Ein Gespräch mit der Intendantin der Schauburg über Abstandsregeln und die Hoffnung auf differenzierte Entscheidungen der Politik.
Ist Kindertheater gefährlicher als Gottesdienst?
Andrea Gronemeyer, wie leitet man in Zeiten, in denen nichts planbar ist, ein Theater wie die Schauburg?
Das war im ersten Moment ganz schön schwer. Wir Theaterleute haben ja mit der Muttermilch aufgesogen, dass der Lappen immer hochgehen muss. Aber inzwischen haben wir längst verstanden, dass es jetzt das Allerwichtigste ist, die Pandemie einzudämmen. Trotzdem suchen wir unaufhörlich nach Wegen, wie wir in dieser Situation mit unserem Publikum in Kontakt bleiben können. Denn gerade in Krisenzeiten brauchen Kinder und Jugendliche Erfahrungen, wie sie das Theater bietet: neben Spaß und Spannung vor allem ungewöhnliche Geschichten mit kreativen Lösungen und neuen Perspektiven, aus denen sie Hoffnung schöpfen können. Zum Glück stirbt diese zuletzt. Deshalb haben wir auch die aktuellen Aussagen von Herrn Söder optimistisch gewertet: »Großveranstaltungen« seien zwar untersagt, aber über kleine Veranstaltungen könne man bei entsprechenden Hygienevorkehrungen perspektivisch nachdenken.
Hat er den Nachsatz tatsächlich gesagt?
Vielleicht wollte ich den hören oder überhaupt etwas zur Kultur? Die besteht ja nicht nur aus Gottesdiensten. Die Künste helfen uns, genau die Fantasie zu entwickeln, die wir brauchen, wenn wir mit neuen Grenzen und Beschränkungen umgehen müssen. Und wie die Kirchen werden wir jetzt alle Energie in die Frage stecken, wie man trotz Abstandsregeln tolles Theater machen kann, wenn der Veranstaltungsbetrieb mit den erwarteten Auflagen wieder zugelassen wird. Da wird uns sicher einiges einfallen. Wozu sind wir Künstler?
Die eine Sache ist das Abstandhalten im Zuschauerraum, die für meine Vorstellungskraft weitaus schwierigere: Wie macht man das auf den Proben?
Auf Proben ist es einfach, weil wir uns da vieles vorstellen müssen. Wir haben ja in der Regel auch noch keine Kostüme und noch nicht das richtige Bühnenbild. Wenn man nicht gerade eine Kuss- oder Kampfszene vorbereitet, kann man sehr gut mit Abstand proben. Außerdem haben wir ohnehin nur ein sechsköpfiges Ensemble, das viel unter sich bleibt.
Fast wie eine größere Familie.
Ja, so handhaben wir es auch mit unseren Technikern, die im Moment alle arbeiten – mit Abstand, in sehr kleinen, immer gleichen Gruppen und – wo nötig – mit Masken. Das machen wir seit Wochen und da hat sich noch keiner angesteckt. Wir haben
schon viel gelernt, wie man arbeiten kann, ohne die Fallzahlen zu erhöhen.
Woran arbeiten die Techniker im Moment?
Wir haben in den letzten zwei Jahren vor allem auf der Bühne gewirbelt. Da sind wichtige Wartungs-, Reparatur- und Verschönerungsmaßnahmen liegen geblieben, die wir endlich abarbeiten können. Wir sind ja alle nicht freigestellt. Wer kann, arbeitet im Homeoffice, die Kostümabteilung näht Masken, die Schauspieler, die Theaterpädagogen und die Inspizientin arbeiten in anderen Dienststellen der Stadt.
Weil sie ihnen als städtische Angestellte zugewiesen worden sind?
Weil wir sie dafür abgeordnet haben – es ist ja überall Not am Mann. Zwei Leute sind zum Beispiel in einem Corona-Test-Drive-in tätig. Das ist natürlich auch viel sinnvoller, als jemanden in Kurzarbeit zu schicken.
Das heißt, Sie könnten gar nicht nächste Woche anfangen zu proben, selbst wenn Sie wollten?
Wenn wir den Probenbetrieb wieder aufnehmen dürfen, kommen die, die wir dafür brauchen, zurück. Wir hoffen, dass es in Bezug auf Proben mit kleinen Besetzungen eine etwas differenziertere Entscheidung gibt. Ich kann absolut verstehen, dass ich nicht mit Orchester, 40 Chorsängern und zehn weiteren Leuten proben kann, aber wir hätten in der jetzt anstehenden Produktion »Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin« nur zwei Schauspieler auf der Bühne, für deren Schutz ich als Regisseurin dann selbst Sorge tragen kann.
Was mögliche Vorstellungen angeht: Die Schulen und Kindergärten sind noch zu, und auch nach einer etwaigen Öffnung wären außerschulische Veranstaltungen sicher nicht mehr angeraten. Wer würde kommen?
Wir haben viel Familienpublikum, das uns vermisst. Das merken wir an der großen Zuschauerbeteiligung an unseren neuen Onlineangeboten.
Wären denn neben den Streamings, die Sie ja jetzt schon anbieten, auch echte Internet-Premieren denkbar?
Warum nicht? Wie viele Theater haben wir die Digitalisierung ein bisschen verschlafen und machen jetzt Fortschritte mit Siebenmeilenstiefeln. Und auch wenn wohl keiner von uns dauerhaft und ständig Theater im Netz machen will, lernen wir gerade, wie wir auch außerhalb der Schauburg schnell, witzig und direkt kommunizieren können. Speziell mit unserem jungen Publikum. Wir haben, finde ich, mit der Internet inszenierung unseres Klassenzimmerstücks »Haram« schon eine sehr gute Form für dieses Medium gefunden. Ich glaube, auch Schimmelpfennigs »Zinnsoldaten« könnte man für ein Livestreaming inszenieren. Wenn wir wirklich längerfristig nicht mehr spielen können, werden wir sicher einen extra Onlinespielplan machen mit neuen Stücken, in die sich zum Beispiel kleine Gruppen von Zuschauern einklinken und mitspielen könnten. ||
Aktuelle Informationen gibt es auf der Website der Schauburg
Unsere aktuelle Ausgabe:
Verkaufsstellen
Online-Kiosk
ikiosk.de
Sie bekommen die aktuelle Ausgabe gratis zu jeder Bestellung bei folgenden Buchhändlern.
Das könnte Sie auch interessieren:
»Reineke Fuchs« am Residenztheater
THINK BIG! & Grenzgänger: Theaterfestivals in München
Mia san mia/Sie kam aus Mariupol: Kammerspiele-Uraufführungen
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton