Die Münchner Philharmoniker haben nach dem Umzug viele Pläne.
Münchner Philharmoniker: Die Spielzeit 2021/22
Neuer Wind
Die Außen- und Innenspannung ist hoch bei den Münchner Philharmonikern. Trotzdem erweist sich beim Standortwechsel vom Gasteig in die Sendlinger Isarphilharmonie für mindestens ein halbes Jahrzehnt eine gesunde Portion Pragmatismus als unerlässlich. Auch betreffend Corona. Die Aufführung besetzungsintensiver Spätromantik um Richard Strauss, Mahler und Bruckner ist derzeit zwar kompliziert, aber trotzdem haben die Philharmoniker dank optimal ausgebauter Vermittlungsprogramme und lückenloser Präsenz während der Lockdowns gute Karten.
Die Eröffnungswoche ab 8. Oktober auf dem Gelände HP8 verspricht glanzvolle Musikereignisse: Beethovens fünf Klavierkonzerte mit Daniil Trifonov unter Chefdirigent Valery Gergiev und Uraufführungen von Thierry Escaich und Rodion Shchedrin. Letztere sind der Auftakt zu insgesamt acht Auftragswerken und einer über die Spielzeit 2021/22 verteilten Reihe mit Erstaufführungen von Olga Neuwirth, Thomas Adès, John Adams, Anders Hillborg, Fazil Say und anderen.
Eine von der Philharmoniker-Leitung als positive Herausforderung betrachtete Bewegtheit kommt ins Programmangebot. Das betrifft in erster Linie neue Formate mit spontanen Nachklängen an der offenen Bar nach den großen Konzerten und Ortserkundungen. In der Fläche von Abonnementskonzerten gibt es vier Festival-Akkumulationen, unter anderem mit den Themen »1920er Jahre« (Februar 2022) und »2001: Space Odyssee«. Corona-Erfahrungen erfordern sprungbereite Flexibilität, weil Spitzeninterpreten derzeit oft leichtere Auftrittsbedingungen im eigenen Land bevorzugen und zweiwöchige Quarantäne-Aufenthalte vor Proben und Konzerten an Gastspielorten lieber vermeiden. Aber sie erweitern auch Freiräume und damit die konzeptionelle Reaktionsgeschwindigkeit. Noch nie erklangen in einer Spielzeit der Münchner Philharmoniker so viele nach 1950 entstandene Kompositionen wie in den Plänen für 2021/22. Klassiker der Neuen Musik wie Oliever Messiaens »Turangalîla-Sinfonie« stehen neben anspruchsvollen Großprojekten wie der Münchner Erstaufführung von Tan Duns abendfüllender »Buddha Passion«, mit der die Philharmoniker bei den Dresdener Musikfestspielen gastiert hatten.
Den 85.Geburtstag ihres Ehrendirigenten Zubin Mehta feierten das Orchester und der Philharmonische Chor mit der CD von Joseph Haydns »Die Schöpfung« in einem Mitschnitt vom Juni 2019. Das mag angesichts des massiven ästhetischen Drucks aus den Ecken der historisch informierten Aufführungspraxis erstaunen. In der Isarphilharmonie sollen in Zukunft vermehrte Auftritte von Barock-Spezialisten wie Andrea Marconi (Vivaldi-Gloria) und Philippe Herreweghe (Mozart-Requiem) zur Erweiterung einer allen fachlichen Kriterien angemessenen Stilvielfalt beitragen.
Neben performativen und pädagogischen Initiativen finden sich unter 127 im offenen Brainstorming von Musikern, Programmplanung und Administration entwickelten Punkten auch erweiterte Strategien für Alte Musik. Nötige Verschiebungen auf der Zielgeraden zur Eröffnung des neuen Spielortes beinhalten noch keine für das Eröffnungsdatum gefährlichen Verzögerungen. Mit einem ausgeklügelten System betreibt man die Umstellung des Aboangebots von über 2.400 Plätzen im Gasteig auf 1.800 Plätze in der Isarphilharmonie. Erst können Stammabonnenten wählen, dann Neuinteressenten. Befürchtungen betreffend Komfortverlust sind unbegründet.
Managementdirektor Christian Beuke hat insgesamt drei Modelle parat, mit denen er auf die geltenden Hygieneregeln und einhergehende Unwägbarkeiten des Veranstaltungsbetriebs reagieren kann. Alles ist in Bewegung wie der »Fokus Tanz« und die geplanten After-Partys. Auch in diesem Schwerpunkt stehen neben Richard Strauss vor allem Werke des 20. Jahrhunderts auf dem Programm – von Kodaly bis Künneke. Nicht nur die beiden Hallen der Isarphilharmonie, sondern auch die Areale und der Stadtraum rundum werden zu Schauplätzen und Zielpunkten der tradierten und offenen Konzertformate. Klangprächtige Opulenz, Neugier auf die musikalische Gegenwart und eine kommunikationsstarke Intensität zwischen Musikern und Publikum stehen im Zentrum der Pilotspielzeit an der neuen Wirkungsstätte. Der Vorverkauf für die Abos läuft seit 26. Juli, der Freiverkauf für Einzelkarten beginnt Anfang September. ||
MÜNCHNER PHILHARMONIKER: SPIELZEIT 2021/22
Isarphilharmonie – HP8 | Hans-PreißingerStr. 8 | Tickets: 089 480985100
Mehr zur Klassischen Musik in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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