteskinder« hat Ayim Maya erfunden, ein Mädchen, das von Familienlegenden, Rassismus sowie der Suche nach der eigenen Identität erzählt. Nana Oforiatta Ayim lebt in Ghanas Hauptstadt Accra.
In Ihrem Debüt schreiben Sie über ein Mädchen, das Ihnen sehr ähnlich zu sein scheint. Ist Maya Ihr Alter Ego?
Nicht ganz. Meinen Roman kann man zwar als autobiografische Fiktion bezeichnen, aber Maya besitzt dennoch ihre eigene Persönlichkeit. Sie ist mir allerdings sehr ähnlich, weil sie wie ich in den achtziger Jahren das einzige schwarze Kind in ihrer Umgebung ist. In ihrem Alter war ich auch wie sie eine obsessive Leserin; ich habe alle Klassiker gelesen, in Deutschland Hesse, Rilke und Goethe und in England Enid Blyton. Aber ich konnte mit diesen Narrativen und Ideen von einer bestimmten Weltliteratur nur wenig anfangen, und auch Maya findet sich in keinem der Bücher wieder.
Aus diesem Grund beschließt Maya, die Geschichten ihrer Vorfahren neu aufzuschreiben. Fiel es Ihnen selbst leicht, die Legenden Ihrer Familie in den Mittelpunkt des Romans zu rücken?
Es hatte schon etwas ungewöhnlich Persönliches, wie eine öffentliche Bekanntmachung. Andererseits freute ich mich darauf, endlich meine Geschichte erzählen zu können, in aller Komplexität. Denn von außen betrachtet sieht das Leben einer Enkelin eines Königs natürlich völlig anders aus als in der Realität. Damals, in meiner Teenagerzeit, war ich keineswegs privilegiert, sondern eher eine Außenseiterin. Hinzu kommt: In den achtziger Jahren hatte man von schwarzen Menschen sehr genaue Vorstellungen; dass ich eine Prinzessin sein könnte, war für die meisten Menschen undenkbar.
Haben Sie damals im Verhalten Ihrer Mitschüler*innen oder anderer Leute bewusst Rassismus wahrgenommen?
Nein, denn als Kind weiß man nicht, was Rassismus ist. Man weiß allerdings sehr gut, wie unangenehm es ist, wenn andere das Lied »Zehn kleine Negerlein« singen und alle dabei lachen. Das fühlt sich sehr unangenehm an, doch man kann dieses Gefühl nicht artikulieren. Jedenfalls war ich ständig damit beschäftigt, nicht nur mich selbst wahrzunehmen, sondern mir auch Gedanken darüber zu machen, wie ich von anderen wahrgenommen werde. Es führte dazu, dass ich als Schülerin in Deutschland und England nie ein Gefühl von Zuhause entwickeln konnte.
Das heißt, Heimat ist für Sie nicht Ihr Geburtsland Deutschland, sondern Ghana?
Genau. Denn dort bin ich nicht anders als andere und muss nicht täglich mit den Hierarchien des Seins und des Aussehens navigieren. Hier in Accra gibt es zwar auch Hierarchien, etwa von Geschlecht und Klasse, aber die Wahrnehmung von Hautfarbe fühlt sich existenzieller an. Deswegen ist es Ghana, wo ich hingehöre.
Wenn Sie Ihre Erfahrungen in den achtziger Jahren mit Besuchen in Deutschland heute vergleichen: Was hat sich verändert?
Bis heute wird mir gesagt, wie gut mein Deutsch ist und wie klug ich bin. Das mag nett gemeint sein, aber es zeigt, dass es für viele Menschen noch immer eine Überraschung ist, wen eine schwarze Frau offensichtlich intelligent ist. Was sich dagegen verändert hat, ist meine Haltung dazu. Heute stören mich diese Aussagen nicht mehr so wie früher, und vor allem muss ich sie nur eine bestimmte Zeit ertragen; sie gehören nicht mehr zu meinem Alltag. Nach einer Woche kann ich wieder nach Hause kommen und mich geborgen fühlen.
Welches Bild haben Sie von Ihrem Großvater, dem König?
Da er starb, als meine Mutter jung war, kenne ich ihn nur aus Erzählungen, Geschichten und Büchern. Ich sehe ihn als Person voller Macht, persönlicher und staatlicher Macht. Er hat das Neue und Alte, die Gegenwart und die Vergangenheit, mit sehr viel Würde und kluger Strategie harmonisch zusammengeführt, und das finde ich faszinierend.
Warum haben Sie sich entschieden, die Geschichte Ihres Großvaters und Ihre eigenen Erlebnisse als Roman umzusetzen? Kamen Ihnen ein Kunstprojekt oder eine Ausstellung als weniger geeignet vor?
Das Schreiben ist ein sehr intimer Prozess, bei dem man tief in Geist und Seele hineingreifen und etwas herausholen kann. Diese Tiefe ist etwas ganz Spezielles, und sie war mir für meine Geschichte wichtig. Bei einem Kunstprojekt ist das in dieser Form nicht möglich; schon allein, weil man meist im Team arbeitet. Bei der Arbeit an »Wir Gotteskinder« war es notwendig, allein zu sein, ganz bei mir selbst. Nur mit einem Stift und einem Blatt oder dem Computer konnte ich am besten meine Stimme finden.
Sie beherrschen mehrere Sprachen. Welche sprechen Sie amliebsten?
Da ich fast meine ganze Schul- und Studienzeit Englisch gesprochen habe, fällt mir diese Sprache sehr leicht. Russisch würde ich als meine Seelensprache bezeichnen und Französisch empfinde ich als die spielerische Sprache, in der ich leicht flirten und tanzen kann. Mein Deutsch ist zwar ein bisschen eingerostet, aber trotzdem finde ich darin oft Wörter, für die ich in anderen Sprachen keinen Ausdruck habe. Und dann gibt es natürlich noch Twi, die Hauptsprache der Akan-Volksgruppe in Ghana. Das ist meine Heimat- und Muttersprache, die Sprache der Liebe, der Freude, des Seins, des Zuhauseseins.
Als Kunstvermittlerin und Kuratorin arbeiten Sie mit verschiedensten Formen von Kultur. Glauben Sie, dass letztlich jeder Mensch mit Kunst erreichbar ist?
Ja. Denn Kultur gibt es grundsätzlich überall und bei jedem Menschen. Sie geht direkt ins Herz und in die Seele. Die schwierige Frage dabei ist allerdings: Wie übertrage ich Kultur in einen Kontext, der die meisten Leute berührt? Damit setze ich mich täglich auseinander und suche die jeweils passenden Formen. Mein wichtigstes Ziel ist, afrikanische Geschichte durch Kunst neu zu erzählen. Deswegen arbeite ich zurzeit mit meinem Team an einer panafrikanischen Kunst-Enzyklopädie. Intensiv beschäftige ich mich außerdem mit ghanaischer Gegenwartskunst, die ich auf die gleiche Ebene heben will wie die europäische Gegenwartskunst. Sie sehen: Ich bin von der Wirkung von Kunst voll und ganz überzeugt. ||
NANA OFORIATTA AYIM: WIR GOTTESKINDER
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke | Penguin, 2021
272 Seiten | 22 Euro
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