Das jüdische Musikleben in Bayern wurde bislang noch nicht umfassend untersucht. Mit dem Ben-Haim-Forschungszentrum geht die Münchner Hochschule für Musik und Theater nun neue Wege. Ein Gespräch mit Tobias Reichard, der das Forschungsbiotop leitet.
Ben-Haim Forschungszentrum: Viel zu entdecken
INTERVIEW: KLAUS KALCHSCHMID
Herr Reichard, wie kam es dazu, dass gerade in München ein Ben-Haim-Forschungszentrum gegründet wurde, warum heißt es so und was ist sein Ziel?
Paul Ben-Haim wurde 1897 als Paul Frankenburger in München geboren, studierte nach dem Abitur am Wilhelmsgymnasium von 1915 bis 1920 an der Akademie der Tonkunst, wie die Musikhochschule früher hieß, war Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsbusch und bis 1931 Kapellmeister in Augsburg. Nach seiner Emigration 1933 nach Palästina nannte sich der Komponist und Dirigent Ben-Haim. Pläne für ein solches Zentrum für die Erforschung jüdischer und anderer verfolgter Musiker im Nationalsozialismus mit einem regionalen Schwerpunkt im süddeutschen Raum gab es schon länger. Jetzt wurde die Sache durch Beteiligung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie des Kulturreferats der Stadt München zusammen mit der Hochschule für Musik und Theater endlich konkret. Das Gebäude, das sie beherbergt, ist mit der NS-Geschichte eng verbunden und viele später verfolgte Künstlerinnen und Künstler haben dort studiert. Man möchte so auch die eigene Geschichte aufarbeiten. Die Ergebnisse sollen an die Studierenden weitergegeben werden und durch Aufführungen oder Seminare werden sie an diesesRepertoire und die Problematik herangeführt. Durch Ausstellungen wiederum kann eine breitere Öffentlichkeit erreicht werden.
Haben Sie ein bestimmtes Budget und wissenschaftliche Mitarbeiter?
Die erste Projektphase dauert drei Jahre, und meine Aufgabe ist es unter anderem, auch Drittmittel einzuwerben, um dadurch den Personalbestand zu erweitern und etwa Buchveröffentlichungen zu ermöglichen. Konkret geht es in einem ersten Projekt um das jüdische Musikleben in Bayern zur Zeit des Nationalsozialismus, das nicht zuletzt die Orte in den Blick nimmt, an denen jenseits der Synagogen jüdisches Leben stattfand, zum Beispiel in Turnhallen. Es waren oft nicht speziell die Personen, die attackiert wurden, sondern symbolisch die Orte, etwa eine jüdische Musikalienhandlung.
Haben Sie freie Hand bei Ihrer Forschung?
Ja, die habe ich umfassend, aber ich kommuniziere natürlich mit vielen Ansprechpartnern hier in der Hochschule und stimme mich vor allem mit dem musikwissenschaftlichen Institut ab, dem das Forschungsinstitut angegliedert ist. Aber ansonsten habe ich keinerlei Vorgaben, in welche Richtung die Forschung gehen soll, sondern es bleibt mir überlassen, das zu füllen.
Wie sieht es mit der Quellenlage in Münchenund anderen bayerischen Städten aus?
Da konnte ich natürlich erst in Ansätzen tätig werden, weil sich die Archive erst so langsam wieder öffnen. Aber man braucht sich bezüglich Münchens keine Illusionen zu machen, vor allem wenn es darum geht, die jüdische Seite abzudecken, meines Wissens verfügt die jüdische Gemeinde über keine historischen Unterlagen mehr aus dieser Zeit. Vieles ist natürlich weltweit verstreut, und wenn man nach Musikzusammenhängen sucht, wird es noch mal dünner. Ein weiteres Problem bei der Suche nach Quellen stellt sich dadurch, dass viele Musiker, die in den 1930er und 1940er Jahren aktiv waren, keine Profis waren. Viele hatten eine langjährige Ausbildung, aber haben als Orchestermusiker keine deutlichen Spuren hinterlassen.
Wie gehen Sie mit diesem Manko um?
Ich möchte versuchen, die Perspektive auf das jüdische Musikleben ein wenig zu verschieben und zum Beispiel Gebäude in den Fokus nehmen, in denen jüdisches Musikleben stattgefunden hat. So ein Ort ist zum Beispiel das Palais Portia, das sogenannte »Museum«. Das war einer der besten Münchner Konzertsäle für Kammermusik; Brahms ist da aufgetreten, der junge Richard Strauss hat sein erstes Streichquartett dort gehört, Hans von Bülow war regelmäßig zu Gast. Allerdings steht von diesem »Museum« mit seinem Konzertsaalheute nur noch die Fassade. Man muss nun andere Quellen erschließen, wie das historische Archiv der Hypo-Vereinsbank, der das Gebäude heute gehört. So findet man heraus, dass am 8. November 1934 ein Vortrag mit musikalischer Umrahmung innerhalb des jüdischen Kulturbunds im Großen Saal stattfand; gleichzeitig hielt im kleinen Saal ein ehemaliger Pastor, der 1924 eine der frühesten Hitler-Biografien geschrieben hatte, einen Vortrag. Hier sieht man, dass jüdisches Lebennicht immer so isoliert war, wie es häufig dargestellt wurde, sondern eingebunden war in eine städtische Topografie.
Wie viel Distanz können Sie bei der permanenten Beschäftigung mit dieser Thematik wahren? Gehen Ihnen Einzelschicksale nicht nahe?
Immer wieder geht es mir schon so. Das ist nicht gut, wenn man sich auf wissenschaftlicher Ebene mit einer solchen Sache beschäftigen möchte. Aber es bewegt eben, wenn man mehr Wissen mitbringt, als etwa ein später Verfolgter, der seinen Verwandten schreibt. Es bekommt eine enorme Tragweite, wenn man etwa weiß, dass Ernst Mosbacher, der Tenor des besagten Konzerts, es noch schaffte, nach Bern zu emigrieren, um dort am Stadttheater zu singen, dann aber in Frankreich zu Kriegszeiten von den Nazis aufgegriffen und ermordet wurde.
Was werden weitere Projekte sein nach »Jüdischem Musikleben in Bayern«?
Angedacht ist etwa Forschung zu DP-Camps in Bayern, also »Displaced Persons Camps« für Zivilisten, die sich nach Kriegsende nicht an ihrem angestammten Heimatort befanden und unter Kontrolle der Vereinten Nationen in Sammellager kamen, in denen ein Leben nicht ohne Konfrontation mit der deutschen Gesellschaft stattfand. Das waren hauptsächlich Juden aus dem europäischen Ausland. In St. Ottilien im Kloster gab es ein solches Camp oder in Fürstenfeldbruck. Hier findet man auch glücklicherweise noch Zeitzeugen, die man befragen kann. ||
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