Für alle die immer noch nichts gefunden haben, gibt es hier nochmal drei Lesetipps für den Sommer. Den Rest findet ihr noch in der aktuellen Ausgabe.
Dichterwerkstatt
TOMAS TRANSTRÖMER, RANDGEBIETE DER ARBEIT
Hanser Verlag, 2018 | 264 Seiten | 28 Euro
von Florian Welle
»Entweder wird man vom Gedicht mitgerissen, oder man kann drauf pfeifen«, riet Tomas Tranströmer. Mitgerissen hat der schwedische Nobelpreisträger seine Leser von Anfang an, also seit der Veröffentlichung von »17 Gedichte«, die ihn 1954 schlagartig berühmt gemacht haben. Tranströmer war kein Vielschreiber, sein Werk ist schmal. Aber das ist nur eine äußerliche Feststellung, denn jedes seiner Gedichte entführt in unermessliche Tiefen, obwohl oder gerade weil ihre Bildsprache das Alltägliche mit einschließt und von großer Einfachheit ist. Jeder Mensch, so der Dichter, sei »eine halbgeöffnete Tür, die zu einem Raum für alle führt«. Kein Wunder also, dass er Gedichte auch als Orte der Begegnung verstanden wissen wollte. Dem Lyriker begegnen kann man auch in dem posthum erschienenen Buch »Randgebiete der Arbeit« – einer kurz vor seinem Tod 2015 noch von ihm selbst verantworteten Zusammenstellung von Briefen, Gedichten, Tagebuchauszügen, Reden und Fotos, die allesamt sofort beglaubigen, was jeder von ihm bezeugte: Warmherzigkeit! Der wunderbar gestaltete Band lädt zum Blättern, Verweilen und erneuten Blättern ein und zeigt, wie viel Tranströmers Lyrik der Musik zu verdanken hat. ||
Bösterreich
DAVID SCHALKO: SCHWERE KNOCHEN
Kiepenheuer & Witsch, 2018 | 576 Seiten | 24 Euro
von Christiane Wechselberger
Für den Hundertertrick zollen ihnen selbst die alten Herren des Gewerbes Respekt. Die eigentliche Spezialität der Burschen von der Erdberger Spedition aber ist das Ausräumen von Wohnungen, das »Evakuieren«. Das hätte eine Erfolgsgeschichte werden können, wenn sie nicht gerade die arisierte Bude vom Nazi-Huber evakuiert hätten. Der Notwehr-Krutzler, der Sikora (Zauberer) und der Wessely (der Bleiche) landen im KZ. David Schalko, der Schöpfer von »Aufschneider« und »Braunschlag«, erzählt in »Schwere Knochen« von drei Kleinkriminellen, die im KZ zu Diamanten der Härte geschliffen werden – und von der österreichischen Nachkriegsgesellschaft und ihren Verlogenheiten. Nach sieben Jahren Lager übernehmen die Erdberger mit ihrem Spezl Praschak – dem das KZ erspart blieb, weil sein »Vater, ein alter Sozialist ohne Nationalstolz«, seinen Sohn gedeckt hatte – im Nachkriegswien das Regime in der Unterwelt und räumen nebenher Nazi-Widersacher aus dem Weg. Schalko erzählt das beiläufig, lakonisch kippt das Grauen in die Groteske, werden Monstren zu skurrilen Gestalten und überzieht die Traurigkeit eines Lebens voller Schatten die Geschichte. ||
Blick in die Lüfte
ARNULF CONRADI: ZEN UND DIE KUNST DER VOGELBEOBACHTUNG
Verlag Antje Kunstmann, 2019 | 240 Seiten | 20 Euro
von Florian Welle
Vögel, das wird schnell klar, fliegen nicht einfach. Sie gleiten (wie der Albatros). Sie kreisen (wie der Seeadler). Sie schweben (wie der Mäusebussard). Arnulf Conradi findet eine Vielzahl an Worten für den Gegenstand seiner Leidenschaft: die Welt der Vögel. Von Kind an beobachtet der Gründer des Berlin Verlags die Tiere. Der gebürtige Kieler ist also das, was man einen Birdwatcher nennt, das Fernrohr stets im Anschlag. Mit »Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung« hat er nun eines der
schönsten Bücher dieser Tage vorgelegt. Auch wenn er einen in die Antarktis, in die Uckermark oder nach Helgoland mitnimmt – nach der Lektüre tritt man bereits verändert vor die Haustür. Spitzt die Ohren, um dem Gesang zu lauschen; schaut nach oben, um Flugmanöver zu bestaunen. Conradi steckt einen mit seiner Begeisterung für die Anmut der Vögel an. Nicht zuletzt kommt die Verknüpfung mit dem Zen sympathisch schlicht daher, bleibt aber, anders als der Titel suggeriert, ein Randaspekt. Wenn auch ein kluger: »Die Meditation (…) genügt sich selbst. Auch die Vogelbeobachtung ist selbstgenügsam, sie ruht in sich, es geht nicht darum, etwas zu erreichen. Es geht darum, etwas zu sein.« ||
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