Drei internationale Münchner Festivals wollen trotz Corona vorbereitet werden. Wir fragen Nina Hümpel von DANCE, Sophie Becker von SPIELART und Manos Tsangaris von der Münchener Biennale, wie sie das machen. Mehr Arbeit war es für sie alle, mehr Unsicherheit, mehr Zeit vor dem Bildschirm, mehr Kommunikation. Aber es gibt auch Unterschiede.
SPIELART / DANCE / Münchener Biennale: Kuratieren in Zeiten des »rastlosen Stillstands«
Nina Hümpel und DANCE
Reisen war nicht in diesem Jahr. Dauernd vor dem Bildschirm sitzen und Aufzeichnungen bestehender Performances anschauen musste Nina Hümpel trotzdem nicht: »Das hatte ich nicht nötig, denn dadurch, dass ich schon so lange kuratiere, hatte ich so viele interessante Künstler auf meiner inneren Liste, mit denen ich immer schon mal oder unbedingt wieder arbeiten wollte«, sagt sie. Mit Choreografen, denen sie vertraut, gemeinsam Formate zu entwickeln, daraus bestand das Gros ihrer Arbeit für DANCE 2021. Vom 6. bis 16. Mai soll das Festival stattfinden. Mit mehr Komplettüberarbeitungen und echten Uraufführungen als sonst, aber wohl auch – und das ist der größte »Wermutstropfen« für Hümpel – ohne die ganz großen Überraschungen. Jemanden wie den Chinesen Yang Zhen, den Kanadier Peter Trosztmer oder die indigene Choreografin Daina Ashbee, die Hümpel, wie sie selbstbewusst sagt, »für Europa entdeckt hat«, findet sie üblicherweise in Off-Off-Festivals oder studentischen Sonderprogrammen ihrer Heimatländer, wo es oft weder Manager noch Agenten gibt. »Ich hätte für das kommende Festival gerne eine ganz junge chinesische Künstlerin eingeladen«, sagt Hümpel.
»Aber das ist in der gegenwärtigen Situation nicht möglich.« Normalerweise ist Hümpels Planung immer schon am 1. November in trockenen Tüchern. Im Corona-Jahr hat sie den Programmschluss auf Mitte Januar verschoben, »weil wir einiges noch nicht realisieren konnten und nicht absehbar ist, wie sich die Pandemie entwickelt, ob zum Beispiel Künstler aus Südkorea einreisen können oder ob hier oder dort gerade wieder ein Hotspot ist.« Und auch wenn die künstlerische Leiterin von DANCE so entspannt klingt wie eigentlich immer in den letzten zwölf Jahren, hat sie der erhöhte Planungs- und Kommunikationsaufwand geschafft. »Obwohl das Reisen weggefallen ist, habe ich für dieses Festival doppelt so viel gearbeitet. Ein übertriebener Optimismus der Kompanien, die davon ausgehen, dass sie bei uns live spielen können, am liebsten vor vollem Haus« macht Wenn-dann-Gespräche mühsam. Und die gilt es eben gerade dauernd zu führen, weil jedes Festival in den Varianten live, hybrid und online geplant werden muss. Einfacher ist es mit per se pandemieverträglichen Produktionen im öffentlichen Raum, die schon seit Jahren fest zu DANCE gehören und die Hümpel bereits lange vor Corona verabredet hat. So etwa eine erweiterte DANCE History Tour 2 mit neuen Schwerpunkten und Partnern oder zwei Walking-Pieces von Jody Oberfelder aus New York.
Und auch »superinteressante mediale Produktionen« hat Hümpel entdeckt, die dabei helfen können, »den zeitgenössischen Tanz aus seiner oft akademischen oder elitären Blase herauszuholen und einem breiteren, auch jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Ich empfinde mich als Vermittlerin. Mit einer Produktion im Internet, in die Gamer und YouTuber involviert sind, erreichst du Gruppen, die du im Theater sonst nicht erreichen würdest. Ebenso wie mit der Öffnung in den Stadtraum hinein, wo Passanten vielleicht erstmals mit zeitgenössischem Tanz konfrontiert sind. Damit bewirken viele solcher Corona-kompatiblen Formate etwas, was ich sowieso voranzutreiben versuche: eine größere Offenheit.« Doch auch wenn das Programm bis auf das finale Okay von zwei, drei großen Kompanien im Prinzip steht, kann es natürlich sein, dass im Mai immer noch gar nichts mit physischer Präsenz erlaubt sein wird. Was dann? Verschieben? »Unmöglich, denn das machen ja gerade alle.« Und ein zeitliches Entzerren von DANCE widerspricht für Hümpel der Festivalidee. Im schlimmsten Fall, versichert sie, »wird es immer noch ausreichend Angebote im digitalen Raum geben«. So oder so im Fokus: »Produktionen, die sich politisch artikulieren – und das Thema Alter.« Näheres ab Februar.
Sophie Becker und SPIELART
»Die Frage ist, und das klingt polemischer, als ich es meine, wer dieses Festival zum Schluss kuratiert.« Nominell ist Sophie Becker für die für Oktober 2021 geplante SPIELART-Ausgabe erstmals alleine verantwortlich. Aber Covid 19 steht immer neben ihr. »Ich habe vor Weihnachten eine Longlist gemacht mit KünstlerInnen, die ich interessant finde, es bleiben aber jede Menge Fragen: Können sie kommen, gibt es sie bis dahin noch als Gruppe?« Da sind die wechselnden Reisebeschränkungen, da ist die Tatsache, dass die Botschaften bis auf Weiteres geschlossen sind. Wer jetzt noch kein gültiges Visum hat, bekommt vermutlich keines mehr. Und, so Becker: »Es ist beileibe noch nicht klar, wer von unseren Partnern die Krise übersteht. Und damit meine ich auch die europäischen.«
Auch ihr bleibt deshalb nichts anderes übrig als »relativ lange relativ breit zu planen« und gleichzeitig davon ausgehen, dass das Festival am Ende wohl kleiner und sicher anders wird als zuvor. Ein Problem unter vielen: dass sich die Kunstproduktion gerade international permanent nach hinten verschiebt und man dabei nur zuschauen kann. Denn um Stücke in München zur Premiere zu bringen, bräuchte SPIELART Residenzräume, die es nicht hat. Außerdem: »So oft, wie manch eine Performance derzeit umgearbeitet werden muss, verlässt den einen oder die andere womöglich auch die Lust oder das Interesse am Thema.« Auch dafür hätte Becker Verständnis.
Im Januar war die Festivalleiterin noch in Indien, Bamako und Buenos Aires unterwegs. »Seitdem«, sagt sie, »habe ich maximal acht Liveperformances sehen können. Für SPIELART heißt das zum Beispiel, dass wir uns mit Produktionen beschäftigen, die wir schon vor zwei oder vier Jahren zeigen wollten, was damals aber nicht ging, weil jemand schwanger war oder die Gruppe woanders tourte.« So stehen also mehr Koproduktionen mit SPIELART-Bekannten an, unter denen laut Becker »verhältnismäßig viele Münchner sind und Künstler aus Ländern des globalen Südens« – und eine größere Einbindung der Expertise außereuropäischer Netzwerkpartner. Damit sieht Becker ihre Kernaufgabe im Moment darin, »die unterschiedlichen Inputs zu koordinieren«. Einige davon werden digital sein, weil vermutlich auch im Herbst noch mehrgleisig gefahren werden muss. Außerdem werde es auf diesem Gebiet »allmählich interessant«. Und die neuen Formen – ohnehin Teil der SPIELART-DNA – ermöglichen auch eine größere Teilhabe eines internationalen und »mixed abled« Publikums. Während in Asien laut Becker bereits sehr viel digital stattfindet, entdecken in Afrika viele Künstler das auch den Ärmsten der Armen zugängliche Radio neu: »Ich habe gerade mit Nora Chipaumire aus Simbabwe gesprochen, die aktuell in Berlin eine Zwischenversion ihres gigantischen Musiktheaterprojekts als LiveRadiooper erarbeitet.«
Für SPIELART 21 strebt Sophie Becker eine hybride Mischung an. Auch aus der Erfahrung heraus, wie stark sie selbst nach dem ersten Lockdown durch Kunst emotional angefasst wurde, ist sie sich nicht sicher, »ob man im November schon wieder die körperliche Nähe schwitzender Performer erträgt, die halb nackt durch Zuschauergruppen laufen«. Hygieneregeln hin oder her. Und auch thematisch kuratiert die Pandemie mit: So wird es zwar keine expliziten Corona-Stücke geben – »was ich da gesehen habe, blieb oft in der Beschreibung stecken« –, aber viele Arbeiten haben mit dem Thema soziale Gerechtigkeit und dem Verhältnis Mensch-Natur zu tun. Eröffnet wird das Festival voraussichtlich mit einer Arbeit von Taigué Ahmed über den Tschadsee, der durch die Erderwärmung immer mehr Wasser verliert.
Manos Tsangaris und die Münchener Biennale
»Rastloser Stillstand«! Die Vokabel aus der Wortschmiede seines Berliner Freundes Johannes Odenthal scheint Manos Tsangaris die derzeitige Situation perfekt zu beschreiben, dieses »Reagieren auf sich ständig verändernde Parameter, die einem Flexibilität aufoktroyieren«. Er und sein Co-Kurator Daniel Ott haben es gerade erst selbst erlebt, was Festivalplanung in CoronaZeiten bedeutet. Die Münchener Biennale für neues Musiktheater ist im Mai dem ersten Shutdown zum Opfer gefallen. »Deshalb kamen erstmals in der Geschichte des Festivals Uraufführungen außerhalb Münchens heraus.« Seitdem gelten Ott und Tsangaris als die Erfinder eines »dynamischen Festivals«, zu dem auch gehört, dass ein kleines Paket nicht zur Premiere gekommener Produktionen noch in den Startlöchern steckt. Sie sollen an Ostern zur Aufführung kommen. Womit sich die Biennale 2020 nun also zu einer Biennale 2020/21 »ausgestreckt« hat.
War das der Plan B? Da kann er nur lachen: »Wir sind teilweise schon bei Plan E und F.« Im April 2021 werden voraussichtlich in München zu sehen sein: »Once to be realised« – sechs Begegnungen mit Jani Christous »Project Files« von Beat Furrer, Barblina Meierhans, Olga Neuwirth, Younghi Pagh-Paan, Samir Odeh-Tamimi und Christian Wolff; »Große Reise in entgegengesetzter Richtung – Expeditionen ins Archiv der Wirklichkeitsfabrik« von Yair Klartag, Anda Kryeziu, Christiane Pohle/Zahava Rodrigo, Tobias Eduard Schick/Katharina Vogt und Ror Wolf sowie »Transstimme« – Oper in zwei Akten von Fabià Santcovsky. Drei Produktionen, die Tsangaris hofft »2021 innerhalb des absolut notwendigen Sicherheitssystems umsetzen zu können. Und gleichzeitig sind wir mit dem anderen Teil unseres Resthirns schon dabei, die 22er-Biennale zu planen. Und zwar sehr konkret: Wir sprechen mit vielen Leuten, stellen Teams zusammen und suchen Koproduktionspartner.«
Vieles ist aber auch längst geplant, weil ein reines Uraufführungsfestival ganz andere Vorläufe hat als die Festivals der Kolleginnen. »Aufgrund der bisweilen altmodisch langsamen Form des Komponierens im Musiktheater« handelt es sich dabei zum Teil um Jahre. Die Kompositionsaufträge waren demnach vergeben, die Themen der neuen Festivalausgabe schon gesetzt, bevor Corona unsere Gewohnheiten torpedierte. Was davon am Ende umgesetzt werden kann, ist nicht nur pandemie-, sondern auch politikabhängig: »Das Münchner Kulturreferat«, gibt Tsangaris zu bedenken, »ist schließlich den gleichen Unsicherheiten ausgesetzt wie wir.« Onlineproduktionen will die Biennale aber nicht anbieten. »Die Dynamisierungsidee war ja genau dieser Haltung geschuldet.« Weil Tsangaris gerade die speziellen Aufführungsbedingungen von Musiktheater am Herzen liegen und »weil wir alle schon viel zu eng an unsere kleinen elektronischen Haustiere gebunden sind.« Garantieren kann er das selbstverständlich nicht: »Im schlimmsten Fall werden wir auch solche Möglichkeiten bedenken müssen, aber wir versuchen es zu vermeiden.« ||
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