…nach dem kleinen Glück. Sarah Camp und Michele Cuciuffo spielen Fassbinders Klassiker »Angst essen Seele auf« im Zentraltheater.
Seit 2017 hat sich zwischen Hauptbahnhof und Theresienwiese das kleine Zentraltheater etabliert. Der Intendant Simon Riggers mischt Produktionen zur Nachwuchsförderung mit solchen erprobter Theatermacher. Zu denen zählt Josef Rödl, Regisseur und Autor für Film, Fernsehen und Theater. Seine Filme waren nach Cannes und zur Berlinale eingeladen, seine letzte Bühnenarbeit »Tage wie Nächte« lief im Metropoltheater und im Zentraltheater. Dort inszeniert er nun »Angst essen Seele auf« nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder, der 1974 in Cannes den Kritikerpreis erhielt.
Die Besetzung ist hochkarätig: Das ungleiche Liebespaar Emmi und Ali spielen Sarah Camp und Michele Cuciuffo, die Nebenrollen Kathrin von Steinburg, Peter Rappenglück und Christina Baumer. Fassbinder erzählt vom Misstrauen, das den ersten Gastarbeitern in Deutschland entgegenschlug. Die verwitwete, einsame Putzfrau Emmi lernt den jüngeren Marokkaner Ali kennen. Beide finden beieinander Wärme, Zärtlichkeit und Geborgenheit. Trotz aller Anfeindungen aus Emmis Umgebung und zum Entsetzen ihrer Kinder heiraten sie. Die soziale Ächtung nimmt allmählich ab, denn Ali ist hilfsbereit und nützlich. Aber er und Emmi entfremden sich, sie duldet, dass er fremdgeht. Dann bricht Ali mit einem Magengeschwür zusammen – der Arbeitsdruck in der Fabrik. Die nötige Kur zahlt die Krankenkasse nicht.
Die Kabarettistin, Autorin und Schauspielerin Sarah Camp ist eine Münchner Institution, in den letzten Jahren arbeitete sie hauptsächlich für Film und Fernsehen. Den Schauspieler Michele Cuciuffo kennt man vom Residenztheater: Dort gehörte er bis 2019 acht Jahre zum Ensemble. Vorher war der in Saarbrücken geborene Sohn sizilianischer Einwanderer sieben Jahre am Wiener Burgtheater, danach fünf Jahre in Düsseldorf. Im Marstall präsentierte er sein eigenes Programm mit Songs von Paolo Conte. »Ich habe es geliebt, Ensemble-Schlampe zu sein«, sagt der 48-Jährige. »Aber nach 20 Jahren bin ich gerne frei. Wann, wenn nicht jetzt.«
Heute lebt die zweite und dritte Generation der Gastarbeiter in Deutschland, dennoch trifft »Angst essen Seele auf« auch nach 45 Jahren einen Nerv. »Damals beherrschte Ali die deutsche Sprache noch nicht«, sagt Josef Rödl. Er bedauert, dass der Theatertext nicht verändert werden darf, darauf achtet die Fassbinder-Foundation streng. »Aber die Begegnung mit dem Fremden und die Ablehnung und Ächtung einer Liebe, wie sie Fassbinder beschreibt, ist heute noch und wieder hochaktuell. Der Umgang der Gesellschaft mit dem Fremden und Befremdlichen ist seitdem härter geworden.« Sarah Camp meint: »Seit 2001 herrschen andere Ängste, vor allem die vor Terror. Aber Fassbinder hat ja soziale Thematiken aus verschiedenen Bereichen verknüpft. Und die Kombination alte Frau und junger Mann fällt immer noch auf, da wird sexuelles Interesse unterstellt.« Michele Cuciuffo ergänzt: »Das Stück ist eher wie ein Märchen: Der große Wunsch nach einem kleinen Stückchen Glück wird aus Neid bombardiert von anderen.« Er hat selbst aufgrund seines italienischen Namens und Aussehens beim Umzug nach München zunächst keine Wohnung gefunden: »Viele Sachen kommen mir sehr bekannt vor«, sagt er. »Man wird eingegrenzt auf Klischees. Der Umgang mit Fremden ist immer hölzern, nie normal, das schlummert im Stück. Die Figuren suchen nur ein kleines Stückchen Liebe, aber das wird unmöglich gemacht.« Sarah Camp findet interessant, wie Ali von den Nachbarn als nützlicher Helfer instrumentalisiert wird: »Die Umgebung schaut allmählich weniger feindselig, aber Fassbinder zeigt, wie die Menschen sich dadurch innerlich vergiftet haben. Alis Arbeitssituation wird nur angerissen, es geht zuerst um die Umwelt, und man sieht, wie die ihn kaputtmacht. Die Liebe stirbt nicht, aber sie wird eingetrübt.«
Rödl bilanziert: »In der Grundsehnsucht nach Harmonie und etwas Märchenhaftem spiegeln sich alle Widersprüchlichkeiten des Alltags. Da mischen sich Realismus und Fantastisches.« Er hat das Bühnenbild selbst entworfen, weil für ihn auf engem Raum jede Kleinigkeit bedeutsam ist. Die wenig kulturverdächtige Umgebung des Zentraltheaters sieht er als Quell für neue Ideen: »Wir Theatermacher müssen da sein, wo die Geschichten passieren. Man sieht im Bahnhofsviertel neues lebendiges Leben. Das hat Fassbinder so stark gemacht, er hat vor Ort hingesehen und hineingehorcht, deshalb hat er authentische Geschichten geschrieben. Gut, dass so ein Ort heute wieder im Bahnhofsviertel entsteht.« ||
ANGST ESSEN SEELE AUF
Zentraltheater| Paul-Heyse-Str. 28 | 21., 22., 27.–29. Jan.
20 Uhr | Tickets: 089 30659486
Das könnte Sie auch interessieren:
Methode Rainer Werner Fassbinder: Das Buch zur Ausstellung
Heldenplatz: Thomas Bernhard an den Kammerspielen
»Novecento« im Hofspielhaus
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton