Ulf Goerkes Dokumentartheaterstück »Out of Area« konfrontiert den ehemaligen Soldaten Manuel Nawrot mit dem geflüchteten Afghanen Ahmad Shakib Pouya Raufyan.
»Out of Area«, so nennt man militärische Einsätze, die außerhalb des eigenen Zuständigkeitsgebietes stattfinden. Die Bundeswehr beteiligte sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 an einer solchen Mission, der »Operation Enduring Freedom« – dem von den USA ausgerufenen Krieg gegen den Terrorismus. Bis zum Ende der Operation 2014 waren deutsche Soldaten auch in Afghanistan stationiert.
»Out of Area« hat der Theaterregisseur Ulf Goerke auch sein aktuelles Projekt genannt. Darin führen er und seine beiden Schauspieler das Publikum in einen Denkraum, der sich fernab der eigenen Erlebniswelt befindet. Denn er bringt zwei Menschen miteinander auf die Bühne, die sich sonst vermutlich nie begegnet wären: den afghanischen Geflüchteten Pouya Raufyan, der 2009 aus seinem Heimatland floh und 2011 in Deutschland ankam, und den ehemaligen Bundeswehr-Elitesoldaten Manuel Nawrot, der 2011 für ein halbes Jahr in Afghanistan stationiert war. Beide sind mittlerweile Schauspieler. Goerke bietet ihnen die »Möglichkeit einer unmöglichen Begegnung«, so der Untertitel des Stückes, das die drei miteinander erarbeitet haben.
»Ich fand es sehr spannend, die beiden zusammenzubringen und miteinander zu konfrontieren«, so Goerke. Grundlage des Stückes war eine viertägige Gesprächsrunde, in der die beiden Protagonisten diese paradoxe Situation verhandelten, aber auch sehr persönliche Erlebnisse von Flucht und Krieg diskutierten. Der Luxemburger Dramaturg und Autor Olivier Garofalo gab dem Material eine Form – aus individuellen Erzählungen hat er ein Drehbuch destilliert, das die persönlichen Erlebnisse künstlerisch überhöht, aber, das war Goerke wichtig, authentisch bleibt. Die beiden Schauspieler müssen also zwischen der Introspektion ihrer persönlichen Erinnerungen und der Außenperspektive des Theatertextes oszillieren.
Dass die beiden gemeinsam auf der Bühne stehen können, ist Glück und Experiment zugleich. Goerke hatte mit Nawrot bereits während dessen Schauspielausbildung gearbeitet, und Claudia Illi, die künstlerische Leiterin der Kulturbühne, kannte Raufyan. Der gelernte Zahnarzt kam 2011 nach Deutschland und baute sich ein neues Leben in Augsburg auf – als Schauspieler. Dort stand er auf verschiedenen Theaterbühnen, auch in München trat er im Opernprojekt »Zaïde« auf, bevor er 2017 »freiwillig« ausreiste. Wegen seines Engagements als Ali in der Inszenierung der Schauburg von »Angst essen Seele auf« durfte er jedoch wieder einreisen und lebt nun in Hanau bei Frankfurt. Dort arbeitet er wochentags in einer Lackiererei, an den Wochenenden kann er nach München reisen und proben. »Keine Idealbedingungen, denn im Probenprozess ist Kontinuität wichtig«, so Goerke. Doch »Out of Area« ist ein Herzensprojekt der drei und lebt vom persönlichen Engagement und der uneingeschränkten Offenheit, die sie miteinander praktizieren.
»Out of Area – Über die Möglichkeit einer unmöglichen Begegnung« eröffnete mit seiner Uraufführung am 4. Oktober die Spielzeit auf der Kulturbühne Spagat. Der noch recht junge Theaterraum wurde vor ziemlich genau einem Jahr mit dem zweiten Haus des von Jutta Speidel initiierten Horizont e. V. in Nordschwabing eröffnet. Hier können von Obdachlosigkeit bedrohte Familien neu Fuß fassen und durch das umfangreiche Kultur- und Freizeitangebot wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Aktuell sind vier Vorstellungen von »Out of Area« vom Kulturreferat gefördert, doch Goerke und sein Team hoffen, das Stück anschließend auf weiteren Bühnen aufführen zu können. »Am liebsten wäre es mir, das Stück in zwei Jahren im Goethe-Institut in Kabul zu zeigen.« Dann jähren sich Pouya Raufyans Ankunft in Deutschland und Manuel Nawrots Kampfeinsatz in Afghanistan zum zehnten Mal. ||
OUT OF AREA – ÜBER DIE MÖGLICHKEIT EINER UNMÖGLICHEN BEGEGNUNG
Kulturbühne Spagat| Bauhausplatz 3
19. Oktober| 20 Uhr | 20. Oktober| 18 Uhr
Tickets: 089 540463747 |
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