Die Staatsoper inszeniert Korngolds »Die tote Stadt«. Ihr gelingt dabei ein Prachtstück des Musiktheaters.

Zwischen Männerphantasien und Dystopien: Die Bayerische Staatsoper bringt Korngolds »Die tote Stadt« auf die Bühne| © Wilfried Hösl

München, die einstige »Hauptstadt der Bewegung«, deren Theater sich eifrig den braunen Kulturbarbaren angedient haben, baut ein Spielplan-Defizit ab. Auch bezüglich Komponisten, die schon lange vor 1933 widerlich abqualifiziert und dann bis auf einen Versuch 1955 nicht mehr inszeniert wurden. Jetzt endlich beispielsweise steht eine längst fällige Serie von Korngolds »Opern-Hit von 1920« auf dem Programm. Viel Unerfreuliches rankte sich allerdings um diese erste Opernpremiere der Saison und den als Star gehypten 35-jährigen Regisseur Simon Stone. Wegen eines Filmprojekts saß er nicht einmal in der Generalprobe seiner ursprünglich Baseler Inszenierung, mit vergrößert-neuem Bühnenbild und neuer Besetzung nun in München einzustudierenden Korngold-Premiere am Regiepult. Die Hälfte der Neuproduktion betreute die als »Mitarbeit
Regie« genannte Maria Magdalena Kwaschik. In der Premiere verbeugt sich Stone aber als Regisseur – dennoch kein Buh für frühreife Star-Arroganz.

Es gibt auch viel zu loben. Einhellige Begeisterung verdient etwa die musikdramatische Seite der Produktion. Kirill Petrenkos Sicht der faszinierend reichen Partitur des 23-jährigen Korngold beeindruckt durch ihre Stimmigkeit. Die wagnerianisch-spätromantische Riesenbesetzung des fabelhaft aufspielenden Bayerischen Staatsorchesters – unter anderem mussten sieben Kontrabässe, Orgel, Windmaschine, Glocken bis zu Blechbläsern in der Proszeniumsloge vom Dirigenten pointiert integriert werden – fächerte Petrenko feinstimmig auf.

Mehr als in klangopulenten Interpretationen war die Feinsinnigkeit Korngolds zu bewundern, menschliche Gefühlslagen musikalisch zu gestalten: als dunkles Brüten, klagende Einzelstimme, ariose Schwelgerei, abgründige Ausbrüche, zirzensische Fröhlichkeit, intime Zärtlichkeit, sehnsüchtiges Beschwören und zart hoffnungsvolles Verklingen in fast filmisch wirkenden Schnitten. Denn eine derartige Geisterbahn der Gefühle muss der um seine früh verstorbene Frau Marie zunächst heillos trauernde Pro tagonist Paul durchwandern. Er muss mit der lebens- und liebeslustigen Marietta als äußerlicher Wiedergängerin der Toten durch ein sexuelles Fegefeuer und eine emotionale Achterbahn bis zum vermeintlichen Mord und Zusammenbruch gehen. Erst dann kann er womöglich in ein selbstbestimmteres Leben aufbrechen. Diese enormen Herausforderungen führten Jonas Kaufmann als Paul zuweilen an vokale Grenzen, Marlis Petersen gelang die quirlige Sinnlichkeit der Marietta hingegen beeindruckend. Aus den bestens besetzten Nebenrollen heraus machte Bariton Andrzej Filończyk als Pierrot die Romanze »Mein Sehnen, mein Wähnen« zum anrührend zarten Höhepunkt des musikalisch auch in Kinder-, Nah- und Fernchor glänzenden Abends.

Doch auch szenisch gehört die Aufführung zum Überzeugendsten der letzten Jahre. Ralph Myers gewollt banale Investorenhausfront »Nr. 37« zeigt auf der Drehbühne zunächst eine übliche, nach heutiger Manier möblierte Raumfolge. Doch so wie eine hinter einer Kommode versteckte Tür in Pauls Trauerkapelle mit der Haarpracht der toten Marie als Reliquie führt, so fächert sich das Haus parallel zu seinen Visionen und Albträumen in ein Lebenslabyrinth mit dunklen Zwischenräumen auf. Ein Hauch von den venezianischen Wasserstraßen der »Ville Morte« Brügge stellt sich ein. Marie als Wiedergängerin geistert durch die Räume, vorherige Türen oder Fenster sind plötzlich zugemauert. Stones Regie führt den »Trauerfall Paul-Maria-Marietta« dabei analytisch-szenisch klar verfolgbar vor und lässt dennoch die Grenzen zwischen Realität und Vision gekonnt verschwimmen. So entsteht musikdramatisch überhöhtes, erstklassiges Theater mit auch heute aktueller Problematik. Kein Wunder, dass das Publikum jubelte. ||

DIE TOTE STADT
Nationaltheater| 1. Dez.| 18 Uhr | 6., 11. Dez.| 19 Uhr
19. Juli 2020| 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851920

 


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