Die Dirigentin Oksana Lyniv ist zurück an der Staatsoper, mit einem anspruchsvollen Bartók-Abend.
Warum schreiben Frauen Gewalttätern und Mördern ins Gefängnis? Warum steigert sich ein derartiger Kontakt bis zu Heirats- und Kinderwünschen? Den mitdenkenden Opernfreund könnten solche Fragen beschäftigen, wenn er die Kernhandlung von Béla Bartóks faszinierend dunklem Einakter »Herzog Blaubarts Burg« liest. Warum verlässt eine blühende junge Frau ihre Eltern und folgt einem von mörderischen Gerüchten umgebenen, älteren Mann in sein düsteres Schlossgefängnis? Sie öffnet in Form von symbolischen Türen seine Abgründe: Folterkammer, Waffenlager, Schatzkammer, Zaubergarten mit blutigen Blumen, endlos blutige Weite, Tränensee. Diese sechs Facetten Blaubarts schließen sich, als Judith insistiert, auch die siebente Tür zu seinen früheren Lieben zu öffnen. Schweigend treten Blaubarts drei Frauen als »Morgen«, »Mittag« und »Abend« hervor. In grandios seltsamer Verklärung bannt Blaubart Judith nun als seine »Nacht«, verschließt alle vier Frauen und bleibt in
Finsternis zurück.
In faszinierender Musik – den sieben Türen entsprechen wie im Regenbogenspektrum sieben Orchesterfarben – verschmilzt Béla Bartók Symbolismus, Psychopathologie, dramatische Gewaltdrohung und glühende Liebesemphase – eine ganz für sich stehende Klangwelt, zu der Dirigentin Oksana Lyniv eine lange Beziehung hat. So wie in den Jahren ihrer Ausbildung die nationale ukrainische Volksmusikkultur gesammelt wurde, schrieb Bartók über 10.000 Volkslieder nieder. Für Lyniv ein wichtiger Bestandteil seiner Kunst: »Das hatte starken Einfluss auf seinen Kompositionsstil, auf dem Gebiet der Harmonik. Im ›Blaubart‹ liegt die stärkste Verbindung zur Volksmusik im Verhältnis zwischen Wort und Musik. Die Prosadeklamation folgt dem Rhythmus der ungarischen Sprechmelodie mit dem Akzent auf der ersten Silbe.« Und anno 2016, mitten in ihren Jahren an der Seite von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper, dirigierte Lyniv im ungarischen Miskolc bereits einen »Bartók Marathon«, im Einzelnen »Blaubart« zusammen mit den Balletten »Der wunderbare Mandarin« und »Der holzgeschnitzte Prinz«.
Jetzt freut sich Oksana Lyniv, am Ende ihrer Chefdirigentinzeit an der Oper Graz und vor dem Beginn ihres Starts in die Opernwelt mit den Stationen Paris, London, USA nach München zurückzukehren. Vordem »Blaubart«-Einakter wird sie das Bayerische Staatsorchester in Bartóks »Konzert für Orchester« dirigieren. Das Werk gilt auch in der Zweitfassung von 1945 als klanglich reizvoll und sehr zugänglich. Bartók hat gezielt »Konzert« statt »Symphonie« gewählt, weil er für einzelne Instrumente und Gruppen mehrfach solistische Passagen komponiert hat: »Sein Stil ist mir sehr nahe, er erfordert rhythmische Genauigkeit, große Vorstellungskraft und Emotionalität.« Die für ihre eigenwilligen szenischen Interpretationen bekannte Regisseurin Katie Mitchell hat dafür von Grant Gee einen Film drehen lassen, in dem die beiden Protagonisten ihrer anschließenden »Blaubart«-Bühneninszenierung spielen, auch wenn mit dem Titel »Judith« die Regisseurin die Frau hervorhebt. All das lässt einen spannenden Musiktheaterabend erwarten: Süffige Oper gibt es ja genug – darf es jetzt auch mal was anderes sein? ||
JUDITH / HERZOG BLAUBARTS BURG
Nationaltheater |1., 4., 7., 9., 13., 16. Feb.
19 Uhr (sonntags 18 Uhr) | Tickets: 089 21851903
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