Thomas Mann und mehr: Nach zwei Monaten Generalpause kann das Literaturhaus endlich die Ausstellung »Democracy will win« zeigen.
Thomas Mann: Die Botschaft des Weißen Hauses
Pacific Palisades, 1550 San Remo Drive, ist ein deutscher Erinnerungsort, ein Kollektivsymbol des literarischen Exils. Die Adresse an der kalifornischen Küste mit der mondänen weißen Villa des Architekten Julius Ralph Davidson war von 1942 bis 1952 das Refugium Thomas Manns; dort entfaltete er seine publizistischen Aktivitäten gegen Hitler-Deutschland, dort vollendete er den »Joseph«-Romanzyklus und schrieb den »Doktor Faustus«. Vor vier Jahren erwarb die Bundesrepublik Deutschland das Anwesen und nutzt es nun als Residenzhaus und transatlantischen Debattenort. »Das Ringen um eine freie und offene Gesellschaft ist das, was uns, die Vereinigten Staaten und Deutschland, auch weiterhin verbinden wird. Dafür haben wir dieses Haus erworben«, sprach Bundespräsident Steinmeier zur Eröffnung 2018. Damit positionierte er das »Weiße Haus des Exils« (so Frido Mann, der Enkel) zwischen den Zeilen als Ort, zu dem das andere, in Washington, aktuell in scharfer, nicht nur räumlicher Opposition gedacht werden muss, hatte doch schon Thomas Mann zur Parole »America first« das Nötige gesagt, indem er sie zugunsten von Demokratie und Menschenwürde verwarf. Das Thema steht längst wieder drohend im Raum, die Feinde der offenen Gesellschaft haben globale Hochkonjunktur. Auch das dokumentiert die Ausstellung. Sie setzt Zeichen für die Gegenwart; Thomas Manns Weg zur Demokratie dient ihr dabei als Modell.
Den Eingangsbereich dominiert die stilisierte Fassade der Villa, im Hintergrund den originalen Ausblick auf Palmen unter leuchtend blauem Himmel eröffnend. Sie ist mit zeitgeschichtlichen Zitaten von Aleida und Jan Assmann bis Juli Zeh verziert und lockt den seuchenhygienisch maskierten Besucher ins Innere, wo ihn im ersten Raum ein großbürgerliches Wohnzimmer jäh aus seinen unerfüllbaren Reiseträumen reißt. Ein Rundgang in fünf Stationen führt hier durch Manns politische Biografie: Sie tragen die Überschriften »Herkunft« (Großbürgertum, lebenslänglich), »Zeitgeist« (nationalkonservatives Säbelrasseln, bis Anfang der Zwanzigerjahre), »Bekenntnis« (zur Weimarer Republik, zur Emigration), »Handeln« (für die demokratische Sache, seit der Ankunft in New York 1938, wo er das titelgebende Zitat sprach) und »Verantwortung« (Rückkehr in die Alte Welt, Kontroversen um die »innere Emigration«, Reden, unter anderem 1953 vor Hamburger Studenten, »von einem geeinigten Europa mit einem wiedervereinigten Deutschland in seiner Mitte«, wortwörtlich). Das alles ist nicht unbekannt, hier aber schön aufs Wesentliche kondensiert – mit Mut zur Lücke und kundig ausgesuchten Dokumenten. So verfehlt die aufgeschlagene Doppelseite aus dem »Life«-Magazin vom 4. April 1949 mit den wie Fahndungsfotos arrangierten Porträts der »Fellow Traveler« des Kommunismus nach wie vor nicht ihre deprimierende Wirkung: eine Galerie aus der Verfolgungswahnära McCarthy, die Thomas Mann neben Albert Einstein, Norman Mailer, Arthur Miller, Dorothy Parker, Leonard Bernstein (gerade 30-jährig) und vielen anderen Geistesgrößen zeigt. Drei Jahre später kehrte Mann jenen USA den Rücken.
Inzwischen ist Hausherrin Tanja Graf eingetreten, neben Kerstin Klein und Karolina Kühn zugleich die Kuratorin, und erklärt Details ihres Ausstellungskonzepts. Durch einen Verbindungsgang mit dem Video einer zünftig qualmenden TV-Diskussionsrunde von 1975 (»Thomas Mann als politischer Schriftsteller«) gelangt man auf die Terrasse, wo sich die fünf Stichwörter des ersten Raums wiederholen. Darunter sind Videoinstallationen zu sehen, die einen historischen Bogen mit Beiträgen aus Politik, Gesellschaft und Kultur spannen, von den Boatpeople bis zur Sea-Watch-Initiative, von John F. Kennedys Berliner Rede bis zur »America first«-Drohung seines unverdrossen waltenden Amtsnachfolgers, von Hannah Arendts Appell »Sprechen ist eine Form des Handelns« bis zur Opus-Klassik-Preisrede Igor Levits, in der er rechtsextreme »Attacken auf dem Boden der Sprachverrohung« diagnostiziert. Auch die vier Vorträge von Francis Fukuyama, Timothy Snyder, Ananya Roy und Jan Philipp Reemtsma aus der Reihe »55 Voices for Democracy« sind in voller Länge zu verfolgen. Man könnte stundenlang davor meditieren. Die Feinde der offenen Gesellschaft überzeugen wird man freilich auch damit nicht.
Dem Weißen Haus Thomas Manns ist dann noch ein Extrakabinett gewidmet, inklusive Modell und Baugeschichte. Dass München vor Jahren versäumte, mit der Mann-Villa in Bogenhausen eine vergleichbare Stätte zu etablieren, zeugte damals nicht zuletzt von mangelndem politischem Interesse. Tanja Graf zufolge wäre heute die Entscheidung wohl anders ausgefallen. ||
»DEMOCRACY WILL WIN!« THOMAS MANN
Eine Ausstellung des Literaturhauses München in Kooperation mit dem Thomas Mann House, Pacific Palisades, gefördert vom Auswärtigen Amt, Berlin.
Bis 4. Oktober 2020 | Eintritt 7 Euro, erm. 5 Euro,
Mo. Studenten special 2 Euro | Katalog: 15 Euro.
Unsere aktuelle Ausgabe:
Verkaufsstellen
Online-Kiosk
ikiosk.de
Sie bekommen die aktuelle Ausgabe gratis zu jeder Bestellung bei den folgenden Buchhändlern.
Das könnte Sie auch interessieren:
Fünf Ausstellungen in München
»Die Mühlengeschichte« am HochX: Ein Rückblick
Werner Herzog: Der neue Roman »Das Dämmern der Welt«
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton