Im Haus der Kunst demonstrieren Njideka Akunyili Crosby, Leonor Antunes, Henrike Naumann und Adriana Varejão, wie das »Innenleben« gesellschaftliche Zustände widerspiegelt.
Die erste Assoziation ist falsch: Es geht bei dieser Ausstellung nicht um Virginia Woolfs Essay »A room of her own«, nicht um das Recht der Frau auf ihren intimen Rückzugsort oder um weiblich konnotierten Spielraum innerhalb der Gesellschaft, nein, es geht um die Frage nach dem privaten Raum in Zeiten globaler Öffnung. Kuratiert von Anna Schneider, präsentiert »Innenleben« mit Njideka Akunyili Crosby, Leonor Antunes, Henrike Naumann und Adriana Varejão vier Künstlerinnen, die in ihrem Werk dem Verhältnis von innen und außen nachspüren. Ob als imaginäres oder reales Setting, als Metapher oder konkreter Schauplatz intimer sozialer Handlungen, stets wird der Innenraum zur Projektionsfläche für den jeweiligen Zeitgeist. So unterschiedlich die Künstlerinnen in Arbeitsweise und Herkunft sind, verbindet sie die Frage nach ihrem Verwobensein mit der Welt. Zugehörigkeit und Abgrenzung, nach innen gerichteter Nationalismus und kulturell offenes Weltbürgertum, Verstrickung in Geschichte und gesellschaftliche Zukunftsvision treffen hier aufeinander.
Im Treppenhaus, auf dem Weg in die Ausstellungsräume, begegnet man zuallererst einer sehr schönen fünfteiligen Lampe, die auch dem Art déco zugeschrieben werden könnte. Die Lichtskulptur mit dem Titel »discrepancies with C.S.« stammt von der 1972 geborenen, in Berlin lebenden Portugiesin Leonor Antunes und ist nicht nur eine Hommage an den italienischen Modernisten Carlo Scarpa, sondern vielmehr einer ihrer zahlreichen Versuche, sich mit einer anderen Zeit und ihren ästhetischen Akteuren zu verbinden. Adriana Varejão (geboren 1964 in Rio de Janeiro) widmet sich dem Motiv der Mauer: Sie konstruiert Wände, aus denen Innereien drängen, oder sie malt Wände aus Fliesen, deren Fugen platzen und aus denen Blut tropft oder andere organische Materie, so genau will man das gar nicht wissen. Der metaphorische Ansatz ist nicht subtil, sondern setzt auf den krassen Effekt der Abstoßung. Der lebendig eingemauerte Leib sucht sich den Weg in die Freiheit? Ganz anders die aus Nigeria stammende, in Los Angeles arbeitende Malerin Njideka Akunyili Crosby (geboren 1983), die das große Format mit farbkräftigen, dabei sehr zarten Darstellungen von Gruppen und Paaren bevölkert.
Farbige Frau, weißer Mann, berührend einander zugewandt. Crosby erschafft aus Malerei, Collage und Fotografie surreal anmutende Räume, in denen Details auftauchen, die keiner Logik folgen. Die Künstlerin legt Bildebenen übereinander und folgt einem narrativen Konzept, das nicht der Realität, sondern der Utopie Raum gibt. Am unheimlichsten ist der wirklich schauderhafte Raum von Henrike
Neumann. Die 35-jährige ausgebildete Bühnen- und Kostümbildnerin aus Zwickau hat in ihrer Mixed-Media-Installation »Ruinenwert« Hitlers Wohnzimmer auf dem Obersalzberg nachgebaut. Natürlich nicht originalgetreu, aber auch ohne dass man den Hintergrund dieser Arbeit kennt, spürt man sofort, was die Künstlerin antreiben mag: Genüsslich boshaft walzt sie auf fies roséfarbenem Teppich das deutsche Spießertum aus und arrangiert aus Sofalandschaften, Schrankwand, dem Festzug zur Eröffnung des »Hauses der Deutschen Kunst« als mittelalterlich angehauchtem Aufmarsch auf Video, dem Barbarossalied, Flokatifetzen und Nippes einen Raum zum Fürchten. Wer sich hier länger als notwendig aufhält, den will die Welt draußen nicht erleben müssen. Und so erreicht die Ausstellung genau, was sie will: Sie macht nicht nur sichtbar, was das Leben im Inneren vielleicht zusammenhält, sondern auch, was passieren kann, wenn es nach draußen quillt. ||
INNENLEBEN. NJIDEKA AKUNYILI CROSBY, LEONOR ANTUNES, HENRIKE NAUMANN, ADRIANA VAREJÃO
Haus der Kunst| Prinzregentenstr. 1 | bis 29. März| Mo bis So 10–20 Uhr, Do 10–22 Uhr
Führungen: 4./11./18./19. (Familienführung) / 25. Jan., jew. 15 Uhr | Themenführungen: 6./13./20./24. Jan., 15.30 Uhr | Kuratorinnen-/Künstlerinnenführung: 21. Jan. (mit Anna Schneider); 11. Feb. (mit Leonor Antunes); 3. März (mit Dimona Stöckle); jew. 18.30 Uhr; 29. März (mit Henrike Naumann), 16 Uhr
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Die Begleitpublikation (Prestel, 220 S., 68 Abb., 39 Euro) erscheint am 24. Februar
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