Mit einem eigenen Streamingdienst tritt nun auch Disney in den Krieg der Streaminganbieter ein.
Läuft für Disney, könnte man sagen. Das »Time Magazine« kürte den CEO Bob Iger zur »businessperson of the year«. Noch vor dem Start der letzten »Star Wars«-Episode »Der Aufstieg Skywalkers« im Dezember hatte der Medienkonzern mit sieben Filmen die Umsatzschallmauer von 10 Milliarden Dollar geknackt. Mit der »Star Wars«-Serie »The Mandalorian« startete im November vergangenen Jahres der hauseigene Streamingservice Disney Plus, der Ende März auch in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien online geht – und wegen der Figur Baby Yoda direkt viral ging.
Doch tritt Disney mit seinem Streamingdienst in einen Konkurrenzkampf ein, dessen intergalaktische Ausmaße die amerikanischen Medien dazu bewogen, in Anlehnung an den Krieg der Sterne von »Streaming Wars« zu sprechen. Denn neben den großen Anbietern wie Netflix, Amazon und Sky hat sich in kurzer Zeit eine Vielzahl von Portalen postiert, die allesamt um die Zuschauergunst buhlen. Nun also auch Disney und zwei Wochen zuvor Apple Plus.
Das Angebot wird langsam unübersichtlich. Schon lange sind die Streaminganbieter nicht nur digitale Videothek, sondern ganze Studios, die selbst Filme und Serien produzieren. Aus reinen Providern sind Produzenten geworden, aus Dienstleistern Konkurrenten, die eigenen Content an das Publikum bringen müssen – auch die begriffliche Verschiebung von »Film« zu »Content« ist auffällig. Entsprechend wandelte sich auch die Programmstruktur der Plattformen. Je mehr eigenen Content Amazon, Netflix und Co produzieren, desto weniger sind Filme der anderen Studios in ihrem Portfolio zu finden. Anders als in physischen Videotheken ist das Publikum von der Programmstrategie und den Algorithmen der Streaminganbieter abhängig. Klassiker und Arthouse-Entdeckungen tauchen kaum noch in den Empfehlungslisten auf und werden von Original-Content verdrängt. Der »Originals«-Stempel wurde zum selbst gemachten Qualitätssiegel stilisiert.
Während Amazon und Apple das meiste Geld mit Onlinehandel und hochpreisigen Technikartikeln verdienen, buhlen sowohl Disney als auch Netflix um das Unterhaltungspublikum. Disney setzt auf Familienunterhaltung – den Klassikerkatalog aus beinahe 100 Jahren Firmengeschichte hat das Unternehmen in den letzten 15 Jahren durch den Zukauf wichtiger Player ergänzt und wurde damit zum mächtigsten Studio Hollywoods: Der Animationsriese Pixar, das Superheldenstudio Marvel und Lucasfilm mit dem »Star Wars«-Franchise gehören dazu, und seit Anfang 2019 kaufte das Unternehmen die Mehrheitsanteile von 20th Century Fox mit einem immensen Back-Katalog, inklusive 30 Staffeln »Simpsons«. 71 Milliarden ließ Disney sich das kosten. Bob Iger nannte es die wichtigste Investition der letzten 45 Jahre. Auffällig: Alle aktuellen und geplanten Produktionen sind Prequels, Sequels oder Spin-offs von Blockbuster-Franchises. Selbst die Disney-eigenen Zeichentrickfilme werden einfach als Animationsproduktionen neu aufgelegt.
Auch Netflix muss sich nicht verstecken. Der Streamingriese hatte 2019 Martin Scorseses »The Irishman« und Noah Baumbachs »Marriage Story« im Portfolio, die von Kritik wie Publikum gleichermaßen gefeiert wurden und die Nominierungslisten der Award-Season anführen. Netflix produziert seit 2013 eigene Filme und Serien. Nachdem eine Kontroverse über die Weigerung, Eigenproduktionen ins Kino zu bringen, 2017 zu einer neuen Politik führte, gewann Netflix 2019 mit Alfonso Cuaróns »Roma« drei Oscars und kämpft also effektiv an zwei Fronten. Die Strategie: Stareinkauf. Nach Shoppingorgien auf großen Festivals verpflichtet Netflix nun weltweit namhafte Autorenfilmemacher und Filmemacherinnen – neben Cuarón, Scorsese und Baumbach auch den Japaner Sion Sono, die Coen Brüder, David Fincher, Ava DuVernay, Michelle und Barack Obama. Der ehemalige US-Präsident und seine Frau haben einen mehrjährigen Millionendeal mit Netflix abgeschlossen.
Ähnlichkeiten zur goldenen Hollywood-Ära
Betrachtet man die aktuelle Situation vor einem produktionshistorischen Hintergrund, lassen sich Ähnlichkeiten mit der goldenen Hollywood-Ära nicht leugnen. Zwischen 1928 und 1948 teilten die fünf Major Studios Paramount, MetroGoldwyn-Mayer, Warner Brothers, 20th Century Fox und RKO in einem Oligopol den Markt untereinander auf und hatten eigene Kinoketten, um ihre Produktionen zu zeigen – Produktion, Verleih und Kinos kamen aus einer Hand. Diese vertikale Integration wurde 1948 vom Supreme Court unter Verweis auf das Kartellrecht verboten. Netflix nun ist der erste Streaminganbieter mit eigenem Kino: In New York rettete der Riese kürzlich ein zuvor geschlossenes Theater und zeigt dort ausschließlich Eigenproduktionen. Ein Coup unter dem Deckmantel des abgewendeten Kinosterbens, der die Marktmacht der Plattformen verdeutlicht. Dass es Netflix tatsächlich um das Retten der Kinokultur geht, ist zweifelhaft, hat der Anbieter doch Anfang des Jahres eine neue Funktion getestet, mit der man alle Inhalte in 1,5-facher Geschwindigkeit sehen und somit schneller mehr konsumieren kann. Das klingt nicht nach bewusstem Kinogenuss, sondern nach Film-Fastfood.
Verquererweise macht Netflix aus dem Einkauf von Autorenfilmern mit eigener Handschrift ein kommerzielles Starsystem wie im alten Hollywood. Und was ist hierzulande geboten? Neben den vier Riesen mischen in Deutschland vor allem Sky und MagentaTV der Telekom mit. Sky Deutschland ist im Unterhaltungsbereich vor allem als alleiniger Vertreter des amerikanischen Bezahlsenders HBO und seiner Megahits wie »Game of Thrones«, »Westworld« und »Veep« eine Größe. Ob der von Warner angekündigte Streamingservice »HBO Max« auch in Deutschland starten soll und was dann mit Sky als Lizenznehmer passiert, ist bisher nicht bekannt. Doch auch hier tobt der Krieg um die Zuschauergunst ganz offensichtlich, weshalb Sky Deutschland mittlerweile mit »Babylon Berlin« und »Das Boot« auf Eigenproduktionen setzt. MagentaTV macht Sky zudem auf
dem Sportsektor Konkurrenz: Der Telekom-Streamingservice sicherte sich Ende 2019 die Rechte an der Fußball EM 2024.
Netflix gibt es obendrein im Paket mit MagentaTV um 25 Prozent günstiger als im Einzelabo. Wohin diese Unübersichtlichkeit an Überangebot führen soll? Magenta macht es vor, denn das Schnüren von individuellen Streamingpaketen wird wohl der nächste Kniff sein. Was in den USA im Bereich der Bezahlsender schon gang und gäbe ist, beginnt nun auch auf die Streamingplattformen überzugreifen. Das Problem der Ausblendung von Filmgeschichte ist dadurch sicherlich nicht gelöst. Wer jedoch weiterhin nicht auf kuratierte Klassiker und Arthousekino verzichten möchte, muss sich anderweitig behelfen. Die an Festivals und Jubiläen ausgerichtete Plattform Mubi ist sozusagen das Programmkino der Streamingwelt. In den USA gibt es zudem noch das digitale Angebot der Criterion Collection. Physische Archive, Filmmuseen und Bibliotheken sind also weiterhin wichtige Anlaufstellen für Cineasten und Filmwissenschaftler, die nicht nur aus den Produktionen der letzten 35 Jahre schöpfen möchten. Und die Streaming Wars? Die werden sich mit dem weltweiten Start von Disney Plus dieses Jahr zuspitzen. Ob und wann die Blase platzt, ist hingegen noch nicht absehbar. ||
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