»Der kleine Prinz auf Station 7« im GOP ist akrobatisch gewohnt großartig, thematisch und formal zuweilen überfrachtet.
»Der kleine Prinz auf Station 7« im GOP Varieté
Leben und Träumen bis zuletzt
Antoine de Saint-Exupérys berühmte Erzählung »Der kleine Prinz« eignet sich tatsächlich als Vorlage für einen Varietéabend: Wie der kleine Held mit dem großen Herzen von Planet zu Planet reist, so gelangt auch die erste Nach-Lockdown-Show im GOP von Nummer zu Nummer. Allerdings passt nicht alles so richtig gut zusammen, was sich das Autorenund Regieduo Markus Pabst und Pierre Caesar ausgedacht hat. Denn es ist ganz schön viel, was hier nach bewährter GOP-Manier nebeneinander passiert und doch ineinandergreifen soll: tolle Akrobaten, ein Livezeichner, der die Bühnenbildprojektionen mit Rohmaterial bestückt und dazu noch in einem wahren Atelierstillleben am linken Bühnenrand sitzt. Der auch als Tänzer-Sidekick unglaublich präsente Puppenspieler Jarnoth führt den Bühnen-Stellvertreter des Protagonisten so behutsam durch die Szenen, dass sich die schlichte Gliederpuppe mit ungeformtem Gesicht als ideale Projektionsfläche erweist.
Aber es gibt eben auch die Geschichte, die mit nahezu allen in ihr vorkommenden Charakteren erzählt werden will und die dazu noch (zu Ehren der Stiftung »Humor hilft Heilen«) eine neue Rahmenhandlung bekommt. Darin ist »Der kleine Prinz« das Lieblingsbuch von Moritz, der sich und seinen Mitpatienten in einem Kinderhospiz damit den bitteren Alltag versüßt. Wenn dann die Akrobaten in Rollstühlen die Kinder spielen, die die Figuren spielen, während der Puppen-Prinz zuschaut, die Klinikclowns herumspringen und gleichzeitig Poesie, Humor, artistische Hochleistungen und Mitgefühl satt produziert werden sollen, wünscht man sich zuweilen für das ein oder andere davon mehr Luft zum Atmen und mehr Zeit, um nachwirken zu können.
Vor allem die traurigen Töne haben kaum eine Chance, aber auch ein im Buch so zentrales Geschöpf wie der Fuchs taucht so unvermittelt auf und wieder unter, dass man kaum mitbekommt, dass das ganze thematische Knäuel aus Zähmung, Verantwortung und dem Kernsatz »Man sieht nur mit dem Herzen gut« mit ihm gleich mitverhandelt wurde. Ganz zu schweigen von den Feinheiten etwa von Giulia Reboldis eigentlich spektakulärer Luftkontorsion, Nathalie Weckers Handstandequilibristik, die auf einem großen Abakus endet – ja, sie spielt den Geschäftsmann – und Aniko Serfözös mit dem Geografen assoziierte Seiltanznummer. Und vielem mehr. Ja, da war was. Und es war alles ziemlich gut. Aber es ist dauernd so viel gleichzeitig los, dass die Nuancen verwischen und das Erinnerungsvermögen überlastet ist. Dass Maik Dehnelt alles wie im Vorbeigehen erzählerisch wie singend begleitet, ist wie die musikalische Grundausrichtung zwischen Schlager und Kindermusical Geschmackssache und vermutlich dem Format des Familienevents geschuldet, als das »Der kleine Prinz auf Station 7« in und durch die (bayerischen) Sommerferien führt.
Doch sei’s drum: Ein paar artistische Highlights bleiben trotzdem hängen und lohnen schon den Besuch. Etwa Ihor Yakymenko als die Ratte, die der einzige Untertan auf dem Planeten des Königs ist: Sein Nagetier-Breakdance und die Pole-Nummer seines Laternenanzünders, während der er auch noch Saxofon spielt, Denis Klopovs Balldrehnummer auf etlichen Minischirmchen und Toke Reimanns als Trinker im torkelnden Cyr-Reifen – sie alle sind Weltklasse. Die größte Sensation aber ist Tim Kriegler, der als Moritz lange nur auf dem Bett liegt, bevor er erst am Boden und nach Moritz’ Tod an den Strapaten alles, was irdische Körper sind und können, weit hinter und unter sich lässt. Zumindest die brutal überdehnbaren und wider jeden äußeren Anschein kraftvollen Schlingenbeine des erst 22-Jährigen müssen wie der kleine Prinz von einem anderen Planeten sein. Und das ist ein Coup. ||
DER KLEINE PRINZ AUF STATION 7
GOP Varieté-Theater | Maximilianstr. 47
bis 12. Sept. | Mi bis Fr, 20 Uhr, Sa 17.30 und 21 Uhr, So 14 und 18 Uhr
Tickets: 089 210288444
Kids-für-nix-Aktionstage
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