Die Stuckvilla präsentiert aktuelle Tapisserien von Margret Eicher und Beate Passow, das Augsburger Textilmuseum historische Quilts im Dialog mit zeitgenössischer Kunst.
Textile Kunst: Faden an Faden
Wenn unsere digitale Welt mal aus den Angeln gehoben wird, Magnetsturm, Polsprung oder so was, dann überlebt vielleicht Analoges wie textile Kunst. Und damit doch ein Stück Digitalität. Denn im Gegensatz zu alten, von Hand gefertigten Gobelins und Tapisserien werden viele dieser jüngeren textilen Wand-Kunstwerke auf digitalen Webstühlen fabriziert. Vorteil: So lassen sich selbst klitzekleine Details mit erstaunlicher Präzision in Gewebe ummünzen. Die Webereien wirken mitunter wie riesige Fotografien – die oft ihre Grundlage sind. Mehrere Ausstellungen laden derzeit zum manchmal vergnüglichen, immer aber anschaulichen Vergleich ein. In der Villa Stuck in München sind die Tapisserie-Ausstellungen »Lob der Malkunst« von Margret Eicher und »Monkey Business« von Beate Passow zu sehen. Das TIM, das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg, präsentiert einen Vergleich von 50 amischen handgenähten Quilts und ausgewählter zeitgenössischer Kunst.
Die Gemeinsamkeiten von Eicher und Passow, die auch im TIM vertreten ist, beschränken sich so ziemlich auf die verwendete Technik: fotografische Collagen, die in großformatige Bildteppiche übersetzt wurden. Eicher, geboren 1955 in Viersen, bezieht sich auf barocke, symmetrische, oft zentralperspektivisch aufgebaute Kompositionen, die sie mit aktuellen Motiven füllt – wobei etwas komisch Surreales entsteht. Ähnlich wie bei Gilbert & George wird die Nähe zum ästhetischen Kitsch geradezu gesucht. »Assunta« zeigt etwa Madonna, also die Pop-Ikone, in irgendwie erotischer Unterwäsche, weil einige kleine Satansengel ihr den Mantel wegziehen. Ihre Himmelfahrt – was Assunta eigentlich bedeutet – geschieht mittels Beamen. Überhaupt erinnert das Arrangement mit gläsernem Cockpit und stilisierten Raumschiffen an einen Himmel anderer Art. Ähnlich schrill unterläuft Eicher auch das Thema »Göttliche Liebe« (2011). Vor dem Hintergrund einer Messe im Petersdom küssen sich im Bildzentrum zwei Männer (aus einer Berliner Toleranzkampagne), daneben der Heiland aus Caravaggios Dornenkrönung – und alles unter dem vielfach wiederholten Label: »Liebe verdient Respekt«. Ähnliche Verschränkungen und Vermixungen wiederholen sich. In ihrem Kosmos (präsentiert in Stucks Repräsentationsräumen, teils vor deren Brüsseler Tapisserien) dürfen auftreten: Martin Kippenberger, Scarlett Johansson, Michail Chodorkowski, Michel Piccoli oder die schwangere Beyoncé, die in eine Frankfurter U-Bahn-Station platziert als Verkörperung von Botticellis »Geburt der Venus« fungieren darf.
Thematisch viel eindeutiger erscheint Beate Passows schwarz-weiß gehaltener Zyklus »Monkey Business«, der – von ungewöhnlichen, mythischen oder animalischen Kreaturen bevölkert – die politischen Abgründe des gegenwärtigen Europa, der herrschenden Systeme, ökonomischen Strukturen und politischen Bewegungen aufs Korn nimmt. Sie wählt klar erkennbare Orte. In »Gibraltar« (2017) sitzt auf dem Felsen ein Affe auf historischem Kanonenrohr, blickt als Wächter Europas – ein Affe! – auf das nahe Afrika. Ein Trümmerhaufen aus Flüchtlingsbooten mit dem Skelett eines Kentauren ziert »Lampedusa«. Und in »Paris« (2019) haben Gelbwesten die Skulptur der Marianne vom Sockel gerissen und ihr, wie’s aussieht, das rechte Auge ausgeschossen. »Tschernobyl«: ein ruinierter Raum voll von fliegenden Strahlen-Warnzeichen und figürlichen Verheißungen. »Brexit« und »Dublin« (2020) thematisieren den britischen EU-Austritt. Und in »Budapest« geißelt die Münchner Künstlerin gleichzeitig Flüchtlingskrise und immer schamloser auftretenden Neofaschismus. Die Hauptakteure sind keine Helden – wie in der traditionellen historischen Tapisserie – sondern irgendwie entmenschlichte Wesen. Gesellschaftliche Kälte auf warmem Werkstoff.
Angefertigt wurden Passows Tapisserien auf den Webstühlen des Augsburger Textilmuseums, wo die ersten fünf Arbeiten 2017 auch gezeigt wurden. In seiner neuen Schau »Amish Quilts meet Modern Art« startet das TIM einen Dialog in 14 Kapiteln zwischen moderner Kunst und weithin bewunderten farbenprächtigen Decken der Amischen, die sich selbst »die einfachen Leute« nennen und eine amerikanische Religionsgemeinschaft deutsch-schweizerischen Ursprungs sind. Dabei erhalten nicht bloß textile Kunstwerke wie etwa eine Patchwork-Decke des radikalen US-Amerikaners Mike Kelley (1991) oder die Videoinstallation auf Orientteppich »Resistance« der Münchnerin Rose Stach (2013) die museale Ehre. Kinetische und grafische Werke, Mixed Media-Arbeiten, Malereien von insgesamt 22 internationalen Künstlern dürfen sich mit den von kraftvollen geometrischen Mustern geprägten Gebrauchsdecken oder Amischen messen, die alle aus der Münchner Privatsammlung Wurzer stammen.
Eröffnet wurde das Museum vor zehn Jahren in den vom Grazer Klaus Kada umgebauten und dem Stuttgarter Atelier Brücknerinnen gestalteten Hallen der einstigen Augsburger Kammgarnspinnerei. Am Ort der traditionsreichen Augsburger Textilindustrie erleben Besucher natürlich auch deren Historie: in der Dauerausstellung unter den vier Perspektiven »Menschen«, »Muster«, »Mode« und »Maschinen«. Neben ratternden historischen Webstühlen produzieren hier auch die viel ruhigeren High-Tech-Maschinen nicht nur Passow-Kunst, sondern auch diverse bezahlbare Stoffe, etwa das tim-Schlossertuch (für 9,90 Euro) oder das Fugger-Barchent (19,90 Euro). Daneben zeigt das TIM auch zukünftige Anwendungsbereiche: Intelligente Kleidung, künstliche Muskeln (ohne anabolandrogenes Steroid-Doping) oder futuristische Produkte aus Carbon. Wer also in der Villa Stuck auf den musealen Textil-Trichter gekommen ist, muss in die Fuggerstadt. Das TIM bildet, lohnt sich, macht Spass. Und zeigt immer wieder was Neues. ||
AMISH QUILTS MEET MODERN ART
tim | Provinostr. 46, 86153 Augsburg | bis 25. Oktober | DI–So 9–18 Uhr (mit Mund-NasenSchutz) | Kunstvermittlung So/Fei 14–16 Uhr
Der schöne Katalog (Deutscher Kunstverlag, 216 Seiten) kostet 24 Euro
MARGRET EICHER. LOB DER MALKUNST
BEATE PASSOW. MONKEY BUSINESS
Museum Villa Stuck | Prinzregentenstr. 60
bis 13. September | Di–So/Fei 11–18 Uhr (mit Mund-Nasen-Schutz) | Führungen mit Margret Eicher: 15.7., 5./26.8. (mit Anmeldung: villastuck@muenchen.de, 089 45 55 510)
Die Kataloge erscheinen demnächst und kosten ca. 20 Euro
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