Regisseurin Julia Hölscher treibt Marieluise Fleißers »Der starke Stamm« die Komödiantik aus.

Balbina (Katja Jung, Mitte) will einen Platz an der Sonne | © Sandra Then

Ein himmelhohes Scheunentor aus Holzlatten trennt das nackte Drinnen mit schrägem Bretterboden vom düster-nebligen Draußen (Bühne: Paul Zoller). Dort erklingt der Choral »Näher mein Gott zu Dir«, dann kommen die Beerdigungsgäste herein. Die Magd bringt Bierkrüge. Die Verwandten stehen steif herum, sagen aber sehr unverblümt, was sie aus dem Nachlass der verstorbenen Frau wollen. Rauchschwaden wabern beständig durch den Raum. Mit einem Buchstabendreher wird aus Rauch das bairische Wort Ruach, und ruachat, raffgierig und habsüchtig, sind alle Figuren in Marieluise Fleißers Stück »Der starke Stamm«. Die Autorin nannte es eine bayerische Komödie, die ist allerdings tiefschwarz und bitterböse. Geschrieben 1944, wurde sie 1950 an den Münchner Kammerspielen mit Therese Giehse in der Hauptrolle der geschäftstüchtigen Balbina uraufgeführt. Nun hat Julia Hölscher das bis heute selten gespielte Drama im Residenztheater inszeniert. Es könnte ein deftiges Volksstück sein, aber die Regisseurin treibt ihm hart und konsequent alle Komödiantik aus.

Marieluise Fleißer, unglücklich liebesverbandelt mit Brecht, machte mit ihren ersten Stücken »Fegefeuer in Ingolstadt« und »Pioniere in Ingolstadt« im Berlin der 20er Jahre Skandal. In den Sechzigern wurde sie wiederentdeckt, die Autoren Sperr, Kroetz und Fassbinder konnte sie »Alle meine Söhne« nennen. Sie schildert mit scharfem Blick die dörflichen Kleinbürger ihrer Heimat. Jeder ist sich selbst der Nächste und dem anderen ein Wolf. Auch der Witwer Bitterwolf ist ein verbitterter Wolf. Resi-Rückkehrer Robert Dölle spielt diesen Sattlermeister kantig, breitbeinig, statisch, prononciert präzise das Kunstbairisch der Fleißer. Die Erbschleicher-Bagage weiß er wegzubeißen, nur gegen seine Schwägerin Balbina ist er wehrlos. Die zieht umgehend ein, lockt und erpresst ihn mit dubiosen Geldgeschäften, spekuliert auf Heirat. Katja Jungs Balbina nutzt jede Chance zu krummen Geschäften und Abzocke, organisiert selbst im Knast einen Wallfahrtstourismus. Jung zeigt Balbinas Verletzlichkeit in einer großen, poetischen Suada über das »beschissene Leben«, aber sie zeigt kaum das skrupellose Luder, das ohne Bedauern Bitterwolf in den Ruin treibt.

Denn der hat die junge Magd Annerl (Luana Velis) geschwängert und geheiratet. Die hätte auch dessen verliebten Sohn haben können: Johannes Nussbaum als Hubert rebelliert mit seinen Kunst-Ambitionen schwärmerisch trotzig gegen den Vater, arbeitet lieber im Bergwerk als bei ihm, seine Zukunft ist mehr als unsicher. Hölscher lässt die Personen meist frontal ins Publikum sprechen, es gibt kaum Interaktion, jeder der seltenen Körperkontakte ist ein gewaltsamer, ob Kampf oder sexuelle Aufforderung. Packend ist dieser Formalismus nicht. Erst Arnulf Schumacher als reicher Priesteronkel, der mit grauer Langhaarmähne auf einer schicken Harley einfährt, bringt erfrischendes Spiel ins Spiel. Er macht als Deus ex machina Hubert
zum großen Gewinner – Pech für Annerl – und alle Habgierigen zu Verlierern. Die werden’s überleben, sie sind ja vom starken Stamm. ||

DER STARKE STAMM
Residenztheater| 2. Februar| 19 Uhr | 6., 8., 24. Feb.,
18. März| 19.30 Uhr | 1. März| 18.30 Uhr |5. März| 20 Uhr
Tickets: 089 21851940 | www.residenztheater.de

 


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