Ein Kommentar zum plötzlichen Aus für die »Kinos Münchner Freiheit«.

Thomas Kuchenreuther in seinem Büro, inmitten von Filmen. | © Marie-Luise Kuchenreuther

»Krass. Ich habe gerade die News in der Tram gelesen: Die Kinos Münchner Freiheit haben Insolvenz angemeldet und machen wahrscheinlich schon im August zu«, schrieb mir ein geschätzter Filmfest-München-Kollege am letzten Festivaltag, als ich selbst in der U-Bahn saß und gerade auf dem Weg zu meiner nächsten Moderation war. Sofort befiel mich ein merkwürdiges Grummeln im Bauch … Was hatte ich da soeben gelesen? Wie bitte?! Das Münchner Kinomacherurgestein Thomas Kuchenreuther hatte doch während desselben Filmreigens gerade erst den Kinoprogrammpreis der Landeshauptstadt München verliehen bekommen. Und jetzt das! Wie viele Male bin ich dort drin gesessen und habe Filme gesehen? Wie oft habe ich dort geweint oder gelacht und danach mit Frau Kuchenreuther oder Frau Blümel herzlich über das (Kino-) Leben geplaudert?

Das Rauschen im Medienwald über den nächsten Paukenschlag im langjährigen Kinosiechtum der bayerischen Kapitale ließ nicht auf sich warten: »Kinosterben in München: Jetzt trifft es Schwabing« hieß es in der »Abendzeitung«, ehe Dunja Bialas mit den Zeilen »Das ist kein Kinosterben mehr. Das ist Kinovernichtung« (Quelle:artechock.de) kurz darauf die ebenso grimmige wie angsterfüllte Stimmung unter Münchner Kinomachern und Cineasten in düsterem Ton zusammenfasste. Kinodesperado Klaus Lemke, seit Jahrzehnten Stammgast in den Kuchenreuther-Kinos, überreichte der Theaterleiterin Margit Blümel nach der letzten Vorführung seines neuesten Films sogar noch einen Blumenstrauß, während draußen im Foyer immer noch einige Filmfestgäste intensiv über diesen nächsten Schwanengesang innerhalb der hiesigen Kinoszene diskutierten.

Was ist nur los in der selbst ernannten Filmstadt? Warum mussten in der bayerischen Landeshauptstadt in den vergangenen fünfzehn Jahren reihenweise Lichtspieltheater vor dem Renditewahnsinn oder der nächsten Gentrifizierungswelle kapitulieren? Was bleibt, sind lediglich Namen und zahlreiche Erinnerungen an damit verbundene (Film-)Erlebnisse: »Solaris« in der Lupe 2, ein neuer Rosenmüller im Filmcasino, ein anregender Arthouse-Film im Eldorado oder unzählige Pressevorführungen in den jüngst geschlossenen Gabriel-Kinos. Die Münchner Kinolandschaft wird weiter systematisch dezimiert: Dagegen hilft kein durchaus kinoaffiner Oberbürgermeister Dieter Reiter, kein überwiegend engagiertes Kulturreferat, aber eben erst recht auch keine schildbürgerhafte Lokalbaukommission, die für die Kinos Münchner Freiheit kurzerhand eine neue Nutzungsordnung zuließ, die zusammen mit der Sturheit und Raffgier der Sedlmayr Immobilien und Grund AG de facto sogleich den Tod für alle vier Säle des Schwabinger Kultkinos einläuteten.

Natürlich werde er das legendäre ABC Kino (Claude Chabrol: »Wer das Kino liebt, muss mit dem ABC beginnen«) in der Herzogstraße sowie die wirtschaftlich soliden Leopold Kinos »unbedingt weiterführen«, erklärt mir Thomas Kuchenreuther wenige Tage nach dem Filmfest am Telefon. »Es geht weiter! Nur irgendwie anders. Das ist die Botschaft«, betont der 75-jährige Geschäftsführer. Im Ärger wolle er momentan keineswegs zurückschauen. Und meinen langen Fragenkatalog zum aktuellen Aus sowie diverse Auf- und Umbrüche in der Münchner Kinoszene oder seine langjährige Praxis im Kino metier und dessen Zukunft lässt er ebenfalls bewusst unbeantwortet, »weil sich alles, was ich dazu sagen könnte, eigentlich nur in zwei Filmen ausdrücken lässt: Zum einen in Robert Altmans ›Last Radio Show‹ und zum anderen in ›Chacun son cinéma‹. Im letztgenannten, 2007 entstandenen Omnisbusfilm mehrerer Kultregisseure zum 60. Geburtstag der Filmfestspiele von Cannes hat es Thomas Kuchenreuther die kurze Episode von David Cronenberg (»At the suicide of the last jew of the world inthe last cinema in the world«) besonders angetan.

Kein Wunder, spiegelt sie doch in gewisser Weise seinen aktuellen Seelenzustand als Cannes-Enthusiast und leidenschaftlicher Kinomacher seit 1965 in geradezu surrealer Weise wider: Ein Cineast und Filmemacher – David Cronenberg höchstselbst – sitzt vor einer fest installierten Kamera, studiert Munitionsmaterial und hält sich eine Pistole zuerst hinter das rechte Ohr, ehe er die geladene Waffe auf sein linkes Auge richtet und sie schließlich mit Verzweiflung im Ausdruck gen Mund führt …Ton aus … Schwarzblende … Ganz so martialisch wird es nun im realen Leben Thomas Kuchenreuthers hoffentlich keineswegs werden, aber das, was David Cronenberg 2007 im Rahmen der Pressekonferenz zu diesem Kompilationsfilmprojekt sagte, hatte auch der prämierte Vollblutcineast schon öfters auf den Lippen: »Die Form des Kinos, wie wir es kennen, gehört der Vergangenheit an.«

Nach dem Motto »Die Kinos Münchner Freiheit sind tot – es lebe das Kino!« tritt der Schwabinger Kunstpreisträger jetzt mit seiner wunderbar kuratierten »Shakespeare im Kino«-Reihe die Flucht nach vorne an. Während der 67. Filmkunstwochen werden erlesene Shakespeare-Adaptionen (darunter Kurosawas »Ran« oder Welles’ »Othello«) sowohl im ABC Kino wie in den Leopold Kino gezeigt, was – Ironie der (derzeitigen Münchner Kino-)Geschichte – sehr gut zu Thomas Kuchenreuthers Gemütslage passt, die zwischen verzweifelter »King Lear«-Weltabgewandtheit und reichlich schwarzem Humor wie in Lubitschs »Sein oder Nichtsein« hin- und herpendelt. Oder um mit einem Filmtitel Aki Kaurismäkis zu enden: »Hamlet Goes Business«, der ebenfalls zu sehen ist. Sprich: Thomas Kuchenreuther macht (einfach) weiter. Der Tor im Manne für die Liebe zu den bewegten Bildern ist Gott sei Dank immer noch größer als jede finanzielle Hiobsbotschaft. Nur hingehen sollte man dann auch, liebe MünchnerInnen! Bevor der nächste Aufschrei kommt. ||

 


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