Warum nicht am Wochenende mal in den Buchladen Ihres Vertrauens schauen? Hier haben Sie drei weitere sommerliche Buchtipps. Mehr gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Buchtipps für den Sommer 2021
ASAL DARDAN: BETRACHTUNGEN EINER BARBARIN
Hoffmann und Campe, 2021 | 192 Seiten
22 Euro
Wir
»Ich bin keine Iranerin, und ich bin keine Deutsche, und ich bin doch beides.« Asal Dardan war ein Jahr alt, als sie mit ihren Eltern nach Deutschland kam. Ihre Flucht ist »eine Erzählung, keine Erfahrung«. Und doch prägt sie ihr Leben bis heute. Es sind Alltäglichkeiten, die ein »Exilgefühl« in ihr auslösen: dass sie nicht weiß, wie man ein iranisches Neujahrsfest feiert, aber auch die deutschen Feste nie gefeiert hat. Gekonnt verknüpft sie in ihren Essays, die sich unangestrengt zu einem Ganzen fügen, Persönliches und Politisches, Aktuelles und Geschichtliches. Präzise nähert sie sich all dem, was häufig vages Gefühl oder Unbehagen bleibt: Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Mitgestaltung. Sie schafft Verbindungen vom Eigenen zum anderen, vom Kleinen zum Großen. Von ihrem Lebensgefühl ausgehend, gräbt sie sich tief hinein in die Fragen, die dieses Land umtreibt. Ein Land, das gerne »wir« sagt, und ungern fragt, wer dieses »wir« eigentlich ist: »Migration sei die Mutter aller Probleme, sagt dieses Wir und unterschlägt dabei, dass sie schlichtweg die Mutter von allem ist.« Dieses Buch ist bemerkenswert. Klug und empathisch. Eines der besten, die ich in diesem Jahr gelesen habe. ||
ANNE FRITSCH
RUTH HERZBERG: WIE MAN MIT EINEM MANN UNGLÜCKLICH WIRD
mikrotext, Berlin, 2021 | 176 Seiten | 14,99 Euro
Beziehungsfrage
Eine Frau will einen Mann. Er will sie nicht. Oder zumindest nur ab und zu. Unverbindlich. Damit ist die Geschichte eigentlich erzählt. Ruth Herzberg setzt in ihrem Tagebuchroman »Wie man mit einem Mann unglücklich wird« nicht auf Spannung: Schon der Titel fasst die Handlung dieser Antianleitung trefflich zusammen. Über vier Jahreszeiten von Frühling bis Winter folgt Herzberg ihrer Ich-Erzählerin in die Untiefen ihrer Nichtbeziehung zu einem Mann. »Ich dachte, was für ein Glück, so fühlt sich Glück an, das ist es jetzt. Das ist er, die Liebe meines Lebens, der Mann, mit dem ich alt werden will.« So beginnt es. »Er ist fort und war nicht da, denn er war nicht der, für den ich ihn gehalten habe, aber ich weiß auch nicht, wer er stattdessen war.« So endet es. Das Kennenlernen und die Erkenntnis des Fremdgebliebenseins, das sind die Pole, zwischen denen diese Beziehung liegt, die keine ist und doch immer wieder die Hoffnung weckt auf mehr. Herzberg lässt ihre Erzählerin diesen Prozess minutiös dokumentieren. Ein Kreislauf aus Hoffen und Zweifeln. Es ist eine Geschichte von wachsender Abhängigkeit und abnehmendem Selbstwertgefühl. Ob man diese Nichtbeziehung toxisch nennen will oder nur töricht, liegt wohl im Auge des Betrachters oder der Betrachterin. Ruth Herzberg seziert klar die Mechanismen, die dieser Art von On-off-Beziehungen zugrunde liegen, folgt ihrer Erzählerin durch alle Irrwege und Kehrtwendungen ihrer Psyche, durch Schönreden und Selbstverleugnung. Und schafft so einen intensiven Text, der wehtut. ||
ANNE FRITSCH
TOMMY ORANGE: DORT, DORT
Aus dem Englischen von Hannes Meyer
dtv, 2021 | 320 Seiten | 11,90 Euro
Entwurzelt
Literatur von oder über Native Americans ist rar. Umso größer das Glück, dass Tommy Oranges Debütroman Dort, dort in den USA derart für Furore sorgte, dass das Buch 2019 auch hierzulande veröffentlicht wurde und nun im Taschenbuch erscheint. Der Titel Dort, dort bezieht sich dabei auf eine Stelle in Gertrude Steins Jedermanns Biographie. In dieser beschreibt Stein, wie sie nach langer Zeit ins kalifornische Oakland zurückkehrt, sich der Ort jedoch dermaßen stark verändert hat, dass »das Dort ihrer Kindheit, das Dort dort, nicht mehr da war« Und auch in Tommy Oranges Erzählung geht es um Menschen, die nicht wirklich zugehörig, die entwurzelt sind – und das in dem Land, das einst das ihre war. Zwölf Figuren lässt der Autor, der selbst Sohn eines Cheyenne ist, dabei auftreten. Zwölf Menschen, die alle auf irgendeine Weise durch die systemische Unterdrückung der Natives gezeichnet sind – sei es Alkohol, Gewalt oder Armut; zwölf Lebensgeschichten, die mehr oder minder stark miteinander in Verbindung stehen und am (tragischen) Ende des Buchs alle bei einem Powwow in Oakland aufeinandertreffen. Essayistische Einschübe, in denen der Autorvon der Vertreibung, Ermordung und Unterdrückung der Native Americans durch die europäischen Siedler erzählt, verdichten die Handlung zu einer größeren Erzählung und sind Teil dessen, was diesen Roman nicht nur zu einer spannenden Auseinandersetzung mit indigenen Lebensrealitäten in der heutigen amerikanischen Gesellschaft macht, sondern ihn auch zueinem narrativen Heilmittel werden lässt. Denn die Wunde, so der Autor, die die Weißen hinterlassen haben, sei nie abgeheilt. Und »[e]ine unversorgte Wunde entzündet sich. Wird zu einer anderen Art von Wunde, so wie die Geschichte dessen, was wirklich passiert ist, zu einer anderen Geschichte wurde. Und all die so lange unerzählten und ungehörten Geschichten sind nur ein Teil dessen, was wir zur Heilung brauchen.« ||
CHRISTIANE BERNHARDT
Weitere Buchtipps finden Sie hier und hier.
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