Philipp Stölzl liebt den Kontrast. Zwischen bildgewaltigem Historienepos (»Der Medicus«) und düsterem Klaustrophobie-Drama (»Schachnovelle«) hat der in Berlin lebende Münchner Kino- und Theaterregisseur das bonbonbunte Musical »Ich war noch niemals in New York« für die Leinwand adaptiert.
Herr Stölzl, vor knapp sechs Jahren legten Sie mit der Bestseller-Verfilmung »Der Medicus« ein opulentes Historienabenteuer hin. Jetzt lassen Sie mit dem Musical »Ich war noch niemals in New York« ein ebensolches Mammutprojekt folgen. Beide Filme könnten jedoch konträrer nicht sein.
Das ist ja gerade das Reizvolle an meinem Beruf. Ich mische meine Arbeit sowieso schon sehr stark, weil ich mit mindestens einem Drittel meiner Zeit für Bühnenproduktionen zur Verfügung stehe. Und ich liebe es, wenn zwischen den Dingen, mit denen ich mich beschäftige, ein starker Kontrast besteht. Auf der anderen Seite suche ich mir die Stoffe instinktiv aus. Und ich muss schon eine riesige Lust dafür verspüren. Das ist ja jedes Mal ein ganzes Stück Leben, das man hineingibt in jeden Film, jede Theaterarbeit.
Was war die Triebfeder, nun »Ich war noch niemals in New York« für die Leinwand zu adaptieren?
Dieses Genre wurde ja in Deutschland ewig nicht mehr gemacht. Und hier konnte ich von meiner Erfahrung durch die Arbeit an Musikvideos profitieren, aber auch an Operninszenierungen, wo man lernt, mit Musik szenisch umzugehen. Aber letztlich war dieses Musical auch für mich eine Fahrt ins Unbekannte. Und genau das finde ich an meiner Arbeit so gut, diese Neugier beim Entdecken eines neuen Genres, sich sozusagen neuen Tonlagen auszusetzen. Als nächstes werde ich »Die Schachnovelle« von Stefan Zweig verfilmen, einen klaustrophobischen Gestapo-Wahnfilm, der wiederum in Richtung Arthouse geht und im Vergleich zu dem bonbonbunten »Ich war noch niemals in New York« nicht gegensätzlicher sein könnte.
Musicals gelten als Kassengift. Ein Versuch, mit einer Neuinterpretation von »Im weißen Rössl« das Genre wiederzubeleben, scheiterte 2013 kläglich. Warum hat diese Filmgattung hierzulande keine Tradition?
In den 1930ern und 1940ern gab es durchaus den Operettenfilm oder die musikalische Komödie. Und in den Fünfzigern kam dann das Schlagerfilmgenre auf. Aber generell sind Musicals ein uramerikanisches Ding.
Einige Choreografien in Ihrem Film erinnern denn auch stark an das alte Hollywood. Diese darf man wohl als Verneigung vor der Traumfabrik verstehen?
Absolut. Der ganze Film ist im Prinzip eine einzige Hommage, nicht zuletzt, weil er komplett im Studio gedreht worden ist. So wie einst »Singin’ in the Rain«. Das sind Werke, wo das Kino noch mit einem Bein im Theater stand. Und wenn die Menschen dann in einem Film zu singen anfangen, ist man auch schon mittendrin in dieser überhöhten, märchenhaften Welt. Und mir hat es besonders Spaß gemacht, zu schauen, wie man diese sehr spezielle Ästhetik lustvoll zitiert. Denn in Zeiten, in denen Streaming-Dienste immer dominanter werden und das Fernsehen nach wie vor eine Macht ist, muss man sich schon fünf Mal überlegen, was eigentlich der Mehrwert davon ist, ins Kino zu gehen. Und bei »Ich war noch niemals in New York« setze ich auf die Kraft der Musik, die man in einem Kinosaal mit Dolby Surround natürlich ganz anders spüren und erleben kann als daheim im Wohnzimmer.
Wenn man große Kinobilder schaffen will, ist es dann hilfreich, »nur« ein Studio zur Verfügung zu haben?
Durchaus. Es gibt zahlreiche Filmklassiker wie zum Beispiel »Casablanca«, die auch im Studio entstanden sind. Damals ging das gar nicht anders, weil die Kameras viel zu groß und zu schwer waren, um damit die Hallen verlassen zu können. Aber dieses extrem Konzentrierte, was einen Studiofilm auszeichnet, kommt hier dem Erzählerischen zugute. Denn man überlegt sich viel mehr, wie sich die Geschichte auf engem Raum kraftvoll aufbaut. Ich sehe das also nicht als Handicap, sondern als Chance, eine Story relativ speziell erzählen zu müssen oder zu dürfen.
Die Schlagermusik wird von der Kritik ja selten gelobt, auf der anderen Seite liegt den Interpreten ein Millionenpublikum zu Füßen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz, und warum ist bei Udo Jürgens noch mal alles ganz anders?
Dieser Mann ist auf jeden Fall ein Phänomen, die Welt der Schlager aber noch einmal eine andere Kategorie. Diese Fans sind anders als Menschen, die etwa Rock oder Pop hören. Das kann man auch am Publikum von Schlagersendungen gut ablesen. Hier sieht man, wie das die Leute begeistern kann, während es anderen dabei die Fußnägel hochstellen mag.Aber bei Udo Jürgens ist es eben das Verrückte, dass er diese beiden Welten total verbindet.
Wie ist ihm das gelungen?
Das liegt an verschiedenen Dingen. Zum einen war er selbst ein charismatischer Bühnenkünstler, der so eine charmante Eleganz besaß, dass er selbst seine »schlagerigsten« Sachen, und davon gibt es ja auch einige, mit einer gewissen Würde gebracht hat. Und dieses unfreiwillig Komische, was der Schlager zuweilen hat, ist bei ihm nie hergestellt worden. Seine Songs sind wie Chansons, voller Melancholie, Sozialkritik und Sehnsucht. Aber trotzdem haben sie diesen Mitklatsch-Ohrwurm-Refrain, der dann diese sehr spezielle Mischung ausmacht.
Böse Zungen behaupten, dass Schauspieler, die in Musicals mitwirken, nicht unbedingt singen können müssen.
Das habe ich bisher noch nicht gehört. Aber uns war klar: Der Blueprint für die Bühnenshow von Stage war »Mamma Mia«. Sie haben »Ich war noch niemals in New York« in der Hoffnung produziert, ein deutschsprachiges »Mamma Mia« hinzubekommen. Und das ist ihnen auch gelungen. Für die Verfilmung des Abba-Musicals haben sie dann damals tatsächlich Stars besetzt, unabhängig davon, ob sie jetzt alle perfekt singen können.
Da fällt mir auf Anhieb Pierce Brosnan ein …
Klar, der kann wirklich nicht singen. Im Gegensatz zu einem Hugh Jackman zum Beispiel, der alles kann: Singen, Spielen und Tanzen, was man sehr eindrucksvoll in »Greatest Showman« sehen konnte. Aber bei einem Musical, das für die Leinwand adaptiert wird, ist sehr wichtig, dass man Stars oder zumindest vertraute Gesichter besetzt. Damit macht man den Film fürs Publikum leichter zugänglich. Und außerdem haben die Menschen ein großes Vergnügen, dabei zuzuhören, wie sich beispielsweise ein Moritz Bleibtreu in einem Musical schlägt.
Heißt das, Sie streben gar nicht diese sterile Broadway-Perfektion an?
Genau, bei uns kommen keine 100 Showgirls im Gleichschritt die Treppe herunter, sondern hier ist alles ein bisschen liebevoll selbst gemacht. Diese reine Super-Perfektion mag zwar faszinieren, aber sie hält den Zuschauer draußen: Du staunst zwar über das Können, aber du fühlst dich nicht so gemeint. Und dadurch, dass bei uns jetzt nicht alle perfekt singen und tanzen, bleiben die Darsteller sehr menschlich vertraut und uns nahe.
Eine letzte Frage: Haben Sie einen Lieblingssong in »Ich war noch niemals in New York«?
Das ist tatsächlich »Und immer wieder geht die Sonne auf«, ein Lied, das mich jedes Mal aufs Neue berührt. Ich musste den Film ja extrem oft anschauen, aber dieser vorletzte Song besitzt eine Irrsinnskraft, die ich sehr gerne mag. Da heißt es auch: Taschentücher bereithalten!Das ist ja das Schöne, wenn ein Film uns auf emotionaler Ebene kriegt, wenn man auf der Gefühlsebene so richtig durchgerüttelt wird. Das ist so wie eine Katharsis, die man für die Tage danach mitnimmt. Wunderbar, wenn Kino so etwas kann. ||
ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK
Deutschland 2019 | Regie: Philipp Stölzl
Mit: Heike Makatsch, Moritz Bleibtreu, Katharina Thalbach | Länge: 128 Minuten
Kinostart: 17. Oktober
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