Das Jewish Chamber Orchestra Munich wird 15 Jahre alt. Eines seiner vielen Projekte für das Ensemble auch in die Kammerspiele.
»Flimmerkammer« nennt sich beziehungsreich eine zentrale Programmschiene des Jewish Chamber Orchestra Munich, vormals Orchester Jakobsplatz München, benannt nach dem Ort, wo das jüdische Zentrum einen Saal beherbergt, den dieses Orchester aus jüdischen und nichtjüdischen Musikern unter Leitung von Daniel Grossmann oft bespielt. Die »Flimmerkammer« jedoch findet in der Kammer 1, also dem Schauspielhaus der Münchner Kammerspiele statt und lässt die ehrwürdige Jugendstilbühne von 1901 zum veritablen Lichtspielhaus werden, mit Stummfilmvorführungen zu Livemusik meist zeitgenössischer Komponisten. Etliche berühmte Filme gab es hier schon zu sehen, so »Panzerkreuzer Potemkin«, »Der Student von Prag«, »Das neue Babylon«, »Das alte Gesetz« oder »Nerven«. Zum 15-jährigen Jubiläum des Kammerorchesters gibt es nicht nur im März erneut Phil Glass’ Poe-Vertonung »Der Untergang des Hauses Usher« in szenischer Version zu erleben und im Juli Robert Siodmaks Stummfilm »Menschen am Sonntag« mit der Musik von Elena Kats-Chernin, sondern bereits jetzt ein »Kino Varieté«.
Im Mittelpunkt steht der knapp einstündige Film »Die Puppe« von Ernst Lubitsch, entstanden 1919 nach »Die Austernprinzessin« und »Madame Dubarry«. Darin stimmt ein schüchterner junger Mann einer Verehelichung nur zu, weil sie mit der erheblichen Mitgift seines Onkels verbunden ist, und er glaubt, nur zum Schein Hochzeit feiern zu müssen – mit einer Puppe. Die entpuppt sich freilich als Wesen aus Fleisch und Blut und führt den jungen Bräutigam so an der Nase herum, dass er Gefallen an der aufmüpfigen Weiblichkeit bekommt und es schade findet, dass sie kein Mädchen sei. Das gilt es dann zu beweisen.
Martin Smolka, geboren 1959 in Prag, hat neben Kammer- und Orchestermusik für Dokumentar-, Spiel- und Stummfilme wie »Entr’acte« (René Clair) und »Vormittagsspuk« (Hans Richter) oder Theaterstücke und zwei Opern die Musik komponiert. Für »Die Puppe« beschränkte er sich 2010 auf Flöte, Klarinette, Fagott, Trompete, Geige, Kontrabass, Akkordeon, E-Gitarre und zwei Schlagzeuger und folgt – punktgenau und sehr humorvoll – den flimmernden Bildern. Manchmal geschieht das in raffinierten Wiederholungsschleifen, manchmal düster raunend, hektisch illustrativ wie für das Durcheinanderplappern einer Sippe von Erbschleichern oder subtil ironisch mit dem leicht verzerrten Zitat von Tatjanas Liebesthema aus Tschaikowskys »Eugen Onegin« zur aufkeimenden Liebe des jungen Paars.
Davor gibt es Kurzfilme mit jüdischem Bezug, etwa Werbung für das Dresdner Modehaus Goldmann mit dem Titel »Wie fessle ich meinen Mann?« (1927) sowie die ein Jahr später entstandene Komödie »Call Of The Cuckoo« mit dem jüdischen Komiker Max Davidson sowie dem Gastauftritt von Stan Laurel und Oliver Hardy. In einer »Wochenschau«, wie damals im Kino üblich, sind 1919 gedrehte Ereignisse rund um die Räterepublik und ihr gewaltsames Ende zu sehen. Musik dazu komponierten die jungen Münchner Josef Piras und Dominik Gieriegl. Dazwischen vermitteln historische Songs jüdischer Komponisten wie Hermann Leopoldi oder Franz Engels zwischen den einzelnen Sequenzen und Filminhalten, dargeboten von Zeynep Bozbay aus dem Ensemble der Kammerspiele. ||
JEWISH CHAMBER ORCHESTRA MUNICH: FLIMMERKAMMER #6
Kammerspiele, Kammer 1| 11. Februar| 20.30 Uhr
Tickets: 089 23396600
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