Am 15. Mai verstarb mit dem iranisch-deutschen Schriftsteller SAID ein großer Erzähler und Freund unserer Zeitung. In seinem Buch »flüstern gegen die wölfe« zeigte er noch einmal sein ganzes Können.
SAID: »flüstern gegen die wölfe«
Von der Würde des Menschen
Dass SAID, der große deutsche Lyriker aus Teheran, ein politisch engagierter Autor ist und sich für Verfolgte und Exilierte einsetzt, ist bekannt. Dass er ein kluger Essayist ist, weiß man ebenfalls. Weniger bekannt ist er als sensibler und wacher Erzähler – zu Unrecht, wie »flüstern gegen die wölfe« erneut beweist. Der vielfach ausgezeichnete Poet bleibt bei der Kleinschreibung, und mehr oder weniger bleibt er auch bei den Themen, die ihn seit je umgetrieben haben. SAID erzählt von der unantastbar bleibenden Würde des Menschen und von vielerlei Versuchen, sie trotz aller Widrigkeiten nicht zu verlieren. Er erzählt von Außenseitern und Träumern, von Verfolgung und Verrat. Und von der Einsamkeit, manchmal durchbrochen von Gesten der Freundschaft und Solidarität, bisweilen berührt und gemildert durch intensive Momente der Liebe. Ernste, eher melancholische Prosa? Ja. Aber nicht nur.
Ob er nicht die Absicht habe, »wieder einmal nach teheran zu fahren«, fragt »die frau dort auf dem parkett« den Ich-Erzähler, und der antwortet ihr: »unter zwei bedingungen nie. als tourist nicht und nicht als besiegter«. Sie sprechen über Teheran, was bei SAID weit mehr ist als nur der Name der iranischen Hauptstadt, und sie kommen sich näher. »bis sie eines tages sagte, dass sie für das amt arbeite … der spitzel sitzt in meiner küche, nach einer nacht voller küsse«. Und schon ist aus einer ergreifenden Liebesgeschichte eine kalte, einsam machende Geheimdienstgeschichte geworden. Auch die anrührende, den schleichenden Verlust von Heimat umkreisende Erzählung »eine schwarze murmel« kommt ohne Geheimdienst nicht aus – ein Spitzel, heißt es dort, »ein spitzel ist jemand, der seine geliebte verrät, um dem staat treu zu bleiben«.
Solche Spitzel gab und gibt es, in der Epoche des Schah ebenso wie in der Islamischen Republik. Die politisch gewollte Ohnmacht und Einsamkeit des Einzelnen grundiert die dem Band seinen Titel gebende Erzählung einer Flucht, in der die Wölfe, gegen die nur das Flüstern hilft, eine tragende Rolle spielen. Aber auch das Aufbegehren des Verstoßenen, seine Revolte im Sinne von Albert Camus und seine unzerstörbare Resilienz weiß SAID in brillante Literatur zu verwandeln. Harte Kost manchmal. Dass auch Zärtlichkeit, Schmerz und Trauer ihren angemessenen sprachlichen Ausdruck finden, erweist den Verfasser als glühenden Trotzallem-Humanisten. Vor den großen Themen des Menschseins nicht zurückschreckende, ästhetisch fein geschliffene und die Seele anrührende Geschichten aus Giesing, ganz auf der Höhe der Zeit. ||
SAID: FLÜSTERN GEGEN DIE WÖLFE. GESCHICHTEN
Konkursbuch Claudia Gehrke, 2021
168 Seiten | 15 Euro
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