Seit Jahrzehnten fasziniert Moritz Bleibtreu das Publikum in Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jetzt legt der Ausnahme-Schauspieler sein Regie-Debüt vor: »Cortex« erinnert an das Kino von David Lynch und Christopher Nolan, überrascht aber auch mit einer sehr eigenen, ja eigensinnigen Handschrift des Film-Enthusiasten.
»Cortex«: »Jeder meiner Filme ist ein Experiment«
Guten Morgen, Herr Bleibtreu, wie haben Sie letzte Nacht geschlafen?
Ich schlafe generell ganz gut. Aber in den letzten zehn Tagen schlafe ich besonders gut, seit die ersten Reaktionen auf meinen Film eingetroffen sind. Und der scheint tatsächlich zu funktionieren. Die Leute mögen den Film. Ich bin ziemlich erstaunt, da ich doch mit mehr Verständnisproblemen gerechnet habe.
Ihr Regiedebüt verlangt dem Zuschauer einiges ab. »Cortex« ist verstörend, rätselhaft und lässt den Betrachter mit vielen Fragen zurück. Wie würden Sie selbst Ihren komplexen Film kurz zusammenfassen?
Es geht um einen Mann, der in einem etwas »lebenslosen« Zustand mit seiner Frau zusammenlebt und den Träume bedrängen, in denen ein anderer Mann vorkommt. Diese Träume finden auf einer Bewusstseinsebene statt, in der Traum und Realität ineinander übergehen und eine fatale Entwicklung in Gang setzen. Mehr kann ich leider nicht verraten, ohne zu spoilern.
Das klingt so, als wäre hier Mitdenken beim Publikum gefragt, gepaart mit der Aufgabe, selbst nach Lösungen zu suchen.
Ganz genau. Das mag für den einen oder anderen Zuschauer zu viel verlangt sein, ist vielleicht auch eine Art von Kino, das viele einfach per se ablehnen. Was ich durchaus verstehen kann. Aber ich liebe nun mal das Kino eines David Lynch oder eines Emir Kusturica, eine Art von Filmemachern, die ich leider so ein bisschen vom Aussterben bedroht sehe. Mich haben schon immer komplexe Geschichten begeistert, die strukturell komplett neue Wege gehen, wie damals »Memento« (Regie: Christopher Nolan, Anm. d. Red.), der sicher eine Initialzündung für mich war.
Wenn man »Cortex« betrachtet, kommen einem Christopher Nolans »Inception« in den Sinn, aber auch Tom Tykwers »Lola rennt«, das Spiel mit den Zeitebenen, Wiederholungen, andere Aspekte, andere Blickwinkel.
Diese ungewöhnliche Perspektivierung, und auch visuell einmal voll auf die Zwölf zu hauen, das war uns ganz wichtig. Unser Ansatz hieß: Wir wollen wirklich Kino machen und große Bilder kreieren, eine Atmosphäre schaffen, die neu ist, die eigen ist, die dich angeht und bewegt.
Wenn wir schon bei Querverweisen sind: Auch an Peter Greenaways »Ein Z und zwei Nullen« denkt man bei Ihrem Film.
Absolut. Es ist schon eigenartig, welche Filme Menschen bei »Cortex« im Kopf haben. Auch wenn mich auf der einen Seite das mit den Vergleichen oft ärgert, so ist es auf der anderen Seite auch wichtig. Denn ein eigener Stil ist ja immer nur die Mischung aus allem, was man bis dahin erlebt hat und was andere einem vorgelebt haben. Und wenn ich die Namen Lynch oder Hitchcock höre, dann freue ich mich natürlich darüber. Denn es gibt nun wirklich schlimmere Vergleiche.
Wieviel Bleibtreu steckt in Ihrem Film? Haben Sie selbst auch schon mit Ihren Träumen experimentiert?
Nein, das gar nicht. Aber einmal grundsätzlich gefragt: Was sind Träume? Träume sind das Ultimative, sie sind das Kino, das wir alle im Kopf haben. Das ist das Kino, das jeder von uns mit sich trägt. Wenn wir einschlafen, dann geht dieser Vorhang auf, der Film fängt an. Und diesen Film hast du geschrieben und du weiß nicht, warum. Ich finde, Traum ist ein faszinierendes Sujet für Filme, und er funktioniert gleichzeitig auch als Identifikationsbrücke. Denn jeder Mensch ist schon einmal von einem Traum aufgewacht und hat sich danach gedacht: »Hui, das war aber jetzt schon ein bisschen gruselig.« Dabei kann es eben unter Umständen zu Überschneidungen zum echten Leben kommen. Ich denke, das kennt jeder.
Sie zählen fraglos zu den wichtigsten und markantesten Charakterschauspielern, die Deutschland hervorgebracht hat. Hat Ihnen Ihr guter Name bei der Entstehung dieses unkonventionellen Projekts ein bisschen geholfen?
Natürlich. Wenn dieses Drehbuch jemand anderes, etwa ein unbekannter junger Filmhochschüler aus München, auf den Tisch gelegt hätte, hätte man gesagt: Sie können jetzt gerne nach Hause gehen. Das war’s. Mein Name hat mir sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Besetzung von Cast und Crew geholfen. Es ist ein riesiger Vorteil, wenn ich einen Kameramann wie Thomas Kiennast (setzte u. a. bei »3 Tage in Quiberon« und »Ich war noch niemals in New York« das Licht, Anm. d. Red.) anrufen kann, der mir dann sagt: »Auch wenn es ein bisschen schwierig klingt, aber ich mache das mal.« Oder wenn Nadja Uhl (spielt in »Cortex« die Hauptrolle der Karoline, Anm. d. Red.) mir antwortet: »Auch wenn ich es vielleicht nicht ganz verstanden habe, ich mache trotzdem mit.«
»Cortex« ist ein nahezu gänzlich humorfreier Film. Wollten Sie hier ganz bewusst einen Kontrapunkt zu Ihren vielen großartigen komödiantischen Rollen, zum Beispiel aus »Stadtgespräch«, »Knockin’ on Heaven’s Door« oder »Lammbock« setzen?
Nein, gar nicht. Es kann sein, dass ich mich mal an eine Komödie traue. Aber dann wird das ein komplexeres Ding und sicherlich eine Tragikomödie. Außerdem sind die Stoffe, die mir zum Spielen unheimlich Spaß bereiten, nicht notwendigerweise die, die ich selbst schreiben würde oder sehen möchte. Denn meine Kindheit und Jugend waren geprägt vom New Hollywood. Und dank des Einflusses meiner Mutter (der legendären Schauspielerin Monica Bleibtreu, Anm. Red.) habe ich schon als Zwölfjähriger die Filme von Truffaut, dem italienischen Neorealismus, aber auch von Cassavetes in mich aufgesogen. Ich bin also dem Drama und dem Thriller schon sehr zugetan. Das sind die Genres, in denen ich mich als Erzähler sehr wohl fühle.
Sie haben vor knapp 20 Jahren in dem packenden Psychothriller »Das Experiment« die Hauptrolle gespielt. Würden Sie auch Ihren Regie-Erstling als solches bezeichnen?
Auf jeden Fall. Meines Erachtens gibt es keinen ArthausFilm, der nicht als cineastisches Experiment bezeichnet werden kann. Und auf die eine oder andere Art sind alle meine Filme Experimente gewesen. Gerade Stoffe, bei denen ich mir nicht sicher war, ob der Zuschauer mit mir gehen und inhaltlich bei mir bleiben wird, haben mich immer besonders gereizt. Aber wenn ich mir schon beim Lesen zu sicher war, wie sich etwas entwickelt oder wie sich das für mich anfühlt, habe ich das Projekt in der Regel abgelehnt.
Sie haben Ihren Film »Cortex« genannt, was so viel wie Großhirnrinde bedeutet. Was genau passiert da in diesem Teil unseres Gehirns?
Wenn das alle so genau wüssten! (lacht) Zunächst einmal ist es für alle unsere Sinneseindrücke verantwortlich. Auch für dein so genanntes Kopfkino. Und das ist bei allen Menschen wahnsinnig unterschiedlich. So gibt es beispielsweise diejenigen, die in Bildern denken, und andere wiederum, die in Sprache denken. Letztendlich ist Cortex ein knalliger Titel, der für mich umschreibt, was für ein Wunder das menschliche Gehirn ist und zu was es alles im Stande ist.
Was wünschen Sie sich für Ihren Film?
Dass man mich als Filmemacher weiter machen lässt. Mehr ist es eigentlich nicht. Ich wünsche mir nur, dass man sagt: Das Kino von Moritz Bleibtreu, das kann interessant sein. Lasst ihn mal machen. Wenn das passiert, dann bin ich glücklich. ||
CORTEX
Deutschland 2020 | Buch, Produktion & Regie: Moritz Bleibtreu
Mit: Moritz Bleibtreu, Jannis Niewöhner, Nadja Uhl
96 Minuten | Kinostart: 22. Oktober
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