Bei der Realisierung von »Ausgrissn!« bzw. »Dreiviertelblut« haben Thomas und Julian Wittman sowie Marcus H. Rosenmüller und Johannes Kaltenhauser größtmögliche Freiheit genossen. Jetzt kommen die Dokumentarfilme, die unterschiedlicher nicht sein könnten, nahezu zeitgleich in die bayerischen Kinos.
»Dreiviertelblut« & »Ausgrissn!«: Lebe deine Träume!
Der Kino-August steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des bayerischen Dokumentarfilms. Während Marcus H. Rosenmüller mit »Dreiviertelblut – Weltraumtouristen« (Kinostart: 6. August) der gleichnamigen Band um Gerd Baumann und Sebastian Horn ein filmisches Denkmal setzt, folgt eine Woche darauf »Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas«, das Regiedebüt der Gebrüder Julian und Thomas Wittmann. Obwohl sich beide Werke der weiß-blauen Mundart verschrieben haben und demselben Genre angehören, könnten sie doch unterschiedlicher nicht sein. Während etwa die Wittmann-Brüder eine skurrile Reise auf ihren alten Mopeds quer durch die Vereinigten Staaten in prächtigen postkarten-idyllischen Bildern festgehalten haben, präsentiert Rosenmüller sein Musikerporträt ganz in Schwarz-Weiß. Aus gutem Grund, wie er erläutert: »Unsere ersten Aufnahmen entstanden im Prinzregententheater, und irgendwie hatten wir dann das Gefühl, dass es um Licht und Dunkelheit geht und Farben dieses Mal verwässern: Die Musik, die Tiefe, die Depression, die Freude, der Kampf, die Liebe – all diese Emotionen, die hier vorhanden sind, dazu passte Schwarz-Weiß perfekt.«
Dass Rosi einen Film über Dreiviertelblut, zuletzt mit dem »Deifidanz« aus der Serie »Der Beischläfer« in aller Ohren, gemacht hat, kommt nicht von ungefähr. Schließlich ist Gerd Baumann so etwas wie sein Haus- und Hofkomponist, hat die Scores für nahezu alle Spielfilme des Regisseurs geschrieben. Zudem ist Rosi auf dem Gebiet der Musikdokumentation kein unbeschriebenes Blatt, siehe seine Arbeiten »LaBrassBanda – live im Circus Krone München« oder »Hubert von Goisern – Brenna tuat’s schon lang«, bei dem Johannes Kaltenhauser hinter der Kamera saß. Dieses Mal ist dieser als Co-Regisseur genannt, und das lag auf der Hand, wie Rosenmüller findet: »Johannes ist ein alter Freund von mir, mit ihm habe ich studiert und schon mehrere Dokumentationen realisiert. Bei diesem Projekt haben wir uns von Dreiviertelblut beflügeln lassen, konnten die Sache sehr frei angehen und haben den Film miteinander kreiert.«
Gemeinsame Sache haben auch die Wittmann-Brüder gemacht. Sie agieren zusammen sowohl vor als auch hinter der Kamera. Dabei steht die USA-Reise von New York nach Las Vegas, auf der sie auf ihren Zündapps allerlei schrägen Vögeln begegnen, für den dokumentarischen Teil. Unterbrochen werden diese Episoden durch eine Spielfilmhandlung, in der man Menschen – unter anderem konnten sie dafür Monika Gruber in der Rolle einer Klofrau (!) gewinnen – aus ihrem Heimatdorf sieht, die den Trip des Duos mal kritisch, mal wohlwollend kommentieren. Heraus kam ein Genrezwitter, der ein wenig holprig und unausgegoren daherkommt. Doch Thomas Wittmann betont: »Wir selber hatten bei diesem Genremix keine Bedenken, doch jeder, dem wir davon erzählt haben, hat uns davon abgeraten. Aber wir waren davon überzeugt und haben beschlossen, das einfach einmal auszuprobieren. Es wird ja sowieso so wenig experimentiert im deutschen Kino. Und wir hatten ja nichts zu verlieren. Deswegen haben wir uns gesagt, wenn es funktioniert, ist es cool, wenn nicht, dann haben wir es wenigstens versucht.« Marcus H. Rosenmüller gehörte zu denjenigen, die »Ausgrissn!« bereits in einer frühen Fassung sehen konnten.
Man kennt sich halt in der Szene, und schließlich hat Thomasals Schauspieler auch schon in den Rosi-Werken »Sommer in Orange« und »Die Perlmutterfarbe« mitgewirkt. Und der Regisseur des Kultfilms »Wer früher stirbt, ist länger tot« zieht den Hut vor seinen jungen Kollegen: »Es ist schon der Wahnsinn, was sich die beiden zugetraut haben. Das Tolle ist, dass sie das, wovon sie träumten, auch wirklich umgesetzt haben. Von diesem Abenteuer können sie noch lange zehren. Das wiederum könnte auch die Zuschauer inspirieren, nach dem Motto: Schau hin, die reden nicht nur, die machen. Auf geht’s!« Dieses Kompliment können die Wittmann-Buben, die es großartig finden, dass aktuell so viele Mundartfilme aus ihrer Heimat ins Kino kommen, nur erwidern: »Der Rosi ist natürlich ein großes Vorbild von uns. Und eines ist auch klar: Ohne ihn wäre der bayerische Film nicht da, wo er jetzt ist. Wenn es ihn überhaupt geben würde.« Inspirieren lassen haben sich die beiden nicht etwa von nahe liegenden Produktionen wie »Friendship!« oder »25 km/h«, die haben sie gar nicht gesehen. In den Sinn kamen ihnen eher Klassiker wie »Into the Wild« oder gar »Easy Rider«, denn schließlich wären Dennis Hopper & Co. damals mit ihren Bikes auch einfach drauflosgefahren und hätten ihre Erlebnisse dann inszeniert. Fakt ist, dass die Wittmanns, und dessen sind sie sich auch absolut bewusst, noch viel lernen müssen auf dem steinigen Weg, zu ganz Großen in der Branche zu werden. Dort ist Rosenmüller längst angekommen. Und er erklärt auch, warum er neben dem Spielfilm und der Musik vor allem Dokumentationen schätzt: »Wenn du bei einem Spielfilm Regie führst, bist du am Hetzen und du versuchst das, was du aufgeschrieben hast, herzustellen. Alles rennt der Vision hinterher. Bei einer Dokumentation hockst du dich hin, beobachtest und musst erst einmal warten, dass die Szenen kommen und was in der Wirklichkeit passiert. Es geht darum reinzuschnuppern, die Bilder zu fischen, um dann den Film und seine Dramaturgie Stück für Stück entstehen zu lassen.«
Was Rosenmüller und die Wittmanns verbindet, ist definitiv die große Liebe für ihre Heimat und das leidenschaftliche Engagement, diese in ihren Projekten widerzuspiegeln. Dabei ist sich Rosi völlig im Klaren, wie schwierig es ist, dies auch adäquat umzusetzen. Gerade bei Dreiviertelblut hat er jedoch gesehen, wie es funktionieren kann: »Es ist gar nicht so einfach, in der bairischen Sprache etwas zu schreiben. Wenn ich ein Gedicht oder ein Lied im Dialekt zu Papier gebracht habe, dann ist das meist recht kitschig geworden. Gerd und Sebastian aber schaffen es, sich baierisch ohne Zuckerguss auszudrücken. Es ist tief, es ist emotional und es ist berührend. Das bewundere ich sehr.« Und Julian Wittmann ergänzt: »Es ist uns wichtig, authentische Filme zu machen. In Bayern sind wir daheim, wir kennen die Leute, wir kennen unser Brauchtum.
Und dort sind unsere Geschichten angesiedelt. Es ist tatsächlich einmal an uns herangetragen worden, die OFF-Texte von »Ausgrissn!« auf Hochdeutsch zu sprechen, damit man den Film in ganz Deutschland zeigen kann. Aber das hätte nicht zu uns gepasst. Das wären nicht ›wir‹ gewesen.« Man darf sich auf jeden Fall auf viele weitere Projekte mit bajuwarischer Färbung freuen. Die Wittmanns konzentrieren sich zwar erst einmal auf den Kinostart von »Ausgrissn!«, den sie auf einer ausgedehnten Tour durch ihr Heimatland begleiten werden. Aber sie haben bereits die eine oder andere Drehbuchidee in der Pipeline. Und Rosi ist sowieso kreativ und produktiv wie eh und je. Er hat das Skript zu Joseph Vilsmaiers »Der Boandlkramer und die ewige Liebe« (Kinostart: 29. Oktober) verfasst, mit »Beckenrand Sheriff« und »Meine depressive Laufgruppe« befinden sich zwei weitere Spielfilme in Vorbereitung. Und auch mit Kaltenhauser plant Rosenmüller für die Zukunft: »Johannes und ich haben diesen Dreh sehr genossen. Wir hatten die Freiheit, uns von Dreiviertelblut inspirieren zu lassen und auch von ihnen zu lernen. Wir haben Lust, Weiteres zu erfahren, und wollen gerne wieder ein spannendes Thema finden. Und so suchen wir und freuen uns jetzt schon auf ein gemeinsames nächstes Projekt.« ||
AUSGRISSN! IN DER LEDERHOSN NACH LAS VEGAS
Deutschland 2020 | Buch & Regie: Julian Wittmann | Mit: Julian Wittmann, Thomas Wittmann, Monika Gruber | Länge: 96 Minuten | Kinostart: 13. August
Trailer
DREIVIERTELBLUT – WELTRAUMTOURISTEN
Deutschland 2020 | Regie: Marcus H. Rosenmüller & Johannes Kaltenhauser | Mit: Gerd Baumann, Sebastian Horn, Dominik Glöbl | Länge: 87 Minuten | Kinostart: 6. August
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