Kunst oder Kapitalismus: die Konzepte von Joseph Beuys im politischen Kontext betrachtet. Ein Essay von Thomas Betz.
Joseph Beuys
Mit Hut und Honigpumpe
Viele kennen den Mann mit Hut. Und den Slogan »Jeder Mensch ein Künstler«. Das bedeutet nicht, dass jede und jeder die Profession ergreifen sollte – wie ein Ingenieur –, sondern dass jedes Individuum mit seiner Kreativität die gesellschaftliche Situation verbessern kann. Zu diesem »erweiterten Kunstbegriff« gehörten auch Beuys’ Konzept der »sozialen Plastik« und sein Engagement »für direkte Demokratie durch Volksabstimmung«. Dies diskutierte Joseph Beuys 1977 hundert Tage lang auf der 6. documenta in Kassel, in einem Raum der von ihm mitbegründeten Free International University, der eingebunden war in ein Leitungssystem, das über 18 Meter Höhe das Fridericianum durchzog: die »Honigpumpe am Arbeitsplatz«. Mit 150 Kilo Honig in Schlauch und Tank nebst 100 Kilo Margarine als Fetthaufen zwischen den zwei Elektromotoren.
Seine typische Kluft mit Anglerweste markierte ihn gleichsam als Jäger und Sammler, als Handwerker, stets einsatzbereit, mit dem obligatorischen Hut als Markenzeichen. Nach dem Warum des Hutes wurde Beuys oft gefragt, und verschiedentlich präsentierte er dann – anders als Udo Lindenberg heute – seine Dreiviertelglatze. Auf einem Foto von Giancarlo Pancaldi (1971) schreitet der Mann mit dem Hut entschlossen voran, dem Betrachter entgegen; das Bild wurde ikonisch als Plakat der ersten italienischen Ausstellung sowie in Form von
Postkarten. In einer Zeit der Entgegensetzung von Kommunismus und Kapitalismus, als Revolution noch möglich und vor allem notwendig erschien. »La revoluzione siamo Noi« ist es beschriftet, und Beuys zielt auf die solidarische Umgestaltung der Gesellschaft, auf die Gemeinschaft. Bekannt wurde und ist Joseph Beuys allerdings als der Mann mit dem Fett. Und dem Filz.
Der berühmte Fettstuhl zum Beispiel entstand 1963/64 in der Düsseldorfer Akademie bei einer Aktion, als sich der Professor an einer Präsentation der Studierenden im Atelier beteiligte. Der dort an der Wand aufgehängte »Stuhl mit Fett« machte rasch Karriere: 1965 abgebildet in der Anthologie »Happening und Fluxus«, 1967 erstmals in der Düsseldorfer Kunsthalle ausgestellt, wurde er der Besitzerin abgekauft und in den »Block Beuys« in Darmstadt integriert. Obwohl der auf der Sitzfläche postierte Keil aus Wachs geformt ist, wurde er zur Ikone des Fett-Künstlers. Zugleich ist er ein Beispiel dafür, dass der Lehrstuhlinhaber für Monumentalskulptur elementare Kategorien der Skulpturalen wie Schwerkraft, Ansicht und Dimensionalität, Figur und Körperlichkeit untersuchte.
Dass in den 60er Jahren mit »armen«, gar »kunstfremden« Materialien gearbeitet wurde und die Veränderung der Materialität (bis hin zum Verfall) Teil des Werk-Prozesses war, widersprach dem konventionellen Kunstbegriff. So kam es dazu, dass Joseph Beuys’ mit Fett, Mullbinden, Pflaster und Kupferdraht bearbeitete »Badewanne« aus der Sammlung Schirmer während einer Ausstellungstournee 1973 bei einem Fest des SPD-Ortsvereins Leverkusen-Alkenrath »gesäubert« und zum Gläserspülen verwendet wurde. Resultat: 58.000 DM Schadensersatz; 1977 Restaurierung durch Beuys; seit 2013 als Schenkung von Lothar Schirmer im Lenbachhaus zu sehen. Und die »Fettecke« aus 5 Kilo Winterbutter, die Beuys 1982 zwei Meter unterhalb der Decke in seinem Atelier angebracht hatte, wurde 1986, nach Beuys’ Tod, vom Hausmeister entfernt; Johannes Stüttgen, ein langjähriger Beuys-Mitarbeiter, rettete die Reste aus dem Abfalleimer – und bekam 40.000 DM Schadensersatz vom Land NRW für die Zerstörung des Kunstwerk. Pikanterweise wurden die Fettreste später bei einer Performance – unter Berufung auf den Beuys’schen Kunstbegriff – zu hochprozentigem Schnaps destilliert und im Museum Kunstpalast ausgestellt bzw. verkauft, wogegen Beuys’ Witwe Eva protestierte. Ansonsten sind die Werke und die Relikte seiner Aktionen im Museum sicher (und fordern dort freilich die Restaurierungsspezialisten heraus): so wie eben schon früh der Fettstuhl, der – nach Ankauf einer ganzen Ausstellung durch den Sammler Karl Ströher 1967– in den »Block Beuys« im Hessischen Landesmuseum Darmstadt integriert wurde – Beuys richtete diese Werkübersicht 1970 selbst im Museum ein.
Der Fluxus-Künstler, der Schamane, der gesellschaftliche Revolutionär. Der Mitbegründer der Grünen, der bei deren Parteitagsregie abgedrängt wurde. Der Jahrhundertkünstler, das Gegenbild zu Andy Warhol. Seit Beuys’ Tod, seit er nicht mehr selbst als charismatischer und herausfordernder Propagandist und Selbstdarsteller wirkt, hat sich die Rezeption gewandelt. Seine Künstlerlegenden, speziell die von seinem Flugzeugabsturz, seiner Rettung durch Tataren mit Filz und Fett, wurden kritisch revidiert. In letzter Zeit wurde sein Umgang mit NS-Vergangenheit moniert, wurden ihm Nähe zu rechtem oder esoterischem Denken, sein Schamanismus als Eskapismus vorgeworfen, seine politischen Konzepte hinterfragt.
Offizielle Website zum Beuys-Jubiläum 2021
Viele, viele Orte in Nordrhein-Westfalen, in ganz Deutschland und weltweit feiern das Beuys-Jubiläum. In München gab es zuletzt immer wieder Veranstaltungen zu Beuys, aber hätte man sich hier zum Jahrhundertkünstler nicht etwas mehr einfallen lassen können? Mit Zeitzeugen etwa, jungen Künstler*innen, Rückblicken auf legendäre Ereignisse. Zu den frühen Galeristen gehörte in München auch das Freundes-Duo Franz Dahlem und Heiner Friedrich; der umstrittene Beuys wurde von hiesigen Sammlern gekauft, so dass Armin Zweite im Lenbachhaus 1981 eine erste umfassende Retrospektive über alle bildkünstlerischen Gattungen allein aus Münchner Sammlungen bestreiten konnte. Und in der prominenten Reihe der Kammerspiele »Reden über das eigene Land: Deutschland«, präsentierte Beuys, zwei Monate vor seinem Tod, noch einmal sein Konzept »jeder Mensch ein Künstler«.
Dieser Slogan ähnelt dem des Choreografen Rudolf Laban, »Jeder Mensch ist ein Tänzer«, der damit freilich die neue Kunstform des modernen Tanzes nobilitieren wollte, ja zum führenden Medium einer künstlerischen Lebensreform ausrief. »Tänzer ist jeder Künstler, mancher Denker und Träumer«, schrieb Laban 1920, »und in seinem unerkannten Grundwesen jeder Mensch.« Über ein solches Mensch-KunstKonzept ging Beuys’ anthropologischer Kunstbegriff des sozialen Organismus weit hinaus. Leider ging seine Rechnung nicht auf: »Nur noch 2425 Tage bis zum Ende des Kapitalismus« schrieb Beuys auf eine Wandtafel. Später dann »noch 2272« und betitelte so auch eine Publikation zum 60. Geburtstag mit Audio-Kassette. »Nur noch 2190 Tage bis zum Ende des Kapitalismus (Denkmaschine)« lautet der Titel einer Installation mit einem Stapel bedruckten Papiers von 1981, die man heute (Preis auf Anfrage) kaufen kann.
Joachim Goetz über die aktuellen Beuys-Ausstellungen in München
Im Kunstmarkt und im Museum herrschen weiter Kapitalismus und Hierarchie. Die Aktionskunst seit den 60er Jahren verabschiedete das autonome Kunstobjekt und kritisierte die Institutionalisierungspraxis des Museums, um neue Formen von Öffentlichkeit herzustellen und neue Formen des künstlerischen – und gesellschaftlichen! – Diskurses anzustoßen. Beuys freilich stand mit einem Bein schon zu Lebzeiten im Museum, weil das zu seinem Diskurs mit gehörte. Statt wie damals auch in den Massenmedien wie Fernsehen und Tageszeitungen für die Menschen präsent (Beuys war zum Beispiel in München für die Leser*innen am »tz«-Telefon erreichbar), ist diese Performancekunst mittels Relikten und Fotografien seit langem im Museum »archiviert«.
Joseph Beuys produzierte nicht nur Reden und Aktionen und enigmatische Werke, sondern – in Multiple-Editionen – auch vervielfachte Zeugnisse davon und Erinnerungen daran. Die aus dem sicheren Hort des Museums – wie Monstranzen – gelegentlich unters Volk gebracht werden (siehe rechte Seite). Die staatlich subventionierten Institutionen wollen, 35 Jahre nach Beuys, auch mit den Menschen in Dialog treten. Wenn auch nicht alle mit Beuys oder gar über ihn hinaus. Es gilt nämlich immer noch der leidige Satz »Der Kunde ist König« – im globalen Kapitalismus heute eine noch größere Lüge. Gegen die kaum revoltiert wird. »Jeder Mensch ein Meisterwerk. […] Jeder Mensch ein König«, schrieb einst, zu Labans Zeiten, der ungarische Schriftsteller Dezsὅő Kosztolányi. Darauf beruft sich Serge Dorny, der neue Intendant der ehemaligen Hofoper, heute Bayerische Staatsoper, wenn er aus dem Nationaltheater heraus seine Kunst an die alten und möglichst auch neuen Zielgruppen bringt: in neuen Formaten und partizipativen Projekten. »Teil des künstlerischen Geschehens zu sein, trägt dazu bei, Teil der Stadt zu werden.« Denn jede und jeder soll teilnehmen und sich ausprobieren können: »Jeder Mensch ist König:in.« Was hätte Beuys wohl zu einer solchen Form der Teilhabe an dieser Kunst gesagt? ||
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