Sinclair Lewis imaginierte 1935 in seiner Warnung vor faschistischen Tendenzen einen Lügner von Trumpschem Kaliber.
Sinclair Lewis: Epidemischer Patriotismus
Realität, Horror und Satire liegen manchmal so nahe beieinander, dass man auf den ersten Blick nicht erkennt, woran man ist. Liest man den bereits 1935 erschienenen Roman »Das ist bei uns nicht möglich« des amerikanischen Nobelpreisträgers Sinclair Lewis, könnte man tatsächlich den Eindruck haben, eine aktuelle Zeitung aufgeschlagen zu haben. Darin nämlich schafft es ein Betrüger mit populistischen Parolen, dem Schüren von Angst und dem Versprechen von Wirtschafts- und Sozialreformen, zum Präsidenten der USA gewählt zu werden. Er baut das Land zu einer faschistoiden Diktatur aus, in der die Pressefreiheit eingeschränkt ist, die Gerichte keinen Einfluss mehr haben und eine Privatarmee für Recht und Ordnung sorgt. Sogar ein Krieg gegen Mexiko wird angezettelt. Bei Sinclair Lewis heißt diese diabolische Witzfigur nicht Donald Trump, sondern Berzelius »Buzz« Windrip, doch die Ähnlichkeiten mit der aktuellen Situation in Amerika sind schaurig. Lewis hatte den Roman zur Unterstützung von Franklin D. Roosevelts Wahlkampf 1936 geschrieben, seit 2016 wird er in den USA als beinahe prophetische Vorhersehung wieder gelesen. Auch jetzt, kurz vor den erneuten Wahlen, hat er kaum seine Aktualität eingebüßt – ganz im Gegenteil. Die Art und Weise, wie Windrip die Grenzen zwischen Fakten, Lügen und blumiger Interpretation ausleiert und verschiebt, wirkt nur zu vertraut. Die demokratische Grundordnung der USA steht auf dem Spiel – im Roman wie in der Realität.
Lewis stellt seinem Volksverführer den Journalisten Doremus Jessup entgegen, der mit seiner unverblümten Berichterstattung das letzte demokratische Fähnchen hochhält. Er wird im Verlauf des Romans festgenommen, gefoltert und in ein Konzentrationslager gebracht. Lewis sah nicht wenige Vorgänge, die später in Nazi-Deutschland passieren sollten, grauenhaft akkurat voraus (eine versiegelte und mit Kohlenmonoxyd befüllte Synagoge lässt das Blut in den Adern stocken) und beim Lesen fragt man sich tatsächlich immer wieder, ob Trump den Roman möglicherweise als Ratgeber missverstanden haben mag. Doremus Jessup erkennt das alles als »epidemischen Patriotismus« und wird dafür von seinen Kritikern verlacht. Diese behaupten steif und fest, ein Faschismus wie in Europa könne in den USA keinesfalls stattfinden und wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Diese Stimmen klingen merkwürdig vertraut, etwa wenn man sich an die #blacklivesmatter-Proteste erinnert und sich dabei in Deutschland kaum jemand angesprochen fühlte. »Das ist bei uns nicht möglich« funktioniert nicht nur in eine Richtung und das macht diese Gratwanderung zwischen Satire und Horrorroman zu einer universellen Warnung. Es bleibt zu hoffen, dass hier nicht alle so resignieren wie Jessup, dem ab einem gewissen Punkt auch die Bücher keinen Trost mehr spenden können. Zu hoffnungslos ist die Realität geworden. ||
SINCLAIR LEWIS: DAS IST BEI UNS NICHT MÖGLICH
Aus dem Amerikanischen von Hans Meisel | Aufbau Taschenbuch | 442 Seiten | 14 Euro
Unsere aktuelle Ausgabe:
Verkaufsstellen
Online-Kiosk
ikiosk.de
Sie bekommen die aktuelle Ausgabe gratis zu jeder Bestellung bei den folgenden Buchhandlungen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Buchtipps für den Sommer! Unsere Auswahl
Ingmar Bergman: »Ich schreibe Filme« Die Arbeitstagebücher
Friedrich Ani: Der Münchner Autor im Porträt
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton