Das Bayerische Nationalmuseum widmet sich in der Ausstellung »Kunst und Kapitalverbrechen« dem schillernden Bildschnitzer Veit Stoß, seinen Vergehen und dem einzigartigen Münnerstädter Altar, der von Tilman Riemenschneider geschnitzt und von Stoß farbig gefasst und mit Bildern bestückt wurde.
Veit Stoß: »Kunst und Kapitalverbrechen«
Kirche, Kunst und Kerker
Fällig gewesen wäre: die Enthauptung. Mit einem Schwert, wie es im Bayerischen Nationalmuseum in München im Original drohend zum Auftakt zu sehen ist. Denn – durchaus provokative – Anschaulichkeit ist in der Ausstellung »Kunst und Kapitalverbrechen – Veit Stoß, Tilman Riemenschneider und der Münnerstädter Altar« Trumpf. Veit Stoß, der nach zwei Jahrzehnten in Krakau 1496 nach Nürnberg zurückgekehrt war, hatte einen Schuldschein gefälscht. Worauf die Todesstrafe stand. Dank prominenter Fürsprache des römischdeutschen Königs und späteren Kaisers Maximilian (und wohl auch wegen der außerordentlichen künstlerischen Fähigkeiten, die noch viel gute Kunst erwarten ließen) wurde er begnadigt: zur Brandmarkung. Das heißt, dass der Henker ihm rechts und links zwei Löcher in die Wangen brannte. Mit einem Brandeisen, das frösteln lässt – und beispielhaft in einer Vitrine bestaunt werden darf. Es glänzt freilich so sauber und neuwertig, als ob es nie benutzt worden wäre, was ein Trugschluss ist.
Was aber war passiert? Veit Stoß war ja als begnadeter spätgotischer Holzschnitzer, nicht als kaltblütiger Verbrecher, bekannt. In Krakau hatte er zwischen 1477 und 1489 das monumentale Flügelretabel für den Hochaltar der St.Marienkirche geschaffen: sein Hauptwerk dort und der zweitgrößte geschnitzte Flügelalter der deutschen Gotik. Nachdem der (wahrscheinlich 1447) in Horb am Neckar geborene Stoß nach Nürnberg zurückgekehrt war, entstanden im Auftrag des mächtigen Ratsherrn und Patriziers Paulus Volckamer drei große Steinreliefs mit Szenen der Passion Christi für den Ostchor von St.Sebald, Nürnbergs älteste Pfarrkirche.
Ungewöhnlicher Bewegungsreichtum, eine Fülle erzählerischer Details und eine bis dahin unbekannte physiognomische Charakterisierung zeichnen die Gestalten ebenso aus wie anatomische Einzelheiten und verschiedene Stimmungen. Exakte Gipsabgüsse in der Ausstellung beweisen es. Extravagante Faltenformen belegen Stoß’ außerordentlichen Erfindungsreichtum, hauchdünne Säume und risikoreich aufgebrochene Gewandmassen dokumentieren seine technische Perfektion. Mit diesen Schöpfungen reüssierte Stoß im blühenden Kunstzentrum der Freien Reichsstadt Nürnberg, die damals KunstPersönlichkeiten wie Michael Wolgemut, der junge Albrecht Dürer, Peter Vischer oder der Bildhauer Adam Kraft prägten. Stoß’ Werkstatt war ausgelastet. Auswärtige Aufträge trudelten ein. 1503 lieferte er etwa ein monumentales Flügelretabel in die Stadtpfarrkirche nach Schwaz in Tirol. Wohlstand und Ansehen stiegen beständig. Das verdiente Geld wollte rentabel angelegt werden. 1499 investierte der Gutgläubige den enormen Betrag von 1000 Gulden in das ortsansässige Handelsunternehmen Baner – mit einem hohen Gewinn. Auf Ratschlag Baners investierte Veit Stoß 1265 Gulden beim Tuchhändler Starzedel. Das allerdings war Anlagebetrug, so würde man es heute nennen. Denn der Tuchhändler war bankrott. Mit Stoß’ Geld bezahlte er lediglich seine Schulden bei Baner – und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Veit Stoß fälschte einen angeblich von Baner ausgestellten Schuldschein, um seinen finanziellen Einsatz bei seinem heimtückischen Ratgeber geltend zu machen. Der Fall landete vor Gericht. Der zähe Prozess zog sich hin. Stoß wurde schließlich festgenommen, ins Lochgefängnis unter dem Rathaus geworfen, wo man ihm die »Instrumente« zeigte: Daumenschrauben, Mundbirne, Knochenbrecher – womöglich auch das Rad, auf das die ganz schweren Jungs geflochten wurden, nachdem man ihnen alle Glieder ausgerenkt, die Knochen gebrochen und sie geteert und gefedert hatte. Der sensible Künstler gestand. Nach der Urteilsvollstreckung am 4.Dezember 1503 löste sich seine Werkstatt auf. Obwohl er die Stadt nicht hätte verlassen dürfen, floh er Anfang 1504 zu Tochter und Schwiegersohn nach Münnerstadt. Wo ihn ein lukrativer und recht spezieller Auftrag erwartete, unter normalen Umständen wäre ja an so einen Starkünstler schwer ranzukommen, ganz zu schweigen davon, ihn an den Ort des Geschehens zu verpflichten: Er sollte für den Hauptaltar der Magdalenenkirche die 1492 geschaffenen Skulpturen seines Würzburger Konkurrenten Tilman Riemenschneider farbig fassen und vergolden sowie vier Bildtafeln für die Flügel malen. Das Thema war ein Verbrechen: der Mord am irischen Wanderbischof Kilian, der das Christentum nach Franken brachte und heute als Schutzpatron Frankens firmiert.
Die vier expressiv und geradezu blutrünstig dargestellten Szenen gelten als die einzigen Gemälde von Veit Stoß und schildern vier Kapitel aus der Lebensgeschichte des Heiligen, der den Frankenherzog Gozbert zur Auflösung seiner kirchlich ungültigen Ehe mit seiner verwitweten Schwägerin Gailana aufgefordert hatte. Die Frau fürchtete um ihren Ruf, warb Mörder an, die Kilian und seine Mitstreiter Kolonat und Totnan in einem Hinterhalt niedermetzelten. Stoß widmete sich besonders Gebärden, Händen, gestenreichen Bewegungen – und die Ausstellungskuratoren den dargestellten Objekten wie Taschen, Äxten, Messer, Schwertern, etc. Sie haben der Anschaulichkeit halber ähnliche Objekte aus ihrem reichen Fundus geholt und zeigen sie den Besuchern in Vitrinen. Außerdem sind in der Schau, die damit einen Rundumblick über das Œuvre von Stoß ermöglicht, sämtliche grafischen Blätter des Meisters sowie geschnitzte Figuren versammelt.
Das kunsthistorisch Exzeptionelle dieser Schau ist allerdings die fast komplette Präsentation des Mitte des 17. Jahrhunderts demontierten und durch eine barocke Neukonstruktion ersetzten Münnerstädter Altars. Für die Zeit der Sanierung des dortigen Chors stellt das Museum die originalen Teile des von Tilman Riemenschneider geschaffenen Hochaltarretabels aus, darunter die Heiligen Elisabeth und Kilian. Maria Magdalena im Haarkleid wird von sechs Engeln umschwärmt – die musste aber bloß, wie auch einige andere Figuren, aus dem RiemenschneiderSaal des Hauses nach oben gebracht werden, denn auch diese Szene war ehemals aus dem Münnerstädter Magdalenenaltar herausgelöst worden. Sie zeigen die typischen Riemenschneider-Charakteristika: elegante Haltungen, durchgeistigte Gesichter und raffiniert ausgedachte Gewänder mit einem unvergleichlichen Faltenwurf, der immer etwas kantiger, schärfer, akzentuierter daherkommt, als bei den etwas weicheren Formen des Veit Stoß. Den 1505 übrigens wieder das Heimweh plagte. Für seine unerlaubte Flucht saß er in der Noris erst mal wieder im Kerker, auch ein Gnadenbrief des Kaisers wurde nicht berücksichtigt. Und bis der Gebrandmarkte wieder gute Aufträge erhielt, dauerte es noch eine Weile. ||
KUNST UND KAPITALVERBRECHEN. VEIT STOSS, TILMAN RIEMENSCHNEIDER UND DER MÜNNERSTÄDTER ALTAR
Bayerisches Nationalmuseum | Prinzregentenstr. 3 | bis mindestens Ende Juni | Di bis So, 10–18 Uhr | Anmeldung für ein Zeitfenster (bei einer Inzidenz unter 100) unter 089 21124317 | Der reich illustrierte Katalog (Hirmer-Verlag, 240 Seiten) kostet 39 Euro, im Museum 29 Euro
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