Altes Handwerk und traditionelles Material, überführt in die heutige Zeit: die Weihnachtsausstellung der Mitglieder des Kunstgewerbevereins.
Weihnachtsausstellung des BKV: Garantiert einzigartig
Natürlich sind Geschenke eigentlich unwichtig. Was wirklich zählt ist Aufmerksamkeit. Und doch sind Gaben so etwas wie die Ornamente guter Beziehungen. Außerdem macht Schenken Spaß, es »macht die Seele weit«, wie es der Philosoph Wilhelm Schmid formuliert. Und so wird auch in diesem Jahr, in dem so manches anders ist, als wir es kennen, eines gleich bleiben: Die Suche nach einem besonderen Weihnachtsgeschenk. Einzigartig soll es sein, nichts von der Stange und so schön, dass einem beim Anblick die Augen übergehen. Etwas, das von Herzen kommt und vielleicht ja sogar mit Herz hergestellt wurde. Aber woher soll man denn immer so genau wissen, wer was wie und wo hergestellt hat? Die Lösung heißt Bayerischer Kunstgewerbeverein und liegt in der Pacellistraße. Hier finden Sie perfekte Geschenke: einzigartig, gut und schön.
Da ist etwa der Kerzenleuchter »Junger König der Nacht« aus Edelstahl, für den der Nürnberger Gold- und Silberschmied Paul Müller gerade erst einen Danner-Ehrenpreis bekommen hat: filigran, fast grafisch in der Form, mit sehr klarer Konstruktion und hochpräzise in der Ausführung – und natürlich voll funktionsfähig! Denn auch wenn Paul Müllers Leuchter schon als Skulpturen ihre Berechtigung haben, so richtig strahlen sie erst, wenn man sie auch benutzt. Zum Abendessen zündet der Künstler auch gern selbst mal die Kerzen seiner Leuchter an: »Das ist vielleicht anachronistisch, aber dann ist es ein schöner Anachronismus.«
Absolut alltagstauglich und doch herausragend in ihrer formalen Präsenz sind auch die Arbeiten des Keramik-Ateliers SOOBO. Die beiden jungen Porzellangestalter Bokyung Kim und Minsoo Lee aus Südkorea haben sich vor nicht allzu langer Zeit in Dießen am Ammersee niedergelassen. Ihr minimalistisches Geschirr in gedeckten Farben wurde erst Ende Oktober auf der Leipziger Grassimesse für Angewandte Kunst ausgezeichnet.
Insgesamt versammelt die Weihnachtsausstellung neueste Arbeiten von fast 100 Vereinsmitgliedern aus den Bereichen Glas, Silber, Metall, Keramik, Textil und Schmuck. Alle Arbeiten sind einzigartig, und doch haben alle eines gemeinsam: Ihre Gestaltung zieht den Betrachter unweigerlich in den Bann. »Das ist die Intensität, die der Künstler im Schaffen hineinlegt, all die Überlegungen, die Planungsphasen … – das strahlen auch die Objekte aus«, so Monika Fahn, Geschäftsführerin des BKV. »Es liegt viel drin, und man kann viel für sich herausziehen. Man sollte sien von allen Seiten betrachten und auch in die Hand nehmen, das Haptische ist wichtig, vielleicht auch im Gegensatz zu den Digitalisierungen. Wir leben nun mal in der realen Welt, und das gehört zum Menschlichen dazu, dass man Dinge anfassen kann. Und das Handwerk hat etwas ganz Essenzielles, es ist ein eminent wichtiger Ausdruck des Menschen neben der Sprache, nämlich ein künstlerischer Ausdruck, in all den Handwerkstechniken, die zur Verfügung stehen, mit all den Materialien, die auch die heutige Zeit bietet.«
Tatsächlich bauen viele Arbeiten Brücken zwischen den Jahrhunderten: Ein altes Handwerk oder ein traditionelles Material wird in die heutige Zeit überführt. Die Augsburger Künstlerin Carina Shoshtary etwa überrascht mit einem Paar Ohrringe aus Maisstärke – gemalt mit einem 3-D-Stift. Schillernd wie Perlmutt setzen sich die Ohrringe aus vielen kleinen Fäden zusammen, fließend und völlig frei in der Form. Bei der Dresdner Schmuckkünstlerin Dorit Schubert kommt Farbe ins Spiel: Ihre Ohrringe erinnern an Blütenkapseln, Dolden oder Knospen und sind aus Nylonfäden und dünnem Draht geklöppelt. Dadurch sind sie einerseits stabil, bewahren sich aber die Leichtigkeit von Spitze. Die Münchner Goldschmiedin Pura Ferreiro wiederum arbeitet mit der jahrtausendealten Technik der Granulation: Winzige Kügelchen aus Gold werden auf die Schmuckstücke aufgeschweißt – und zwar ohne Lot! Wie von Zauberhand entstehen so feinste Ornamente auf der Oberfläche.
In Bayern leben und arbeiten auffallend viele Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker, die auf der Grundlage eines traditionellen Handwerks immer wieder Neues entwickeln. Mit ihren Arbeiten bewegen sie sich oft auf der Grenze zwischen Gebrauchsgegenstand und freiem Kunstobjekt. Künstlerisch ist das extrem spannend. Was die Positionierung in der Gesellschaft und vor allem auf dem Markt angeht, aber nicht immer ganz einfach.Das fängt schon beim Begriff an: »Kunsthandwerk« oder gar »Kunstgewerbe« ist nicht bei allen Menschen positiv belegt. Und nicht allzu viele Menschen sind bereit, den Preis für die in der Herstellung nun mal recht zeitintensiven Arbeiten zu zahlen. Teure Werbe- und Marketingkampagnen, wie sie im Design üblich sind, sind den soloselbstständigen Künstlerinnen und Künstlern nicht möglich.
Umso wichtiger sind da Institutionen wie etwa die Galerie Handwerk der Handwerkskammer für München und Oberbayern oder eben der Bayerische Kunstgewerbeverein. Textil, Keramik, Schmuck, Glas, Silber, Holz, Papier oder Spielzeug: Im Kunstgewerbeverein haben sich Künstler und Kunsthandwerker der unterschiedlichsten Gewerke zusammengeschlossen. 1851 gegründet, war es dem Verein von Anfang an ein Anliegen, durch beispielhaftes Kunsthandwerk die Qualität im Kunsthandwerk zu fördern. Noch heute entscheidet eine Jury darüber, wer aufgenommen wird. Einst hatte der BKV 2200 Mitglieder – darunter übrigens der russische Zar und der deutsche Kaiser. Man konnte sich sogar eine Vereinszeitschrift, »Kunst und Handwerk«, leisten. Im Jahr 1876 warfen die Verkäufe einer einzelnen Ausstellung einen so hohen Gewinn ab, dass der Verein davon ein eigenes Haus errichten konnte, mitten im Herzen Münchens, nur wenige Meter vom Hotel Bayerischer Hof entfernt an der Pacellistraße 6–8, wo der Verein noch heute seinen Sitz hat. Mit seinen rund 400 Mitgliedern ist es der größte und älteste Landesverband für Kunsthandwerker in Deutschland und vor allem der einzige, der sich dank eigener Immobilie ein Ladengeschäft und eine Galerie mit jährlich acht Wechselausstellungen leisten kann.
Die Galerie Handwerk, die in ihrer Weihnachtsausstellung traditionell künstlerisches Spielzeug zeigt, hat ebenfalls geöffnet. 50 Künstler*innen aus fünf europäischen Ländern sind in dieser reich bestückten Arche der Fantasie vertreten: »Es kommt ein Schiff, geladen …« lautete das Thema in diesem stürmischen Jahr. Hier allerdings muss man sich vorher telefonisch anmelden, wenn man andere beschenken und sich selbst eine Freude machen will. ||
WEIHNACHTSAUSSTELLUNG
Bayerischer Kunstgewerbeverein
Pacellistr. 6–8 | bis 16. Januar | Mo bis Sa 10–18 Uhr, 21.–23.12. bis 19 Uhr, Heiligabend und Silvester 10–13 Uhr
KÜNSTLERISCHES SPIELZEUG – SPIELERISCHE KUNST
Galerie Handwerk | Max-Joseph-Str. 4, Eingang Ottostraße | bis 30. Dezember
Di/Mi/Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa 10–13 Uhr, Besuch nach telef. Anmeldung: 089 5119296
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