Die Villa Stuck lässt wieder mal umbauen: Martin Heindel hat den Ricochet-Raum in eine honiggelbe Multimedia-Höhle verwandelt.
Offensichtlich hat die Villa Stuck Gefallen daran gefunden, ihre Innen-Räume so umzubauen, dass sie nicht wieder zu erkennen sind. Letztes Jahr verwandelte Thomas Hirschhorn den Ateliertrakt in eine – rein optisch – wüste, bald auch recht vermüllte Chaos-Landschaft, in der sich jeder Besucher zum willkommenen Künstler emporschwingen durfte. Nicht zuletzt dank Kaffee und Kuchen für alle. Ein Werk für die Annalen der Kunsthistorie. Jetzt hat der 1976 geborene Martin Heindel, Dramaturg, Regisseur und Autor von Hörspielen in München, den klein(er)en Ricochet-Saal im Untergeschoss in eine honiggelbe Traumlokalität, in eine biomorphe Gruft umgemünzt.
Tropfsteinhöhle, Bühnenbild, wunderliche Wohnlandschaft, vielleicht aus der Prähistorie? Auf jeden Fall ist das farblich changierende Gebilde, in dem Boden, Wand und Decke ineinander fließen, erst einmal nicht furchteinflößend. Albtraum oder Horrorfilm kann man sich darin nur schwerlich vorstellen. Die intermediale Rauminstallation umfängt den Besucher mit Sphärenklängen und Kompositionen von Ralf Haarmann, mit von Jens Harzer (deutsch) und Ben Reynolds (englisch) interpretierten Texten des Künstlers. Die Stimmen der Sprecher und die Klänge fangen den Besucher ein, ziehen ihn hinein in das geheimnisvolle Szenario, das sich erst langsam mehr und mehr entpuppt.
Am Eingang bekommt man eine Decke. Nicht etwa, weil es da drin so kalt ist und man sich damit wärmen soll. Das graue Exemplar Marke Alpenverein ist eher als Kuscheldecke gedacht. Die aus Wachs geformteRaumskulptur besitzt nämlich Nischen, erhöhte Lagerplätze. Darauf kann man sich niederlassen, ausruhen, entstressen. Sich auf die Texte ein- oder einfach loslassen und die auf- und abschwellende goldgelbe Illumination im abbröselnden Wachs genießen. Der Künstler sagt dazu, er wollte eine Atmosphäre der Entspannung schaffen – aber nicht wie eine billige Saunalandschaft.
Auch die Rolle des Besuchers hat Heindel reflektiert. Normalerweise besitzen Museumsräume dienende Funktion und sind (nur) dazu da, die Kunstwerke dem Betrachter möglichst störungsfrei nahe zu bringen. Als Raum – egal ob White Cube, Glashalle oder historisches Gebäude – bitte möglichst neutral bleiben! Dabei steht der Betrachter vis-á-vis zum Werk, durchaus auch im übertragenen Sinne. Diese Trennung wollte Heindel aufheben. Intergrales Element soll er werden, der Betrachter, allerdings nicht steuernd oder interaktiv. Er soll sich seinen Platz in der Schöpfung selber suchen. Er kann herumlaufen und das anregende Spektakel aus warmem Licht, meditativen Lauten, Texten und Klängen aus 16 Lautsprechern, verborgen hinter den teils bizarr geformten Wachswänden, ständig unterschiedlich wahrnehmen. Er kann sich einen ruhigen Sitzplatz wählen, still genießen. Sich der Selbsterfahrung hingeben. Oder sich in eine der Nischen legen, vor sich hindösen. Selbst einschlafen ist er laubt.
Dann aber mit Ohrenstöpsel. Die vorgelesenen kurzen fiktiven Geschichtchen – das Copyright liegt beim Künstler und dem Suhrkamp Verlag – haben’s nämlich in sich. Und weiß man wirklich, dass im Halbschlaf unterbewusst aufgenommene Texte nichts Sonderbares mit einem anstellen? Man wird ja direkt angesprochen! Zuerst: die biomorphe Höhle mit Halblicht. Das Geräusch einer riesigen steineren Kugel, die den Raum umkreist, kommt näher »… droht dich zu zerquetschen, um sich dann wieder zu entfernen. …«. Ein Albtraum? Oder wartet der Höhlenmensch auf den Einschlag des Meteoriten? Es wird noch krasser – und man sollte vielleicht nicht Jonas heißen: »In einem schwindelerregenden Moment der sinnlosen und deswegen ungleich schrecklicheren Panik kommen dir die Wände plötzlich fleischartig und weich vor, als wärst du im Inneren eines riesigen Tieres gefangen, im Darmtrakt eines Ungeheuers.« Jonas’ Wal lässt grüßen.
Der »verbotene« Raum aus der Kindheit kommt auch noch zu Ehren. Wer kennt ihn nicht? Zitiert wird auch das Eingeschlossensein in einer fensterlosen Dunkelkammer, in dem sich die einzige Tür nicht öffnen lässt. Sogar der große Stein tritt auf, der fast den ganzen Raum ausfüllt, kaum zu umrunden ist. Und nachdem man festgestellt hat, dass er nirgends aufliegt, sondern schwebt: langsam, langsam fängt er an sich zu drehen.Gut, allein mit Worten beschrieben klingt dieses Wahrnehmungsexperiment, das aus der Überlagerung mehrerer künstlerischer Ebenen resultiert, ziemlich abenteuerlich. Wer aber drin ist in der Bernstein-Höhle, wird eine Sensibilisierung seiner Sinne, eine Steigerung der eigenen Aufnahmefähigkeit feststellen. Und schon deshalb angenehm überrascht sein. ||
RICOCHET #13. MARTIN HEINDL
Museum Villa Stuck| Prinregentenstr. 60
bis 16. Februar| Di–So 11–18 Uhr | EinblickeFührungen (Führung frei, Eintritt ermäßigt) mit Kuratorin Anne Marr: 22. Jan., 17 Uhr | Friday Late (Abendöffnung 18–22 Uhr, Führung und Eintritt frei): 6. Dez. / 3. Januar, 21 Uhr
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