Andreas Dorau lädt in die Kammerspiele zur kindlich schlagerhaften Song-Revue.
Erwachsene rennen in Kinderfilme oder suchen nach Pokémon. Ist das schon regressive Weltflucht? Oder hat jeder ein infantiles Bedürfnis, das befriedigt werden muss? Wenn es ein solches gibt, dann hat Andreas Dorau das Beste daraus gemacht. Mit dem Mädchenchor Die Marinas knallte er einem von Punk aufgeheiztem Underground-Publikum in den Achtzigerjahren Kitsch und Kindlichkeit vor den Latz. Subversiver ging es kaum, »Fred vom Jupiter« dürfte der bekannteste seiner lyrischen Ergüsse sein. Leider kam die Musikindustrie, wedelte mit Verträgen und machte aus der unschuldigen Experimentierfreude dieser Jahre unerträglichen Massenquatsch unter dem Slogan Neue Deutsche Welle.
In Jürgen Teipels großartigem Interview-Buch zu dieser Ära »Verschwende deine Jugend« findet Dorau deutliche Worte für manche seiner »Kollegen«: »Das waren einfach Mucker mit gewieften Produzenten, die auf einmal dasselbe machten wie wir – nur eben in doof. (…) Ich kriegte Wutanfälle, wenn diese Musik lief!« Auch der Videodreh zu seinem »Jupiter«-Hit verlief traumatisch: »Dann stand ich das erste Mal in meinem Leben vor einer Kamera. Da war dieses riesige Team. Und der Regisseur hatte mir auch nicht erzählt, dass da fünf Frauen mit mir zusammen tanzen sollten. Ich war so verunsichert. Ich hatte solche Angst vor diesen Frauen.«
Das ist jetzt schon einem Weile her. Nach dem Ausflug in die Hölle des Erfolgs folgten eine Vielzahl weiterer Alben und Kooperationen mit Gleichgesinnten wie Stereo Total und Mitgliedern von Die Tödliche Doris und 2Raumwohnung. Mit dem neuen Album »Das Wesentliche« bewegt sich Dorau sogar wieder in den deutschen Charts. Der Name ist Programm, bestehen die 15 Songs doch ausschließlich aus einprägsamen Refrains und übertreten selten die Drei-Minuten-Grenze. Bei Dorau geht inzwischen alles nach seinem eigenen Kopf, anders soll es auch nicht sein. Bei seiner »Nacht der drei Alben« in den Kammerspielen darf man nun einen Querschnitt durch sein Schaffen erleben, mit einer Songauswahl aus »Blumen und Narzissen« (1981), »70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft« (1997) und dem aktuellen Werk. Infantilität darf ruhig mal sein. Wenn sie so charmant und mitreißend ist, wie bei Herrn Dorau, gerne auch öfter. ||
ANDREAS DORAU
Kammerspiele, Kammer 2| 23. Oktober
20 Uhr | Tickets: 089 233 966 00
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