Das DOK.fest München findet als Digitalfestival statt – @home 2020.
Daheim im Kino
Auch das DOK.fest München ist von der Gesundheitskrise betroffen. Das Festival ist eine der wichtigsten Plattformen für Dokumentarfilm in Deutschland und verzeichnete im letzten Jahr mit 52 000 Zuschauern einen Besucherrekord. Die Kinos sind aktuell geschlossen, und es ist nicht sicher, ob sie zur geplanten Festivalwoche vom 6. bis 17. Mai wieder bespielt werden dürfen. Daher haben sich Festivalleiter Daniel Sponsel und sein Team dazu entschlossen, die 35. Ausgabe in den digitalen Raum zu verlegen. Unter dem Titel DOK.fest München@home soll es als reines Digitalfestival stattfinden.
Dieser Schritt war eine schmerzhafte Entscheidung, wie Sponsel betont: »Das Festival war ja schon fertig geplant – das Programm stand, das Budget war sicher.« Verschieben ging jedoch angesichts des Münchner Veranstaltungskalenders nicht, und Absagen war für das Team keine Option: »Das wäre das falsche Signal gewesen.« Sicherlich richtig, denn gerade der Dokumentarfilm lebt ja vom Bezug zum aktuellen Geschehen, kommentiert und reflektiert dieses. Dass genau diese Filme nun online gezeigt werden, kann als Verschränkung von lebensweltlicher Entwicklung und dokumentarischem Anspruch gelesen werden. Gemeinsam arbeitet das Team nun entschlossen daran, das Festival in möglichst vielen Facetten in den digitalen Raum zu transferieren. Die beiden Hauptförderer, das bayerische Digitalministerium und das Kulturreferat der Landeshauptstadt München, unterstützen die Entscheidung.
Auf einer Partnerplattform soll ein Teil der Filmauswahl deutschlandweit abrufbar sein, Sponsel rechnet damit, dass mindestens 60 Prozent der ursprünglich 159 Filme auch eine Freigabe für das Digitalfestival geben werden. Ob und wie die Kinos, in denen die Screenings hätten stattfinden können, an den Ticketverkäufen beteiligt werden können, wird gerade noch geprüft. Um sich von einem Streamingportal abzuheben, will Sponsel das Festivalflair mit in den digitalen Raum nehmen. »Streaming ist ja ein geübtes Modell. Das macht uns Hoffnung. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, was ein Festival online darüber hinaus ausmachen kann und soll. Ein kuratiertes Programm ist der Grundstock, aber eben nicht alles.« Er will Reihen und Wettbewerb weitestgehend erhalten, und die Eröffnung soll aus dem leeren Deutschen Theater gestreamt werden. Auch das DOK.forum, der Branchenmarkt des Festivals, wird es auf alle Fälle wieder geben – diesmal mit Videokonferenzen. Sponsel ist hier optimistisch, denn am virtuellen Markt können natürlich viel mehr Gäste teilnehmen. »Nicht alle konnten oder wollten reisen. Das ist angesichts der Klimakrise sowieso ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. In diesem Bereich ist das sogar ein dankbarer Test!«
Natürlich ist die zwangsweise Dezimierung eines klug kuratierten Programms auf gut die Hälfte ein Schlag für jedes Festival. Doch lassen sich auch schon bei einigen höchstwahrscheinlich gezeigten Filmen für das DOK.fest München@home thematische Ansätze und Linien ausmachen, die ein weiterhin dichtes und aktuelles Programm versprechen. Ein übergreifender Fokus blickt auf die junge Generation, die immer selbstbewusster das Wort ergreift. Jugendliche und Kinder fungieren hier als identitätsstiftende Mittler zwischen den Generationen und Kulturen: Die palästinensische Filmemacherin Lina Al Abed macht sich in »Ibrahim: A Fate to Define« auf Spurensuche nach ihrem Vater, der als Mitglied einer Terrororganisation in den Achtzigerjahren verschwand, während der Franzose Claude Demers in »A Woman, My Mother« die Geschichte seiner leiblichen Mutter neu erfindet, um eine lebenslange Leerstelle zu füllen. Die Kenianerin Maia Lekow wiederum begleitet in »The Letter« den Jungen Karisa auf einem Seiltanz zwischen Aufklärung und Aberglaube, als seine Großmutter in ihrer Dorfgemeinschaft als Hexe beschuldigt und bedroht wird.
Auch wenn die Entscheidung gezwungenermaßen erst spät fiel und vieles im Eilverfahren erledigt werden muss, klingt Daniel Sponsel zuversichtlich, aus der Notlösung ein Experimentierfeld für die nächsten Jahre zu machen. Formate, die sich dieses Jahr bewähren, will Sponsel weiterführen, wenn das Festival wieder in den Kinos der Stadt stattfindet. ||
DOK.FEST MÜNCHEN @HOME 2020
ab 6. Mai| Zugang: dokfest-muenchen.de
Unsere aktuelle Ausgabe
Das könnte Sie auch interessieren:
The Whale: Kritik zum Aronofsky-Film mit Brendan Fraser
»Bruce und die Sehnsucht nach dem Licht« am Residenztheater
Freibad: Doris Dörrie im Interview
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton