Eine neue Publikation zu Kurt Landauer widmet sich den wahren Hintergründen seiner Rückkehr nach München und zeigt einen vielschichtigen Mann.
Kurt Landauer: Der Präsident des FC Bayern
Nicht wegen des Fußballs kehrte er nach Deutschland zurück
Kurt Landauer führte den FC Bayern als Präsident zur ersten deutschen Fußballmeisterschaft. Als Jude wurde er von den Nazis verfolgt und ins Exil gedrängt. Nach dem Krieg kehrte Landauer aus seinem Schweizer Exil nach München zurück. Doch nicht wegen seines Vereins, wie häufig kolportiert wurde. Chris Schinke sprach mit den Herausgeberinnen Jutta Fleckenstein und Rachel Salamander.
Wie kam es zu Ihrer Auseinandersetzung mit dem ehemaligen FC-Bayern-Präsidenten zu diesem Zeitpunkt?
Jutta Fleckenstein: Ausgangspunkt ist, dass das Konvolut – bestehend aus Landauers Lebensbericht sowie dem Briefwechsel mit Maria Baumann – in die Sammlung des Jüdischen Museums kam. Landauer war bei uns am Haus zwar bereits bei der Konzeption der Dauerausstellung Thema. Er ist allerdings keine Figur darin geworden, da nur wenige Erinnerungsstücke aus seinem Leben recherchiert werden konnten. Uns war aber klar, dass er als einer der wenigen jüdischen Rückkehrer nach München und als ehemaliger Präsident des FC Bayern viel Interesse wecken würde. Im Jahr 2014 gab es einen regelrechten Hype um ihn, als der BR den Film (»Landauer – Der Präsident«, Regie: Hans Steinbichler; Anm. d. Redaktion) über ihn ausstrahlte und anlässlich des 100-jährigen Jubiläums seiner Präsidentschaft eine Reihe von Dokus über ihn gesendet wurden. Zu dem Zeitpunkt und in diesem Kontext ist der Familie Baumann bewusst geworden, dass sich mit dem Konvolut etwas in ihrem familiären Besitz befindet, das auch einen hohen Wert für die Öffentlichkeit besitzt.
Gab es Überraschungen, auf die Sie bei Ihren Recherchen gestoßen sind? Und hat sich Ihr Bild Kurt Landauers während Ihrer Arbeit verändert?
Rachel Salamander: Das öffentliche Bild von Kurt Landauer ist ein sehr festgefügtes. Spätestens seit 2009, dem 125. Geburtstag Landauers, wurde an seinem Mythos gearbeitet und er vom Publikum als Legende rezipiert. Mit dem Briefwechsel – und besonders dem Lebensbericht – tritt einem nun aber ein ganz anderer Kurt Landauer entgegen. Keine Legende und keine übergroße Figur, sondern ein privater Mensch, der alle Nöte und Entwicklungen eines jüdischen Menschen im 20. Jahrhundert erfahren musste. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, der im Briefwechsel mit Maria Baumann viele Emotionen und Empathie zeigt. So entsteht vor unseren Augen eine vielschichtige Persönlichkeit. Einerseits eine Gestalt der Zeitgeschichte, andererseits der private Mensch, ein Jude, ein Migrant und ein Re-Emigrant. An ihm zeigt sich jüdische Geschichte und das ganze Elend der Zeit des Nationalsozialismus.
JF: Kurt Landauer ist uns durchaus als Vielschreiber bekannt. Jedoch zumeist als FußballVielschreiber etwa in den Klubnachrichten, wo er ausführliche Texte verfasste. Als wir aber auf seinen Lebensbericht und die Briefe stießen, bemerkten wir, dass er in seiner Lebensbilanz ebenso genau und differenziert Zeugnis ablegt wie über Fußballentwicklungen.
Viele Leser werden auch von der beeindruckenden Figur der Maria Baumann überrascht sein. Sie war die Geliebte Landauers und ist Adressatin seines Lebensberichtes. Landauer lernt sie als Hausangestellte der Familie kennen. Sie sprechen im Vorwort des Buches von einer »lebensrettenden Liebe«. Inwiefern?
RS: Sie ist eine wunderbare Gestalt, die wiederum für eine ganz eigene Geschichte steht. Maria Baumann zeigt in vielerlei Hinsicht, wie man sich in dieser finsteren Zeit auch verhalten konnte: Man musste nicht Nazi sein. Doch sie war eine Ausnahmeerscheinung. Hätten sich alle Deutschen so mitmenschlich verhalten wie sie, der Nationalsozialismus hätte nicht so wüten können. Es ist wichtig, heutzutage Menschen wie Maria Baumann herauszuheben und dem Vergessen zu entreißen, die damals schon wussten, was richtig und was falsch ist. Zeit seines Lebens hat sie Kurt Landauer und seinen Geschwistern beigestanden. In der schweren einsamen Zeit seines Exils in der Schweiz haben ihm ihre Briefe sehr geholfen, ihm in seiner Entwurzelung ein Stück Vertrautheit gegeben.
Nach einer vierwöchigen Gefangennahme im Konzentrationslager Dachau gelingt Kurt Landauer die Flucht zur befreundeten Familie Klauber nach Genf – eine Zeit der Einsamkeit, Trauer und materiellen Entbehrung. Er und Maria Baumann, die er zurücklassen muss, bleiben aber durch ihren Briefwechsel bis zur Rückkehr Landauers nach München in Kontakt.
RS: Über seine Deportation nach Dachau schreibt Landauer nur sehr spärlich. Die wenigen Hinweise deuten darauf hin, dass er sehr gelitten haben muss. In der Zeit zwischen seiner Freilassung und der Flucht, hat Maria Baumann ihn gepflegt.
JF: Spätestens mit der Deportation 1938 steht Landauers Sicht auf seine Situation in Deutschland fest. Bis zu dieser Zäsur befand er sich in einer Art Wartestellung. Als er aus Dachau zurückkehrte, wurde ihm klar, dass er nicht in Deutschland bleiben konnte. Durch den rechtzeitigen Weggang der Familie Klauber hat sich ihm der Weg in die Schweiz eröffnet. Sie kümmerten sich um seine Aufenthaltspapiere und bürgten für ihn. Landauer war sich als jemandem, dem die Flucht geglückt war, seiner Rettung bewusst. Seine Geschwister fanden sich 1939 in der Falle der Nationalsozialisten und schafften es nicht mehr zu fliehen, Franz, Leo und Paul Landauer und seine Schwester Gabriele wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Briefwechsel unterlagen in der NS-Zeit der Zensur. War Kurt Landauer denn über die Situation in Deutschland im Bilde? Auch über die Situation seiner Familie?
RS: Er weiß bereits im Exil, was mit seinen Geschwistern passiert ist. Die Einzige, die rechtzeitig die Zeichen der Zeit verstanden hatte, war seine Schwester Henny Siegel, die mit ihrer Familie bereits 1933 ins damalige Palästina auswanderte. Der Lebensbericht macht deutlich, dass Landauer in der ganzen Zeit des Exils über die politische Situation gut informiert war. Er hörte regelmäßig ausländische »Feindsender« und las ausländische Presse. Schließlich erfuhr er so auch von den Bombardements der deutschen Städte. In einer sehr harten Stelle des Textes betrachtet er sie als gerechte Strafe für die von den Deutschen verübten Verbrechen.
JF: Er beschreibt, was seiner Familie angetan wird, wie er selbst sukzessive alles verliert, und gibt sehr persönliche Einblicke, wenn er resümiert, dass er sich nicht hätte vorstellen können, dass auch jemand wie er nicht verschont bleiben würde, obwohl er doch wie viele Juden als Patriot im Ersten Weltkrieg fürs Vaterland gekämpft hatte. Was wir also prototypisch von so vielen Münchnern kennen, die bis 1938 denken, das geht vorbei, sehen wir auch bei Kurt Landauer. Als langjähriger Bayern-Präsident und Meistermacher von 1932 hätte er annehmen können, eventuell geschützt zu sein.
Der von Ihnen herausgegebene Band wirft auch ein verändertes Licht auf die Rolle des FC Bayern, was das Verhalten des Vereins zu Beginn der NS-Zeit betrifft. Stichwort: Stuttgarter Erklärung. Darin bekunden 1933 14 süddeutsche Fußballclubs ihre Absicht, jüdische Mitglieder aus den Vereinen auszuschließen. Darunter auch der FC Bayern München. Kamen die Vereine mit ihrer Erklärung einer Gesetzgebung zuvor?
JF: So würde ich das interpretieren. Mit der Stuttgarter Erklärung nahmen die Vereine, indem sie Juden ausschlossen, den nationalsozialistischen Zeitgeist sehr früh auf und perspektivisch an.
RS: Es gab im Dritten Reich keine einheitliche Handhabung der Bestimmungen. Manche Akteure, gesellschaftliche Bereiche oder Regionen verhielten sich gegenüber der nationalsozialistischen Politik durchaus vorauseilend und wandten die Verordnungen mehr oder weniger radikal an. Fakt ist, die süddeutschen Fußballvereine haben für den Ausschluss der Juden in den Clubs schon 1933 unterschrieben. Wir haben die Vorlage für die weitere künftige Forschung gelegt und gezeigt, wie viele Fragen noch offen sind.
Kurt Landauer kehrt 1947 nach München zurück. Und entscheidet sich gegen ein Leben in Amerika oder Israel. Angesichts des Ausmaßes der Verbrechen an ihm und seiner Familie eine unvorhersehbare Entscheidung.
RS: Kurt Landauers Rückkehr nach Deutschland und sein Wiedergutmachungsverfahren haben wir beleuchtet. Wir haben mit unserer Arbeit im Grunde zwei Bücher vorliegen – die Dokumente selbst sowie einen ausführlichen Fußnotenapparat, der eine erste historische Einordnung vornimmt und im Grunde ein eigenes Buch darstellt. Kurt Landauers Leben spiegelt die NS-Geschichte, jüdische Geschichte, die Geschichte der Stadt München und die deutsch-jüdische Nachkriegsgeschichte wider. Seine Erfahrungen sind paradigmatisch für das jüdische Schicksal im 20. Jahrhundert: Er wurde aus der Mitte seines deutschen Lebens gerissen, entbürgerlicht, gedemütigt, seiner Existenz beraubt, aus seiner Heimat gejagt, seine Familie vernichtet.
War am Ende also Maria Baumann der Grund für seine Rückkehr und nicht die Heimatverbundenheit und Verantwortung für seinen
Verein?
RS: Kurt Landauer schreibt selbst: Diese Liebesbeziehung ist das, was ihn nach München zurückführt und nicht der FC Bayern. ||
JUTTA FLECKENSTEIN
ist Historikerin und seit 2005 Kuratorin und stellvertretende Direktorin am Jüdischen Museum München.
RACHEL SALAMANDER
ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie gründete 1982 in München die erste Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum.
KURT LANDAUER: DER PRÄSIDENT DES FC BAYERN – LEBENSBERICHT UND BRIEFWECHSEL MIT MARIA BAUMANN
Herausgegeben von Jutta Fleckenstein und Rachel Salamander, unter Mitarbeit von Lara Theobalt und Lilian Harlander im Auftrag des Jüdischen Museums München | Insel Verlag, 2021 | 379 Seiten | 28 Euro
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