Mit seinem Projekt STOA169 auf einer Wiese bei Polling verwirklicht Bernd Zimmer seinen Lebenstraum: eine Halle, deren Säulen von Künstler*innen aus aller Welt gestaltet werden. Die Galerie Jahn Pfefferle und das Museum Fünf Kontinente zeigen seinen Weg als Maler, der zu dieser Idee führte.
Bernd Zimmer: Tempel der Kunst
Ein Ausflug nach Polling, ein kurzer Fußmarsch an der Amper entlang, ein paar Schritte über die Wiese, dann steht sie vor einem: STOA169, die steingewordene Vision des Künstlers Bernd Zimmer. Genauer gesagt, sie wird vor einem stehen. Noch endet die Reise am Bauzaun, denn die Säulenhalle befindet sich aufgrund von Corona noch im Aufbau. 121 von internationalen Künstler*innen individuell gestaltete Säulen müssen für die Installation aus allen Regionen der Welt herangeschafft, per Kran über die vorgefertigten Stahlbetonstützen gestülpt und mit einem Dach bedeckt werden. Im September wird dann der erster Teil der tempelartigen Phantasiearchitektur mit dem griechischen Namen eröffnet werden, ein Bauwerk ohne spezielle Funktion, ohne kommerzielle Ausrichtung, ohne öffentlichen Auftrag mitten in der Natur im Pfaffenwinkel: ein Statement für die Freiheit der Kunst.
Hinter alledem steht ein Künstler und sein langgehegter Traum: namhafte Künstler*innen von allen fünf Kontinenten für ein weltumspannendes Gemeinschaftsprojekt zu gewinnen und mit einer kollektiv getragenen Säulenhalle ein Symbol für »internationale Solidarität, Grenzenlosigkeit und friedliche Koexistenz« zu setzen. Die Idee kam Bernd Zimmer bereits vor 30 Jahren auf einer Reise nach Indien, wo ihn die hinduistischen Tempelanlagen mit den unzähligen individuell gestalteten Säulen beeindruckten. 2016 fuhr er erneut dorthin und beschloss, seinen Traum Realität werden zu lassen: Er gründete eine Stiftung, berief ein Kuratorium, mobilisierte finanzielle Förderer und Unterstützer, kaufte einen Wiesengrund in der Nähe seines Wohnortes Polling bei Weilheim, benannte eine Fachjury und legte los.
Seit 40 Jahren kennt man Bernd Zimmer als Maler großformatiger, farbintensiver Bilder. In seiner aktuellen Ausstellung in der Galerie Jahn Pfefferle lädt er die Besucher ein, im Rückblick den künstlerischen Weg nachzuvollziehen, der ihn zu STOA169 führte. Die pulsierende Kreativität des 71-jährigen ehemaligen »Jungen Wilden«, der Berliner Malergruppe, die Ende der 70er Jahren mit ihrer expressiven figurativen »heftigen Malerei« der Kunst neue Impulse verlieh, ist durch alle stilistischen Wandlungen hindurch bis heute ungebremst. Zum einen ist da das kompromisslose Bekenntnis zur Malerei als Medium und damit zur Farbe, zum anderen die gestisch-abstrakte Malweise, die ihren Halt im Assoziativen, in der Imagination findet: Man erspürt Landschaften, Natureindrücke und kosmische Ereignisse, die den sinnlich-poetischen Kompositionen von Bernd Zimmer zugrunde liegen. Angefangen von den frühen Reisfeldbildern der Indonesien-Serie über diean Mark Rothko erinnernden meditativen Wüstenimpressionen aus Libyen und Namibia bis hin zu den geheimnisvollen Figuren, die wie schattenhafte Wesen aus den komplementären Farbflächen der Südsee-Bilder auftauchen, nachdem er 1995 mit einem Frachtschiff die Marquesas-Inseln bereiste – das Museum Fünf Kontinente zeigt sie im Dialog mit Tiki-Skulpturen. Und schließlich die eruptiven Farbexplosionen der »Cosmos«-Serie.
Von den vielen Reisen der letzten Jahrzehnte in alle Winkel der Erde hat Bernd Zimmer, der auch Philosophie und Religionswissenschaften studiert hat, nicht nur die Inspirationen zu seinen Bildern mitgebracht, sondern auch die Vorstellung eines allumfassenden Naturbegriffs und seine Vision von einer innigen Symbiose von Natur und Kunst. STOA169: Auch wenn sich die Idee an den indischen Tempeln entzündete, hat Zimmer den Namen für sein Projekt dem Gebäudetypus der griechischen Säulenhalle im antiken Athen entlehnt, was nicht ganz unpassend ist, davon leitet sich nämlich auch die griechische Philosophie des Stoizismus ab, eine Lehre, die auf einer ganzheitlichen, alle Naturerscheinungen umfassenden, universellen Weltsicht basiert und Gelassenheit und emotionale Selbstbeherrschung propagiert. Die Anzahl von ursprünglich 169 Säulen (13 x 13) wurde inzwischen auf 121 (11 x 11) reduziert, der Name aber beibehalten – vielleicht werden nachfolgende Generationen einmal die Lücke mit ihrem eigenen Kunst-Kanon auffüllen. Denn Bernd Zimmer wollte sich und seinen subjektiven Vorlieben bei der Auswahl der Künstler*innen treu bleiben: Die Künstlerliste liest sich wie ein Who’s Who der internationalen Kunstwelt.
Mit seiner leuchtend blauen »Kosmos-Säule« hat sich Bernd Zimmer natürlich auch selbst ein Denkmal gesetzt. Um dieses herum füllt sich das Feld nun nach und nach mit den unterschiedlichsten Entwürfen aus aller Welt. Alle Künstler*innen müssen den Vorgaben von 3,90 Meter Höhe und maximal 91 cm Durchmesser bei ihren Säulen folgen. Material, Technik und Gestaltung sind dabei freigestellt, von elektrifizierten Modellen abgesehen, was bestimmte künstlerische Positionen von vorneherein ausschließt – oder aber zu findigen Lösungen führt: Die österreichische Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz wird zwei schmälere Säulen beitragen, die per Strichcode miteinander kommunizieren.
Was man jetzt schon erahnen kann: Es wird eine bunte Mischung an Stilen, Formen, Farben und Inhalten werden, eine disparate Zusammenstellung, die manch strengem Ästheten die Sprache verschlagen mag: Da istdie goldene Knotensäule von Magdalena Jetelová neben der leuchtendbunten »Wave«- Säule des Kubaners Diango Hernández; ein streng Konzeptioneller wie Lawrence Weinersteht neben dem Spaßvogel Erwin Wurm mit seiner Gurken-Säule; die Installation aus Ghana zum Thema Sklavenhandel nahe den verschobenen Kuben des Schweizers Beat Zoderer; eine bemalte Holzskulptur von Mimmo Paladino neben gelben Bauschuttröhren des Griechen Andreas Angelidakis; gestapelte Blechfässer der Nigerianerin Sokari Douglas Camp, Lehm von Hansjörg Voth, Marmor von Aye Erkmen und polynesische Schnitzkunst … Eine Diagonale wird freigehalten, um jährlich eine Säule durch eine internationale Kunstakademie gestalten zu lassen.
Und man darf sehr gespannt sein, was bis September und danach noch alles kommen wird! Dass diese krude Mischung trotzdem als Ganzes wunderbar funktionieren wird, liegt an der strengen quadratischen Anordnung und dem beruhigenden Grün der Umgebung. Die Wandelhalle mit ihren 121 Säulen verspricht ein großartiges sinnliches Erlebnis zu werden, ein spannender Entdeckungsparcours durch die vielfältige Welt der Kunst und der Menschen dahinter. Jede der Säulen erzählt eine eigene Geschichte, die per App nachzulesen ist. Es ist eine Vielfalt, die in ihren polarisierenden Kontrasten ausgehalten werden muss, von den Künstler*nnen selbst wie auch vom Publikum. Es geht darum, sich zu einem Konzept zu bekennen, das auf Diversität und Gleichberechtigung beruht, das das Andere, das Fremde unmittelbar neben sich zulässt. Eine Utopie, die von STOA169 eingelöst werden könnte. ||
STOA169
Ammerberg, Nähe Parkplatz an der Ammer, B472, 82398 Polling | Informationen und Wegbeschreibung
BERND ZIMMER. TERRANAUT. MALEREI – DIE IDEE STOA169
Galerie Jahn Pfefferle | Reichenbachstraße 47-49 Rgb. | bis 8. August | Di–Fr 13–18, Sa 12–16 Uhr
BERND ZIMMER. TIKIMANIA. DIE MARQUESAS-INSELN UND DER EUROPÄISCHE TRAUM VON DER SÜDSEE
Museum fünf Kontinente | Maximilianstr. 42
10. Juli 2020 – 28. Februar 2021 | Di–So 9.30–17.30 Uhr
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