Alles wird anders. Clubs sind offiziell Kultur, die Straße wird zur Bühne. Und der Kulturlieferdienst hilft seit einem Jahr dabei, dass solche Ideen Wirklichkeit bleiben.

Kulturlieferdienst

Raus aus dem Haus!

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Eine der vielen Stationen des Kulturlieferdienstes: Christin Henkel und Juri Kannheiser im Sommer 2020 auf dem Professor-Huber-Platz © Ralf Dombrowski

Rettet Kunst und Kultur! Und macht Straßen zu Bühnen! Das sind die beiden Dinge, die der Münchner Kulturlieferdienst fordert, und das schon seit über einem Jahr. Dafür waren dessen Macher regelmäßig auf den Straßen, inzwischen rund 150 Mal. Sie haben es bei Regen und vor wenig Publikum getan, so wie am 6. Mai auf der Waisenhausstraße im Münchner Stadtteil Gern, wo Philip Bradatsch Lieder über den »Jesus von Haidhausen«, »Alte Gebäude« oder »Chantal Kiesinger« sang. Dann gab es aber auch Tage mit sonnigem Wetter. So wie zwei Tage später, als der Kulturlieferdienst auf der Ingolstädter Straße und auf dem Wittelsbacher Platz seinen ersten Geburtstag gefeiert hat. Unterstützt wurde er dabei zuerst von Johnny & The Yooahoos, die eine Mischung aus Folk und Bluegrass spielen, und danach von Buck Roger & The Sidetrackers. Die Gewinner des BR-Heimatsound-Wettbewerbs 2018 stehen für schräg fröhlichen Folk, Swing, Rock’n’Roll.

Dass Musiker bei den Demoveranstaltungen des Kulturlieferdienstes auftreten, das ist immer so und hat Methode. Denn Benjamin David und Jürgen Reiter, die als maßgebliche Köpfe dahinterstehen, wollen nicht nur mit Reden für die Rettung von Kunst und Kultur sowie deren Wahrnehmung während der Corona-Pandemie eintreten. Das Konzept ist stattdessen so, dass die Kultur, die Musik für sich selber sprechen soll. Das geht aber nur, weil die Konzerte offiziell als »Versammlungen« gelten. Als solche meldet der als Mitglied der Urbanauten (Kulturstrand, Corso Leopold) und des Isarlust e.V. bekannt gewordene David die Veranstaltungen bei der Stadt München an. Das war am Anfang nicht so einfach, inzwischen ist es weitgehend Routine. Es gibt eine Begrenzung auf 200 Teilnehmer, eine Abzäunung mit Flatterband sowie polizeilich überwachte Sicherheitsabstände. Wer stehen bleibt, muss Maske tragen. Es gibt einen Livestream, offizielle Ansprachen, und nach einer Stunde ist der Spuk vorbei. Auf diese Weise haben es David, der Kontrabassist, Komponist und Filmmusiker Jürgen Reiter und ihr kleines Team geschafft, trotz und während Corona rund 150 Konzerte zu veranstalten. Sie haben Livemusik in sämtliche Bezirke in München gebracht. An Orte, von denen Benjamin David gar nicht dachte, bdass man dort Konzerte machen kann, wie er im Regen nach dem Auftritt von Philip Bradatsch auf der Waisenhausstraße erzählt. Geschafft haben sie das mit finanzieller Unterstützung der Bezirksausschüsse und mithilfe von Spenden, die sie mit einem Kescher auf der Straße oder online per Paypal sammeln. Offizielle Corona-Gelder haben sie nur einmal für ihr Projekt bekommen. Drei weitere Anträge wurden, weil zu spät oder aus anderen Gründen, abgelehnt.

Aber auch ohne diese, berichtet David, könne sich der Kulturlieferdienst inzwischen selber tragen. Und nicht nur das: Sie können den Musikern auch Gagen zahlen. Wofür es aktuell nicht ganz reiche, das sei der Kleinlaster, den ihnen der Verleiher das erste halbe Jahr gesponsert hat. Weswegen sie dauerhaft großzügige Spender suchen, die die monatliche Miete von 1500 Euro übernehmen. Ansonsten sei der Kulturlieferdienst, so David, eine »schöne, runde Sache«, ein Projekt, bei dem er sich an die Anfangszeit der Urbanauten erinnert fühlt. Und man wundert sich fast ein bisschen, dass es bisher nur wenige Nachahmer gegeben hat. Wie etwa die Musikdemo »Fridays for Music« im letzten Sommer auf dem Schrannenplatz in Dachau.

Den Münchnern haben David & Co jedenfalls willkommene Auszeiten aus dem Kultur-Lockdown beschert und gezeigt, dass auch während Corona etwas geht. Tatsächlich gehört auch zu fast jedem Kulturlieferdienst die Aufforderung von Jürgen Reiter an das Publikum, selbst aktiv zu werden, zum Beispiel indem man eine kleine Bühne baut. Damit auch dort Künstler auftreten können und München zu einer »Stadt der Open Airs« wird. Auf den Kulturlieferdienst kann man auf jeden Fall weiterhin zählen. Ginge es nach Benjamin David, würden sie mit dem ursprünglich als einmalige Aktion gedachten Projekt dauerhaft auch ohne Corona weitermachen. Und wenn man bedenkt, dass München mehr als 6000 Straßen hat und sie »erst« rund 150 davon bespielt haben: Dann haben sie ja noch eine ganze Menge vor sich. Zeitnah zum Beispiel am 10. Juni um 18 Uhr in der Steinheilstraße, Maxvorstadt, mit Angela Aux. ||

#KULTURLIEFERDIENST
Auf Münchner Straßen | verschiedene Termine | Isarlust e.V., Die Urbanauten

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