Das Singspiel »Hotel Giesing – das Viertel bleibt dreckig« reflektiert den neu-rechten Kulturkampf. Zugleich könnte seine mosaikartige Struktur in diesen unsicheren Zeiten Schule machen.

»Hotel Giesing«: Weil der braune Fluss immer rauscht

giesing

»Hotel Giesing«

Sie könnte Modell stehen für die Kulturproduktion in Zeiten wie diesen, wo einzeln Geprobtes lange ruhen und irgendwann – hoffentlich! – doch gemeinsam auf die Bühne muss. Dabei liegen der mosaikartigen Form von »Hotel Giesing« ganz andere Ideen zugrunde. Sie spiegelt die Kulturkampfstrategie der AfD und anderer neu-rechter Gruppierungen, die ebenfalls nach dem Baukastenprinzip operieren: hier eine parlamentarische Anfrage, dort eine Vorstellungsstörung oder eine Morddrohung – »und auf einmal entsteht ein Riesengebäude«, sagt Cornel Franz. Als Autor und Regisseur dieses »dunkeldeutschen Singspiels« ist er besonders stolz auf die offene Raumidee: Eine Hotellobby, in der sich Stammgäste an Absurditäten wie der Vereinigung »Juden in der AfD« abarbeiten, da kann ein Männergesangsverein proben oder Pöbeln geübt werden. Und dann kommt dazwischen das vorbei, was Franz »Laufkundschaft« nennt. Sprich: Es werden künstlerische Gäste erwartet. Welche genau, bleibt geheim.

Seine Entstehung verdankt der Abend dem »Unbehagen« über das eigene Schweigen zu den rechten Übergriffen auf die Kultur, das den Regisseur und ehemaligen Hochschullehrer Cornel Franz und den Komponisten Markus Lehmann-Horn seit letzten Sommer verbindet. Und weil sich a, f und d zu einem reinen d-Moll-Akkord summieren, der traurig treppab steigt, kam der Singspielgedanke hinzu. Und also hat Lehmann-Horn – so dessen Selbstauskunft – »viele tolle Sachen in afd-Moll komponiert«, die sechs Bläser des Bayerischen Staatsorchesters schon üben können. Und auch die Sopranistin Sibylla Duffe kann schon mal zu Hause loslegen, die abenteuerlustige Maria Helgath, die vom Musical kommt und in der Stuntshow von Florentina Holzinger an den Kammerspielen mitspielt, sowie die Schauspieler/Sänger Jürgen Tonkel und Bettina Ullrich. Außerdem ist der Barocktrompeter und Countertenor Yosemeh Adjei mit von der Partie, der als Nachtportier besagte Laufkundschaft in einer Vielzahl von musikalischen und szenischen Sprachen empfangen kann.

Bei den Aufführungen, die im Mai geplant waren und nun für den Herbst anvisiert sind, könnte es täglich wechselnde Gäste geben. So groß ist laut Cornel Franz die Bereitschaft der Prominenz: »Ich mache einen Anruf oder schreibe eine Mail, und die meisten sind sofort bereit, sich zu diesem wichtigen Thema zu outen«. Via Crowdfunding ist bislang ein Betrag zustande gekommen, der knapp reicht, um Miete und Technik zu bezahlen und die, die finanziell nicht ohnehin abgesichert sind. Ein Modell, das ebenfalls Schule machen könnte nach Corona, aber vor allem auf den Vorwurf von rechts reagiert, Kultur sei eine Verschwendung von Steuergeldern. Um die Bühne im Utopia, der ehemaligen Reithalle, als Lobby zu markieren, könnte ein Leihkronleuchter der Staatsoper schon reichen. »Die haben jedenfalls noch nicht Nein gesagt«, lacht der Regisseur, der die Improvisation liebt. Schon vor rund zwanzig Jahren wollte Franz als Leiter der Festspiel+-Reihe »Oper aus dem Koffer« machen. Jetzt versieht er stattdessen ein Singspiel mit Synapsen, die schnell reagieren können auf vieles, was sich auch tagespolitisch tut. Auf der Website kann man sich schon mal Appetit holen (und nach wie vor spenden). »Hotel Giesing« verspricht witzig zu werden, obwohl die Realität, auf die es sich bezieht, es
ganz und gar nicht ist: »Ich habe mal recherchiert, wann dieser braune deutsche Fluss nur ein Bächlein war«, sagt Franz. »Und ich habe herausgefunden: eigentlich nie.« Selbst »im Windschatten von Corona« rauscht er noch. Wir können ihn nur gerade schlecht hören. ||

HOTEL GIESING
Utopia | Heßstr. 132 | voraussichtlich im Herbst 2020

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