Was man mit dem Material Ton alles anstellen kann, zeigt eine faszinierende Ausstellung der Keramikklasse der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle in der Galerie Handwerk.
Ein Stockschwamm ist ein seltsames Ding. Es verbindet das weiche und bauschige eines Schwamms mit der festen Länge eines Stocks. Keramiker befreien mit diesem selbst gebastelten Werkzeug den Boden eines engen Gefäßes vor dem Brand von überschüssiger Feuchtigkeit. Wenn die Keramikklasse der renommierten Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ihre Ausstellung nun nach diesem kuriosen Werkzeug benennt, darf man sich freuen: auf Materialästhetik und Sinnlichkeit und auf eine Kunst, bei der noch selbst Hand angelegt wird.
Über die handwerklichen Wurzeln ist man in Halle allerdings längst hinausgewachsen, und auch sachliches Gebrauchsgeschirr, wie es Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks vom Bauhaus kommend in Halle entwickelt haben, werden an der Burg schon lange nicht mehr hergestellt. Gertraud Möhwald hat die Klasse stattdessen in den 70er Jahren zum Experimentierkessel gemacht. Ihr Schüler und aktueller Leiter der Klasse, Martin Neubert, geht diesen Weg konsequent weiter, er begreift Keramik als selbstverständliche Disziplin innerhalb der Bildenden Kunst. »Es gibt für die Keramik keine Nische.«
Da ist etwa eine Gruppe von Objekten, irgendetwas zwischen Batzen, Gefäß und Figur, aus grobem Ton, manche roh, andere glasiert. Der Clou ist die Art der Formwerdung: Nele Vogt hat das Material erkundet, indem sie einfach mal beherzt in so einen Batzen frischen Tons hineingegriffen hat. Kein gleichmäßiges Drehen an der Töpferscheibe, kein Glätten mit dem Spachtel, kein Versäubern mit dem Schwämmchen: Einzig durch den Druck der Hand kamen die Formen zustande. Man sieht noch die Spuren der Finger, die Wölbung des Handballens, den Abdruck eines Daumens. Bei der Materialerkundung noch eine Stufe weitergegangen ist Karlotta Reisch: Drehen, Walzen, Schneiden, Kneten, Rollen, Ziehen, Zupfen, Reißen, Gießen – was auch immer man mit Ton machen kann, hat sie ausprobiert. »Ich hab mich mit der Drehscheibe auseinandergesetzt, mit der Abformung, aber auch mit Handformung oder Auftragen von Schlicker, und je nachdem wie der Ton bearbeitet wird, hat er eine andere Anmutung.« Die so entstandenen Formen hat Reisch zu einer Installation zusammengefügt: lange dünne Wülste neben perfekt gedrehten Scheiben, garniert mit Streuseln aus gezupftem Ton: ein Materie gewordener Spielraum, in dem sich alles um das Material Keramik dreht.
Ganz anders eine Arbeit von Olivia Pils. Ihre Installation erinnert an ein Labor. Rosafarbener Schaumstoff, durchsichtige Plastikschläuche, spiegelnde Glasoberflächen: Alles ist hell und sauber, aber auch kühl und kalt, manches wirkt nass, glitschig, eklig. Scheinbar organisch Gewachsenes liegt hier neben technoidem, industriell Hergestelltem auf einem OPTisch, auf dem die Künstlerin die Wissenschaft seziert und deren Hybris offenlegt: Einerseits dreht sich in der Forschung alles um den Körper und seine Funktionen, doch wer Verfall, Krankheit und Tod überwinden will, negiert den menschlichen Körper gleichzeitig. Ton scheint das ideale Material für dieses Thema – vom Batzen Lehm, aus dem Gott Adam schuf, bis zur technischen Keramik für die Raumfahrt sind dem Material Menschwerdung und Überwindung naturgegebener Grenzen kulturhistorisch schon eingeschrieben. Trotzdem ist Ton für die Künstlerin nur ein Material unter anderen. »Ich benutze auch Wachs, Silikon, Plexiglas oder Spiegel, also die Materialästhetik spielt eine große Rolle, das Gefühl, das es hervorruft. Porzellan benutze ich sehr gern, weil es das Kalte bringt, niedrig gebrannter Ton hat wieder eine ganz andere Wirkung.«
Von Hermann Grüneberg ist in der Ausstellung eine Engelsfigur zu sehen: eine fantastische, mystische Figur, 80 Zentimeter hoch, expressiv bemalt, mit schwarzen Federn und auf tönernen Rädern stehend. Um das tradierte Engelsbild als Beschützer oder Vermittler von Tod oder Heil geht es hier nicht, Grünebergs »New Angel« ist vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Menschen. Das Material Keramik erlaubt ihm dabei ein prozesshaftes Arbeiten ganz nach seinem Gusto, mit all seinen Möglichkeiten der Veränderlichkeit und des Wachsens, des Collagierens und Montierens. »Und es gibt auch noch den schönen Teil des Aus-der-Hand-Gebens: Am Ende geht die Skulptur in den Ofen, und es wirken Kräfte mit Ergebnissen, die so nicht gedacht waren.« Keramik als Experiment mit offenem Ausgang – freier kann Kunst gar nicht sein. ||
STOCKSCHWAMM
Galerie Handwerk| Max-Joseph-Str. 4 / Eingang Ottostraße
bis 22. Februar| Di/Mi/Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa 10–13 Uhr | Eintritt frei | Führung jeden Donnerstag, 18.30 Uhr
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