Störelemente und die Kunst des kontrollierten Zufalls: ein Porträt des Münchner Goldschmieds Peter Bauhuis.
Peter Bauhuis: Der Herr der Fliegen
Peter Bauhuis ist ein Meister des Metalls. Er macht Schmuck und Gefäße aus Gold, Silber, Bronze, Kupfer und unzähligen anderen Metallen. »Alchimist« wird er oft genannt. Nicht, weil er ernsthaft auf der Suche nach Gold wäre, sondern wegen seines Forschertriebs: Durch jahrelanges Experimentieren hat er schon so manch metallisches Geheimnis lüften können, hat etwa Tumbaga nachgemischt, jene Legierung, die die spanischen Konquistadoren auf ihren Raubzügen durch Süd- und Mittelamerika für pures Gold hielten – bis es beim Einschmelzen kupferrot wurde. Bauhuis’ Spezialität sind Gefäße aus zwei verschiedenen Metallen. Klingt banal, ist aber extrem schwierig umzusetzen: Wenn man verschiedene Metalle in einen Tiegel gibt und erhitzt, verschmelzen sie normalerweise zu einer neuen, einfarbigen Legierung. Das würde langweilig aussehen. Bauhuis geht es um die malerischen Effekte an den »Schnittstellen«. Dort, wo die Metalle aufeinandertreffen und miteinander fusionieren, ergeben sich malerische Formen, die wie Landschaften aussehen: Schatten und Wolken ziehen sich wie von Wind getrieben über die Haut des Gefäßes und verleihen der Form Dynamik und Leichtigkeit. Um diese Effekte zu erzielen, lässt Bauhuis die Metalle direkt in der Gussform aufeinandertreffen. Und auch das hat seine Tücken: »Wenn ich die Metalle zu heiß mache, verschmelzen sie zu einer Legierung, wenn es zu kalt ist, verschmelzen sie gar nicht.« Es ist die große Kunst des kontrollierten Zufalls – und Peter Bauhuis beherrscht sie wie kein zweiter.
Fässchen auf Beinen
Mit einem Gefäß dieser Art ist er im vergangenen Jahr ins Finale für den Craft Prize der Loewe Foundation gekommen, einem der wichtigsten Preise für angewandte Kunst weltweit. Wann die Preisvergabe und die Ausstellung in Paris stattfinden können und ob diesen Erfolg überhaupt irgendwer mitbekommt, ist allerdings völlig unklar. Corona nagt gerade stark an der Präsenz der Kunst. Was Künstlern fehlt, sind die Foren, ihre Werke zu zeigen. Das gilt auch für Peter Bauhuis: Die Internationale Handwerksmesse in München, auf der seine Arbeiten oft zu sehen sind, wurde bereits zum zweiten Mal in Folge abgesagt, seine Galerien von New Jersey bis Melbourne sind geschlossen, Ausstellungen wurden gecancelt, verschoben oder sind geschlossen. Aber natürlich arbeitet er trotzdem weiter. Phasenweise geht das sogar besser, denn Corona heißt auch: weniger Störungen und Ablenkungen, mehr Ruhe und Konzentration. »Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, warum mache ich noch eine weitere Arbeit, wenn ich gar keine Chance habe, die der Welt zu zeigen?« Hier und da kann improvisiert werden: Einige seiner Gefäße präsentiert seine Münchner Galerie Biró gerade in einer Schaufenster-Ausstellung im Th Café in der Georgenstraße: mit jeweils drei Stampferbeinchen, dem runden Bauch und der winzigen Tülle sehen sie ein bisschen aus wie Küken.
Doppelformen
Die Herausforderung der Stunde heißt Motivation. Nicht ganz einfach für einen Künstler, dessen bisheriges Werk immer auch von einer gehörigen Portion Witz geprägt war. Noch ist Peter Bauhuis der Humor zum Glück nicht abhandengekommen. Sein neuestes Projekt ist gewohnt keck und schelmisch: kleine Anstecknadeln in Form einer Fliege. In seiner Werkstatt in einem Hinterhof der Maxvorstadt ist ein ganzer Tisch von diesen Fliegen bedeckt: 2 bis 10 Zentimeter groß, aus Kupfer, Silber und Gelbbronze. Die Formen sind stark abstrahiert, die Flügel etwa erinnern an ein Herz, dazu noch zwei Kugeln für die Augen – fertig. Voluminös, rund und glatt kommt das daher und wirkt damit einerseits barock, könnte aber auch einem Comic entsprungen sein. Dieses Uneindeutige hat Konzept: außer an Herz und Fliegenflügel erinnern die prallen runden Doppelformen nämlich auch an Pobacken, hängende Brüste oder ein Hodenpaar.
Und überhaupt: Wer steckt sich denn eine Fliege an? Ein Störelement als Schmuckstück? Stubenfliegen sind nicht eben beliebt, sie sind lästig und eklig, sie nerven und infizieren – die Analogien zum aktuellen Virus sind deutlich. Wer sich länger mit Stubenfliegen beschäftigt, kann Spannendes entdecken: Fliegen haben zum Beispiel eine Dreigangschaltung am Flügelgelenk – ob das die Vorlage für den Fahrerlebnisschalter mit seiner Abstufung ecopro, comfort und sport von BMW war? Man muss aber auch nicht lange herumgoogeln, bis man erfährt, woher eigentlich unser Impuls kommt, Fliegen immer sofort vom Essen zu verscheuchen: nicht nur, weil sie vorher sonstwo gesessen haben könnten, sondern auch, weil sie feste Nahrung mangels Kauwerkzeugen immer erst mit ihrem Magensaft übergießen müssen, der sie verflüssigt und so für ihren Rüssel aufsaugbar macht. Anders gesagt: Fliegen kotzen die ganze Zeit vor sich hin. Ihr goldenes Zeitalter, als sie als Zeichen der Schönheit Gottes galten, ist mit der Aufklärung jedenfalls gründlich zu Ende gegangen.
»Sie haben da was«
Vor einigen Jahren hat Peter Bauhuis schon mal eine Schmuckserie gemacht, die sich mit Störelementen befasste: goldene und silberne Anstecknadeln mit hauchfeinen Gewebestückchen am Kopf, die aus der Ferne wie Fusseln wirken. So ein Fussel am Revers löst beim Gegenüber einen ganz ähnlichen Bewegungsimpuls aus wie die Fliegen: »Entschuldigen Sie, Sie haben da was …« murmelnd will man auf den vermeintlich Bedrängten bzw. Verunstalteten zugehen und ihn befreien, mit einer Wischbewegung im Raum, ganz ohne Display. »Gerade beim Schmuck geht es ja um die Annäherung von Mensch und Objekt. Auch sehr interessant zurzeit!«
Im Grunde ist der Schmuck von Peter Bauhuis Konzeptkunst. Seine Kettenbäume zum Beispiel sind kleine Skulpturen aus ineinander verzahnten Ovalen, die man theoretisch auseinandersägen und als Kette tragen kann. Man kann es aber auch lassen und sie als baumartige Skulpturen mit Krone und Stamm bewundern. Erst im Oktober hat Peter Bauhuis für diese Arbeiten den begehrten Ehrenpreis der Münchner Danner-Stiftung gewonnen. Die dazugehörige Ausstellung in der Pinakothek der Moderne liegt allerdings seit Beginn des Lockdowns besucherfrei im Dornröschenschlaf. »Merkwürdigerweise habe ich ja ein Konzept bei den Arbeiten in der Danner-Ausstellung, bei denen Objekte zu sehen sind, die das Potential einer Kette haben, aber noch keine Kette sind. Und diese Arbeiten sind jetzt in einer Vitrine zu sehen, in einem abgeschlossenen Raum, in einem nicht zu begehenden Museum: das ist Konzeptkunst sondergleichen. Das hatte ich aber gar nicht vor.« ||
SCHAUFENSTERAUSSTELLUNG »PETER BAUHUIS«
Th Café | Georgenstraße 35
»DANNER-PREIS 2020. 100 JAHRE DANNER-STIFTUNG«
Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40
verlängert bis 11. April, derzeit geschlossen
Digitale Angebote auf der Homepage der Pinakotheken
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