Politik ist keine Männersache. Torsten Körner hat mit »Die Unbeugsamen« einen Dokumentarfilm über die Frauen gedreht, die den deutschen Bundestag revolutioniert haben.

»Die Unbeugsamen«

»Frauen, wenn wir heute nichts tun, leben wir morgen wie vorgestern!«

kinostarts im august

DIE UNBEUGSAMEN – Die Frauen der Bonner Republik in Torsten Körners Dokumentarfilm: links oben: Herta Däubler-Gmelin und RenateFaerber-Husemann | © Johannes Imdahl || links mittig: Petra Kelly | © Majestic || links unten: Helmut Kohl, Renate Hellwig, Heiner Geißler | © SZ || mittig groß: v.l.n.r. Helga Schuchardt, Sabine Gräfin von Nayhauß- Cormons, Christa Nickels, Roswitha Verhülsdonk, Renate Faerber-Husemann, Ursula Männle, Herta Däubler-Gmelin, Ingrid Matthäus-Maier, Renate Hellwig, Marita Blüm, Hannelore Siegel, Monika Wulf-Mathies, Elisabeth Haines, Carola von Braunn © Annette Etges | mittig links: Ursula Männle und Renate Hellwig | © Johannes Imdahl || mittig rechts: Hans-Dietrich Genscher, Ingrid Matthäus-Maier und Walter Scheel | © dpa Bildarchiv || rechts oben: Aenne Brauksiepe | © picture alliance || rechts mittig: Christa Nickels und Ingrid Matthäus-Maier | © Johannes Imdahl rechts unten: Heidemarie Dann, Annemarie Borgmann, Antje Vollmer, Erika Hickel, Waltraud Schoppe und Christa Nickels, Fraktionssprecherinnen der Grünen, 1984 | © picture alliance/SvenSimon

Eigentlich hätte »Die Unbeugsamen« schon im letzten Jahr ins Kino kommen sollen. Die pandemiebedingte Verschiebung führt nun dazu, dass dieser Film zum denkbar besten Zeitpunkt startet: genau einen Monat vor der Bundestagswahl. Regie bei diesem ebenso gelungenen wie unterhaltsamen Einblick in die politischen Steinbrüche von der Nachkriegszeit bis in die 90er Jahre führte der Journalist Torsten Kröner. Er lässt Christa Nickels, Ursula Männle, Ingrid Matthäus-Maier, Rita Süssmuth und viele andere Politikerinnen über ihr politisches Leben sprechen. Unkommentiert überlässt er ihnen die Rückschau, ungefiltert möglich, weil keine von ihnen mehr im Amt ist. Körner beginnt mit Karajan, der Dvoraks »Aus der neuen Welt« dirigiert, und einer Totalen in einen Tagungsraum, der wie ein Theater anmutet. Denn Theater ist es ja irgendwie, was in den Gebäuden stattfindet, die Johannes Imdahl und Claire Jahn zwischen den Interviews zeigen: Häuser der Macht, Männerhäuser, Herrenhäuser. Die Bildkomposition könnte auch aus der Architekturfotografie stammen, nicht ohne Ironie zeigt die Kamera wenig einladende Konferenzräume, betrachtet die Kunst an den Wänden, den Vorhang und die Aussicht aus dem Fenster. Stefan Döring unterlegt die vielen einmontierten Archivbilder mit einer Musik, die die Absurdität auf dem politischen Parkett auch hörbar macht: Mal klingt sie jazzig nach Tanzclub der 60er Jahre, mal nach Ponyhofidylle, dann wieder nach großem Drama. Auch das letzte Filmbild ist ein musikalisches: Allerdings wird ein großes Orchester nun von der jungen, energetischen Mirga Grazinyteė-Tyla dirigiert.

In neun Kapiteln erlebt man die Entwicklung des Einzugs der Frauen in die deutsche Politik: Die Männerlastigkeit der Nachkriegszeit skizziert »Meine Herren«, in dem auch das 50er-Jahre-Klischee »Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? Und was soll ich kochen?« benannt wird. In »Frau Minister« wird deutlich, wie schwer sich die Politik unter Adenauer nicht nur außenpolitisch mit Experimenten tat. »In diesem Kreis sind auch Sie ein Herr!«, sagte der Kanzler einst über Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Ministerin im Bundestag. Die »Rebellinnen« in den 60er und 70er Jahren beanspruchten ohne Rücksicht auf die Damenhaftigkeit der 50er Jahre neue Positionen: »Raus mit den Männern aus’m Reichstag, aus’m Herrenhaus, wir machen draus ein Frauenhaus!«, sang schon in den 20er Jahren Claire Waldoff. »Mad Men« beschreibt den Zeitgeist der 80er Jahre, als es noch ganz normal war, dass Politiker Frauen begrapschten und die Grüne Waltraud Schoppe für Schenkelklopfen und Gejohle sorgte, als sie die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und die Legalisierung des § 218 forderte.

»Krieg und Frieden« geht auf die Frauen in der Friedensbewegung ein, »Leviten lesen« und »Mehr Frau wagen« gibt wieder, wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit wuchsen. Durchgehend solidarisch waren die Politikerinnen jedoch nie: Als sechs Frauen den Fraktionsvorsitz der Grünen übernahmen, reagierten die Frauen von der SPD skeptisch und die CDU-Frauen begeistert. »Komm reiß auch du ein paar Steine aus dem Sand! Denn unter dem Pflaster liegt der Strand«, wurde auf einem Grünen-Parteitag gesungen. Rita Süssmuth, »der weiße Rabe in dem schwarzen Haufen«, wie sie die Grüne Christa Nickl anerkennend beschreibt, wurde als Familienministerin die zweite Frau im Kabinett Kohl und war später auch als Bundestagspräsidentin nicht mundtot zu machen. Die tragische Seite der Frauenpolitik umreißt das Kapitel »Hannelore und Petra«: Petra Kelly wollte »mehr Zärtlichkeit« in die Politik bringen, und Joseph Beuys bezeichnete sie als »gewaltiges Kunstwerk, nicht zu stoppen«. Als sie in Bonn einzog, verlor sie zunehmend ihr Selbstvertrauen. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Gert Bastian beging sie Selbstmord, der jedoch bis heute nicht völlig geklärt ist. Hannelore Kohl, intelligent, gebildet, eloquent, wurde in der Öffentlichkeit vor allem als Kohls Ehefrau, aber nie als eigenständige Persönlichkeit wahrgenommen. In den letzten Jahren ihres Lebens litt sie an einer Lichtallergie, wegen der sie sich schließlich das Leben nahm.

Das vorletzte Kapitel »Papa« vermittelt, wie schwierig es auch für alle politisch tätigen Menschen war, sich mit der Vergangenheit der Eltern auseinanderzusetzen. In Gang gesetzt wurde die Diskussion, vor allem um die Rolle der Väter, durch die Wehrmachtsausstellung in München 1997. Während Männer wie Alfred Dregger die Vergangenheit abschließen wollten, standen die Frauen für einen ebenso empathischen wie pragmatischen Umgang mit der NS-Problematik. Im letzten Kapitel, »Frau Bundeskanzlerin«, steht außer Frage, dass eine Frau auch die mächtigste Frau der Welt sein kann, obwohl Gerhart Schröder empört forderte, »die Kirche im Dorf« und ihn im Amt zu lassen. Angela Merkel behauptete sich als sachliche, uneitle Politikerin 16 Jahre souverän auf dem Weltparkett. Ursula Männle sagt: »Natürlich wird es immer ein Machtkampf sein. Jede Position, die heute von einer Frau eingenommen wird, wird halt nicht von einem Mann besetzt.« Dass erstmals seit 20 Jahren der Frauenanteil im Bundestag wieder zurückgegangen ist und derzeit nur noch bei etwa 30 Prozent liegt, sollte jeder bedenken, der am 26. September eine Stimme abgibt. Denn »Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie alleine den Männern überlassen könnte«, wie Käte Strobel, Bundesministerin von 1966 bis 1972, feststellte. ||

DIE UNBEUGSAMEN
Dokumentarfilm | Deutschland, 2020 | Regie: Torsten Körner | Kamera: Johannes Imdahl, Claire Jahn | Mit: Herta Däubler-Gmelin, Renate Färber-Husemann, Waltraud Schoppe, Ursula-Männle, Rita Süssmuth, Christa Nickels u.a.
99 Minuten | Kinostart: 26. August
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