Robert Borgmann inszeniert »Hamlet« im Residenztheater unschlüssig zwischen Klamauk und Tragödie.
»Hamlet« am Residenztheater
Rätsel im Nebel
Man wähnt sich in einer spiritistischen Séance: Oben oszillieren Buchstaben zwischen »Ich« und »bin«, unten tapern zwei Gestalten im Nebel herum und reden über einen Geist, dann flackert ein Licht wie Plasma. Wenn sich der Gazevorhang hebt, tummelt sich eine Hofgesellschaft in angedeuteten Renaissancekostümen (von Bettina Werner) um einen schräg angeschnittenen Kubus. Willkommen in Dänemark bei den Royals. Willkommen bei der »Hamlet«-Inszenierung von Robert Borgmann, der ersten Livepremiere im Residenztheater nach der 193-tägigen Pandemie-Schließung. Herzlich willkommen hieß auch Resi-Chef Andreas Beck die Zuschauer zum vierstündigen Theaterabend. Weniger willkommen fühlt sich Prinz Hamlet, wegen des Todes seines Vaters zurückberufen vom Studium. Johannes Nussbaum in T-Shirt und Sporthosen passt nicht in die höfische Umwelt. Der Geist seines ermordeten Vaters (Michael Gempart) erscheint ihm als nackter alter Mann in weißen Socken mit einer Schuhschachtel voller Erinnerungen und spornt ihn zu seiner verbissen-berechnenden Rache-Klugheit an. Er turnt herum wie eine merkwürdige Mischung aus misstrauischem Leidensmann und freiwilligem Kasperl, drahtig, alert, sportiv und vielleicht doch verrückt: Eine leichte Psychose traut man ihm zu.
Den krassen Gegensatz bildet sein rationaler Freund Horatio: Katja Jung in der Maske von Hannah Arendt begleitet dauerrauchend das Geschehen als distanzierte Beobachterin (wie Arendt 1961 den Eichmann-Prozess). Linda Blümchens verliebte Ophelia wirkt zunächst sehr geerdet, folgt brav den Anweisungen ihres arroganten Bruders Laertes (Lukas Rüppel) und des Vaters Polonius (Max Mayer). Der ist hier eine Witzfigur, immer gut für komische Auftritte. Bis zu seinem Tod als Horcher an der Wand, überkübelt mit roter Farbe. Nach der brüsken Abfuhr durch Hamlet singt und tanzt Ophelia berührend ihren Wahnsinn, ehe sie zum Ertrinken einfach von der Rampe springt. Vorher steht die unausgesprochene Spannung als der buchstäbliche Elefant im Raum: transparent, auf Lebensgröße aufgeblasen. Johlend boxen ihn die Schauspieler durchs Publikum auf den Balkon und zurück auf die Bühne, wo er seine Luft unter Tritten und Schlägen aushaucht. Riesengaudi, Problem unerledigt.
Am Verhungern scheinen die beiden Schauspieler, die in Krankenhausbetten an Infusionsschläuchen liegen. Ja, man versteht, die Theaterschließung ist lebensbedrohlich für viele freie Schauspieler. Arnulf Schumacher und Michael Gempart tragen (in verschiedenen Rollen) gern spitze Weißclown-Hüte, ihr Mausefallen-Auftritt ist stumm. Regisseur Borgmann lässt öfter den bekannten Text weg. Höchlich betroffen zeigt sich das Königspaar: Der angefressene, eitle Claudius (Christoph Franken) windet sich in Reue und Unterwäsche auf dem Boden, Königin Gertrud (die großartige Sibylle Canonica) taumelt wie eine Marionette zwischen formellem Hof-Gestus und Verzweiflung. Eine veritable Slapsticknummer legt Florian von Manteuffel als Briefbote hin. Und zwei Fahnenschwinger in Nude-Trikots mit großen Puppenköpfen treiben als Rosencrantz und Guildenstern ihr rätselhaftes Unwesen. Borgmann hat seine Bühne selbst entworfen: bewegliche Wandvorhänge mit einem drehbaren Mittelteiler. Gerrit Jurda zaubert darauf verblüffendes Licht, einmal ist die Trennwand in Blutrot getaucht. Meist aber überwiegt dunstiges Grau, und in dem verliert sich auch die zunehmend disparate Aufführung. Mit einem bewussten Stilbruch drückt sich der Regisseur vor dem Schluss des Shakespeare-Dramas – er ersetzt ihn durch eine philosophische Betrachtung. In Friedhofsschwärze sinnieren in senkrechten Lichtstelen einzelne (auch stückfremde) Figuren mit Objekten wie Yoricks Schädel über die Vergänglichkeit, statt des mörderischen Finales legen sich alle freiwillig tot auf den Boden. Das war’s. Klappe zu, Affe tot? Ein unbefriedigendes Ende einer unschlüssigen Inszenierung, die trotz höchst engagierter Schauspieler im Nebel der Ratlosigkeit versandet. ||
HAMLET
Residenztheater | 11., 20., 24., 25. Juni
19 Uhr (Sonntag 18 Uhr) | Tickets: 089 21851940
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