Im unübersichtlichen Markt der Streaming-Dienste mischt nun auch noch Disney mit. Doch auch alternative Anbieter verdienen Aufmerksamkeit.
Neues von der Markenmelkmaschine
Welche sozialen Schäden die kürzlich verhängte Corona-Kasernierung anrichtet, lässt sich noch nicht abschätzen. Die materiellen Einbußen von Theatern, Kinos und sonstigen Schauplätzen menschlicher Begegnung sind jedenfalls absehbar verheerend. Doch natürlich gibt es auch Krisengewinner. Neben den Herstellern von Toilettenpapier und Teigwaren scheinen zu ihnen die Anbieter von Videostreaming zu gehören. Denn wem im Hausarrest die bildungsbürgerlichen Zeitvertreibe Lesen und Musizieren schon immer zu mühsam waren oder milieubedingt fernliegend erschienen, schaut sich daheim gern Filme und Serien an. Kein schlechter Zeitpunkt also für den Start des Dienstes Disney+, mit dem seit dem 24. März auch die kalifornische Markenmelkmaschine den weiter wachsenden Markt der Bewegtbildunterhaltung übers Internet bespielt. Das nicht zuletzt dank seiner Zukäufe von Marvel (2009) und Lucasfilm (2012) samt der damit verbundenen geschickten Ausschlachtung von Franchises wie »Star Wars« oder »Avengers« zum mit Abstand erfolgreichsten Filmstudio avancierte Disney attackiert damit vor allem Netflix. Auch wenn der Konkurrent weiterhin Disney-Inhalte im Programm hat, werden die dortigen Marvel-Serien wie »Jessica Jones« oder »The Punisher« nicht weitergeführt. Nach dem Launch von Apple TV+ tritt also ein weiterer Service in die ohnehin schon unübersichtliche Streamingwelt. In den USA kommt im Mai (sofern aktuell noch zu halten) mit Time Warners HBO Max ein weiterer Dienst hinzu – er wird aber auf absehbare Zeit hierzulande nicht verfügbar sein.
Die Reaktionen nach der Ankündigung des Dienstes im Herbst waren daher verhalten. Die Seite Moviepilot rief »das Ende paradiesischer Verhältnisse« aus. Klingt erstmal einleuchtend, weil das Angebot nun noch weiter vereinzelt. Als Goldstandard gelten weiterhin Serien, da Filme nach anderthalb bis zwei, im drögesten Falle eines hochgetunten Blockbusters zweieinhalb Stunden auserzählt sind – Fortsetzung natürlich nicht ausgeschlossen. Für Freunde abseitiger Filme hat sich das verheißene Paradies aber eher als Wüstenei erwiesen. Daran wird sich auch erstmal nichts ändern.
Wie heute üblich, bewirbt Disney+ auch seine Flaggschiffserie »The Mandalorian« als erzählerische Zeitenwende. »Iron Man«-Regisseur Jon Favreau hat diese als Space Western an gepriesene Erweiterung des »Star Wars«-Universums entwickelt. Ebenjenen Mandalorian kann man sich als robocopartigen Kopfgeldjäger vorstellen. Mit der von Lichtschwerterjunkies geschätzten Liebe fürs optische Detail bekommt der Zuschauer wieder allerlei Echsen- und Rüsselwesen serviert – zahlreiche bekannte Motive der Science-Fiction-Reihe zitiert Favreau en passant, wenngleich die Atmosphäre düsterer, dystopischer wirkt. Mondlandschaften und Eiswüsten prägen das Bild, Werner Herzog spielt einen geheimnisvollen Auftraggeber. Wer’s mag! Weitere Eigenproduktionen: »The World According to Jeff Goldblum«, in dem der Schauspieler und Jazzpianist reichlich selbstgefällig über Turnschuhe oder Eiskrem palavert. Gewohnt grelle, ethnisch streng diverse Teeniebespaßung bietet das »High School Musical« nun als Serie. Auch für Fans von Klassikern wie dem ersten abendfüllenden Disney-Film »Schneewittchen und die sieben Zwerge« von 1937 oder »Pinocchio« von 1940 wird freilich einiges geboten.
Disney hat 2019 mit dem von Rupert Murdoch kontrollierten 21st Century Fox neben zahlreichen Fernsehsendern für ca. 71 Milliarden Dollar – gegen die sich die einstigen 4 Millarden für Lucasfilm schnäppchenhaft ausnehmen – auch das Filmstudio 20th Century Fox gekauft (wegen der klanglichen Nähe zum in den Neunzigern von Murdoch gegründeten rechten Krawallsender Fox News heißt es aber fortan 20th Century Studios). Dadurch hat es sich nicht nur einige von Marvel in den Neunzigern an Fox verkaufte Filmrechte wiedergeholt, sondern theoretisch eine umfangreiche Bibliothek eines der großen Studios aus der Ära des klassischen Hollywood. Beim Blick auf Disney+ wird aber rasch klar, dass Fox-Filme dort keine große Rolle spielen. Es finden sich ältere Kassenschlager wie »Avatar«, »Kevin – allein zu Haus« oder »Mrs. Doubtfire« – für Filmfreunde, die mit Superhelden und Laserschwertern wenig anfangen können, etwas mau.
Auch kann Disney nicht alle Eigeninhalte im Programm zeigen, da es die Rechte an »Iron-Man« oder »Spiderman« an Dritte lizenziert hat. Bei den beiden »Deadpool«-Filmen sowie bei »X-Men Origins: Wolverine« sowie »Logan – The Wolverine« scheitert die Verwertung an einem anderen Grund: Wegen der freizügigen Gewaltdarstellungen widersprechen die Filme den selbst gesetzten familienfreundlichen Maßstäben. Image fragen gehören bei der Firma, die einst mit Micky Maus auf Kinderfang ging, schließlich zum Markenkern. Die Animationsfilme von Pixar wie »Oben« und »Alles steht Kopf« eignen sich dafür umso besser, ebenso die 30 Staffeln »Simpsons«, auf die Disney durch den Fox-Deal zugreifen kann. Ob sich das alles nun lohnt, um den Dienst für 6,99 Euro im Monat zu abonnieren? An Vielfalt kann es das Angebot mit (dem etwas teureren) Netflix nicht aufnehmen.
Es steht zu vermuten, dass die Corona-Krise auch Disney+ beeinträchtigt. Schließlich lebt auch die digitale Unterhaltung noch von ganz analogen Zusammenkünften an Drehorten. Für die Zuschauer könnte zudem die mögliche Überlastung des Internets zum Problem werden. Im Jahr 2018 machte das Videostreaming 58 Prozent des weltweiten Internet-Traffics aus, allein Netflix 15 Prozent. Wenn nun alle zu Hause bleiben wird sich das womöglich stark erhöhen. Netflix hat aber schon angekündigt, seine Übertragungsqualität zu drosseln, damit würden weniger Daten benötigt. Nach Angaben des weltweit größten Internetknotens DE-CIX in Frankfurt ist die NetzInfrastruktur auf den Datensturm vorbereitet.
Bleibt noch zu hoffen, dass in dieser häuslichen Zeit auch die weniger bekannten Angebote Beachtung finden. Sie bieten ihre Inhalte entweder als Einzelabruf oder auf Abobasis. Schon länger am Start ist dort Mubi, wo man jeweils jeweils 30 ausgesuchte Arthouse-Filme für inzwischen 9,99 im Monat abrufen kann. Das Portfolio ist auch hier verzweigt, mit einer Vorliebe für französisches und experimentelles Kino. Etwas günstiger und einen Tick mainstreamiger ist Realeyez. Für abseitiges Weltkino steht das Schweizer Filmingo, dem deutschen Film widmet sich AllesKino (jeweils im Einzelabruf). Corona treibt nun auch die Filmtheater zum Streamen. Die darbende Kinolandschaft kann man durch den Abruf von Filmen auf »kino-on-demand.com« zum Preis einer regulären Karte unterstützen – mit Angabe, an welche Kinos der Erlös gehen soll. Der Verleih Grandfilm bietet Werke wie den polnischen »Die Maske« ebenfalls zum Stream an, verfügbar über Vimeo – die Einnahmen werden hälftig zwischen Grandfilm und einem auf deren Seite abrufbaren Pool an Kinos aufgeteilt. ||
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